: Ein Märtyrer des weißen Krieges
Marcel Schilf, Schlüsselfigur in der internationalen Blood-&-Honour-Szene und Kontaktmann auch der Berliner Neonazis, ist an einer Lungenkrankheit gestorben. Die Szene feiert ihn dennoch als Märtyrer, als Opfer eines Krieges
Die internationale Neonaziszene feiert einen neuen Märtyrer. Zwar starb der 29-jährige Marcel Schilf an den Folgen einer angeborenen Lungenkrankheit in einem dänischen Krankenhausbett. Doch auf den neonazistischen Webseiten wird der langjährige Neonazikader trotzdem in szenetypischem Hang zur Mythenbildung als „weißer Held“ und „Opfer eines Krieges“ bezeichnet.
Nachrufe für Neonazis sind in der taz eher unüblich. Angesichts von Schilfs Stellung im internationalen Geflecht von rechtsextremer Musik und Terror, seiner Mittelsrolle zwischen der deutschen, Berliner und internationalen Neonaziszene, ist ein kurzer Rückblick auf die „Karriere“ des gebürtigen Deutschen, der in Brandenburg an der Havel aufwuchs und 1980 mit seiner Mutter nach Dänemark emigrierte, indes durchaus interessant.
Wie Schilf in Kontakt mit der rechtsextremen Szene in Dänemark kam, ist unbekannt. Aktenkundig ist hingegen, dass der eher schmächtige junge Mann bis zu seinem Tod – zuletzt gemeinsam mit dem norwegischen Neonazikader Erik Blücher – eines der bedeutendsten braunen Versandimperien für neonazistische Musik und Videos aufbaute: zunächst ab 1995 in Dänemark unter der eindeutigen Bezeichnung „NS 88“. Drei Jahre später entzog sich Schilf dem zunehmenden öffentlichen Druck dänischer AntifaschistInnen und Sicherheitsbehörden durch einen Umzug nach Schweden. NS 88 wurde in „Blood & Honour Scandinvia“ umbenannt – dessen Führung sich Schilf mit Erik Blücher teilte. Dahinter verbarg sich unter anderem eine nicht registrierte Produktionsfirma namens NS Records. Deren Versandkataloge versprechen das Härteste, was der White-Power-Markt zu bieten hat: „die musikalische Endlösung“ für „Nigger“ und „Judenschweine“ sowie Videos der Reihe „Kriegsberichter“ mit Hinrichtungen von Afroamerikanern und politischen Gegnern. Die meisten Produkte von NS Records sind in Deutschland indiziert: Trotzdem kommen nach Angaben schwedischer und deutscher Antifa-Zeitungen zwei Drittel der Kunden aus Deutschland. Sie erhalten die heiße Ware über ein anonymes Postfach im dänischen Hillerod oder durch Mittelsmänner.
Auch persönlich agierte Schilf immer wieder als Mittelsmann zwischen skandinavischen, britischen und deutschen Neonazis: Bei regelmäßigen Besuchen in Brandenburg nach 1990, wo sich schnell eine starke rechtsextremistische Szene entwickelte; bei Rudolf-Heß-Aufmärschen in Dänemark, an denen regelmäßig deutsche Neonazidelegationen teilnahmen. Und immer wieder bei Konzerten, die dem internationalen Netzwerk von „Blood & Honour“ neben der Rekrutierung von jungen Sympathisanten auch als Treffpunkte zur Planung internationaler Aktivitäten dienen. Nachdem Schilf Anfang vergangenen Jahres vom südschwedischen Helsingborg in die Kleinstadt Klippan gezogen war, hatten Konzerte auf seinem festungsähnlichen Anwesen bald den Charakter internationaler Neonazi-Koordinierungstreffen.
Gegen Strafverfolgung schien Schilf nahezu immun zu sein. Ein Verfahren wegen Volksverhetzung, das die schwedische Staatsanwaltschaft gegen seinen Kompagnon Erik Blücher anstrengte, wurde gegen eine Bewährungsstrafe eingestellt. Das Recht auf Meinungs- und Publikationsfreiheit ist im schwedischen Grundgesetz großzügig verankert. Der Privatbesitz von volksverhetzenden Schriften und Musikträgern ist legal. Nur der Vertrieb dieser Produkte ist strafbar – aber auch nur dann, wenn sich der Handel in Schweden abspielt. Zuvor waren schon die dänischen Strafverfolger an Schilf gescheitert. Sie hatten ihn lange Zeit verdächtigt, Drahtzieher einer Reihe von Briefbombenattentaten auf bekannte Antifaschisten in den frühen 90er-Jahren gewesen zu sein, bei denen ein 29-jähriger Aktivist der Internationalen Sozialisten in Kopenhagen getötet wurde. Bei einer Hausdurchsuchung in Schilfs Wohnung fand die dänische Polizei damals Material zum Bombenbau und mehrere fertig gestellte Sprengsätze.
Nun ist der umtriebige Produzent von „White Noise“ tot. Doch eine lang anhaltende Lücke im internationalen Geflecht von Blood & Honour ist kaum zu erwarten. Längst haben einige Deutsche Neonazis damit begonnen, Schwedisch zu lernen, um Schilfs Partner und langjährigen Neonazi Erik Blücher bei der Fortführung des braunen Versandimperiums und der Koordinierung von Blood-&-Honour-Aktivitäten zur Seite zu stehen.
HEIKE KLEFFNER
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