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Wo Gefangene vermodern

Nach 49 Tagen Hungerstreik von vier Mitgliedern der „Action Directe“ lenkt die Pariser Regierung ein. Zwei von ihnen sind schwer krank, die Haftbedingungen hart

PARIS taz ■ Es dauerte 49 Tage eines unbefristeten Hungerstreiks, bis die rot-rosa-grüne Regierung in Paris reagierte. Am Mittwoch entsandte die sozialistische Justizministerin Marylise Lebranchu schließlich das lange erwartete „humanitäre Zeichen“ an die Gefangenen der „Action Directe“ und sagte medizinische Untersuchungen für die beiden schwer kranken Inhaftierten Georges Cipriani und Nathalie Ménigon zu. Der einstige Chef der „Action Directe“, Jean-Marc Rouillan, brach den Hungerstreik, bei dem er 19 Kilogramm Gewicht verlor, daraufhin ab. Joëlle Aubron, die sich Anfang Januar der Protestaktion anschloss, dachte bei Redaktionsschluss noch nach.

„Es ist traurig, dass so viele Risiken und so viel Leiden nötig sind, um ein paar simple humanitäre Fragen zu regeln“, kommentierte Senatorin Nicole Borvo das Ende der Protestaktion. Zusammen mit einigen Genossen ihrer Kommunistischen Partei sowie mit einer Handvoll anderer Linker, darunter Grüne, Trotzkisten, Anarchisten und Mitglieder der Gewerkschaft CGT, setzt sich Borvo seit Monaten für eine Erleichterung der extremen Haftbedingungen der „Action Directe“-Mitglieder ein.

14 Jahre nach ihrer Verurteilung wegen zweifachen Mordes sitzen die vier weiterhin in Hochsicherheitsabteilungen verschiedener Gefängnisse des Landes, dürfen weder arbeiten noch an den üblichen Sportaktivitäten im Gefängnis teilnehmen und werden bei ihren Außenkontakten stärker reglementiert als andere Gefangene. Das gilt auch für Cipriani und Ménigon. Cipriani ist nach Berichten von Gefängniswärtern und Angehörigen vor Jahren „durchgeknallt“, hat sich aufgegeben und weiß nicht mehr, wo er sich befindet. Eine Freundin, die den 48-Jährigen am vergangenen Wochenende in dem elsässischen Gefängnis Ensigheim besuchte, berichtet weinend von einem körperlich vernachlässigten weißhaarigen Mann, der glaubt, nach ihm werde mit Fahndungsplakaten gesucht.

Die 48-jährige Ménigon hat nach zwei Herzattacken halbseitige Lähmungserscheinungen. Keiner der beiden bekommt bislang eine angemessene medizinische Versorgung.

Ganz so, als stellte die „Action Directe“ immer noch eine Gefahr für den Staat dar. Dabei ist die Organisation seit den 80er-Jahren hochoffiziell aufgelöst. Ihr Logo lebte nur noch in den Kommuniqués der vier Gefangenen weiter. Selbst Cipriani, der den Stern der „AD“ noch 1999 an die Wände seiner Zelle malte, hat das inzwischen aufgegeben. Außerhalb der Gefängnismauern gibt es heute in Frankreich keine Gruppen, in denen die Ideen der „Action Directe“ fortleben oder die ihre Attentate rechtfertigen. Selbst im Kreis der Unterstützergruppe „Ne laissons pas faire“ heißt es: „Politisch war der bewaffnete Kampf der Action Directe ein Irrtum“.

Im Namen des „antiimperialistischen Kampfes“ ermordete die „Action Directe“ 1985 den französischen General Audran, 1986 den Renault-Chef Besse. Das war zugleich der Höhepunkt und das Ende der Gruppe. Für die beiden Morde wurden Rouillan, Aubron, Cipriani und Ménigon 1987 in einem Prozess, dem sie selbst kaum beiwohnten, zu lebenslänglich verurteilt. Zusätzlich bekam jeder von ihnen eine „Sicherheitsperiode“ von 18 Jahren. Das bedeutet, dass sie ihren ersten Entlassungsantrag frühestens im Jahr 2006 stellen dürfen. Die große Mehrheit der zu lebenslänglich verurteilten Gefangenen kann diesen Antrag spätestens nach 15 Jahren stellen.

Die Situation der vier Action-Directe-Mitglieder hat in den vergangenen Jahren immer wieder zu Protesten geführt. Doch die Aktionen blieben winzig.

Seit einigen Wochen stoßen die Beschwerden über die Haftbedingungen in Frankreich plötzlich auf öffentliches Gehör. Auslöser dafür war eine Beschwerde des wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ verurteilten einstigen Bordelaiser Beauftragten für „Judenfragen“ beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Der Anwalt des heute 90-jährigen Papon, der zwischen 1942 und 1944 die Deportation von mehr als 1.500 Menschen in Todeslager organisierte, nennt dessen bislang 15-monatige Haft eine „Folter“ und „unmenschlich“. Im Kollektiv „Ne laissons pas faire“ gibt es Leute, die angesichts der Solidarisierungswelle mit Papon sagen: „In Frankreich ist es besser, ein alter Kollabo zu sein, als ein militanter Revolutionär.“DOROTHEA HAHN

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