: Globalisierung mit zwei Gipfeln
Während sich in New York das Weltwirtschaftsforum trifft, versammeln sich in Porto Alegre seine Kritiker. Sie wissen: Nur große Schritte helfen weiter. Eine Vorschau
Die Globalisierungseliten tagen, wie immer, getrennt. Das Davoser Weltwirtschaftsforum, auf dem dreitausend Topmanager und Spitzenpolitiker Verabredungen über die Zukunft der Welt treffen, ist umgezogen. Der „Gipfel der Gipfel“, wie sein Gründer, der Ökonomieprofessor Schwab, das Treffen in zutreffender Einschätzung des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik nennt, tagt diesmal im Hotel Waldorf-Astoria in New York und wird, wie immer, „Empfehlungen abgeben, die als Grundlage für Treffen der G-8-Staaten dienen können“. Thema des Treffens ist die „globale Sicherheit“ nach dem 11. September. Wirtschaftliche Sicherheit – für Schwab sind das die „höheren Kosten“ für Kontrollen und die Frage, „ob eine globale Just-in-time-Lieferung künftig noch möglich ist“. Und politische Sicherheit: die Abwehr eines „neuen Primats der Politik“. Denn der Staat, der „für Sicherheit sorgen“ muss, wird damit stärker. „Auch das kann negative Folgen haben“: für „ungehinderten Welthandel“, den „Containertransport“ und den freien Nachschub an Arbeitskräften. Globalisierung braucht freie Märkte, aber, so betont Schwab, „auch kulturelle und soziale Aspekte“. Er denkt dabei an Unternehmen, die Obdachlosenzeitungen gründen, oder den „Global Compact“, in dem sich 500 Konzerne – ohne rechtliche Bindung oder Kontrollinstanz – zu sozialem Wohlverhalten verpflichtet haben.
Die andere Globalisierungselite tagt im brasilianischen Porto Alegre. 2001 kamen zehntausend Delegierte von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) aus fünf Kontinenten: eine bunte Mischung aus Gewerkschaftern, Landlosen, Entwicklungsexperten, Feministinnen, Befreiungstheologen, Kritikern der genetisch aufgerüsteten Großagrikultur, Arbeitslosen, Ökologen. „Eine andere Welt ist möglich“ war die Parole. Ihre Botschaft, auch für Treffen der traditionellen Politiker wie etwa das in Genua, lautet: Ihr stellt die richtigen Fragen, aber wir suchen echte Lösungen.
Porte Alegre 2, so zeigen die vorbereitenden Papiere, wird mehr sein als ein Erster Mai der globalen Bürgerbewegung. Auf die Protestparole von der „anderen Globalisierung“ folgt ein politisches Programm: Strategien, die zu wirklicher Sicherheit führen, zu sicherem Leben, sicherem Wasser, sicherer Zukunft. In Porto Alegre werden die Umrisse eines „globalen Marshallplans“ vorgestellt, Antworten auf vier Leitfragen gesucht: Wie müsssen Handel und Kapitalverkehr so organisiert werden, dass eine gleichmäßige Entwicklung aller Gesellschaften möglich wird? Wie können die „globalen Güter“ Umwelt, Wasser, Wissenschaft, genetisches Erbe nachhaltig bewirtschaftet und gerecht verteilt werden? Wie können die Migrationsströme politisch und sozial gelenkt, wie kann das Flüchtlingselend abgebaut, die Wissenslücke zwischen Nord und Süd geschlossen werden? Welche neuen Institutionen braucht eine demokratische Weltordnung, wie viel Souveränität brauchen die Nationen des Südens, um sich autonom zu entwickeln, und welche Rechte muss die Weltgemeinschaft haben?
Susan George, die Weltmarkttheoretikerin und Vordenkerin von Attac, hat, gesponsert von George Soros, kürzlich einen Global Compact skizziert, der mehr wäre als die freiwillige Beseitigung ökonomischer Kollateralschäden durch ihre Verursacher. Und Attac, maßgeblich an der Vorbereitung des Weltsozialforums beteiligt, unterbreitet dort einen ausgefeilten Vorschlag zur Finanzierung dieses „planetarischen Gesellschaftsvertrags“. Unter Leitung einer reformierten UNO sollen zwei weltweite Fonds gegründet werden: einer zur Stabilisierung der Wechselkurse und der Rohstoffpreise, der andere zur direkten Finanzierung von Technologietransfer, Bildung, Gesundheit, Energieversorgung und Umweltsanierung, vor allem im Süden. Finanziert werden sollen die Fonds durch drei globale Steuern: eine auf die Finanztransaktionen – die Tobin-Steuer –, eine auf die Direktinvestitionen der Multis und eine „Einheitssteuer“, die es ihnen unmöglich macht, ihre Gewinne dorthin zu schieben, wo sie gering oder gar nicht besteuert werden.
Die „Leitpapiere“ der Foren in Porto Alegre schießen zusammen zur Architektur eines New Deal zwischen Nord und Süd, Arm und Reich. Ob das Konzept „Entwicklungshilfe“ durch das der „globalen Steuern“ ersetzt wird, ob eine neue politische Rahmenordnung entworfen wird, die jedem Land die Autonomie gibt, seinen Entwicklungspfad selbst zu wählen – immer sind die Überlegungen bezogen auf die Leitidee der globalen Zivilgesellschaft, den Bürgern in allen Weltregionen und Nationen die verlorene Souveränität zurückzugeben. Die Alternative zur konzerngetriebenen Globalisierung ist, fern von aller rückwärts gewandten Nostalgie, ein „wirklicher Globalismus“ (Samir Amin), „der die Ungleichheit zwischen Regionen und Ländern durch ein komplexes Bündel von Verhandlungen, politischen Maßnahmen und Regelwerken systematisch reduziert“.
Utopie? Eher ein Realismus, der nicht der Illusion verfällt, starke, destruktive Interessen durch gutes Zureden zu zähmen. Utopisch wäre es, anzunehmen, dass ein anderer Weg als der eines rechtlich gesicherten Ausgleichs der Welt Sicherheit geben kann: in der Subsahara, in Mittelost, in Manhattan. Es geht um eine zeitgemäße Globalisierung der Demokratie. Die großen demokratischen Revolutionen der Neuzeit entzündeten sich am Kampf um die Besteuerung; das Recht auf Steuern ist die Basis der Volkssouveränität. Heute ist die Wirtschaft global, aber der Rahmen, in dem sie steht, ist es noch nicht. Die erste zentrale Forderung einer weltweiten Demokratiebewegung sind konsequenterweise ein weltweites Steuersystem und die Demokratisierung der großen internationalen Institutionen von der Welthandelsorganisation bis zur Weltbank. Das ist die Botschaft von Porto Alegre und seine Antwort auf den 11. September. Sie ist radikaler als alle sozialen Predigten an Manager, sie ist gerechter als „Infinite Justice“, sie ist friedensstiftender als die Einladung von vierzig Religionsführern ins Waldorf-Astoria. „Eine andere Welt ist möglich“ – auch Porto Alegre gibt eine „Empfehlung, die als Grundlage für Treffen der G-8-Staaten dienen“ kann: einen globalen Sicherheitspakt, der nicht auf Waffen, Kontrolltechnik und Elitenkooperation beruht, sondern auf der Umlenkung eines geringen Teils des überakkumulierten Kapitals aus den Krisen schaffenden Finanzmärkten zur Mehrung des „Reichtums der Nationen“.
Die Botschaft lautet: Die Instrumente liegen auf dem Tisch. Überprüft sie, kritisiert sie, setzt euch auseinander! Oder sagt, dass ihr sie nicht wollt. Sagt, dass der Schock von Manhattan noch nicht groß genug für euch war. Dass ihr immer noch die Utopie hegt, das Abgleiten der Welt in mehr Ungleichheit, mehr Hunger, mehr Chaos und mehr Terror könnte mit weniger als großen Schritten vermieden werden. MATTHIAS GREFFRATH
Vorbereitungspapiere: www.portoalegre2002.org,Susan George: www.tni.org/george/talks/clusters.htm
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