: Wider die Historienschinken
Einmal im Monat zeigen die Kommunalen Kinos in zahlreichen norddeutschen Städten einen polnischen Gegenwartsfilm. An diesem Wochenende präsentiert die Organisatorin Grazyna Slomka mit „Doppelportrait“ das Debüt von Mariusz Front
von JANA BABENDEREDE
Als Krzysztof Kieslowski sich 1994 vom Filmgeschäft zurückzog, gab er zu bedenken: „Die polnische Filmindustrie von heute ist in einer Krise, aber in Polen befindet sich auch alles in der Krise.“ Wie wenig sich dortige Filmschaffende seitdem um die gemeinte ökonomische Notlage geschert haben, stellen seitdem nicht nur zahlreiche junge Regisseure und Regisseurinnen mit niedrig budgetierten Gegenwartsfilmen unter Beweis, sondern auch eine Reihe von großen Historienschinken, zumeist Verfilmungen der polnischen Nationalliteratur wie Wajdas Pan Tadeuz. Gerade Letztere werden vom einheimischen Publikum in Scharen besucht, und so erscheint heute, knapp zehn Jahre nach Kieslowskis Verdikt, die Krise des polnischen Kinos vor allem eine Krise der internationalen Wahrnehmung zu sein.
Das zu ändern, hat im kleinen Rahmen, doch mit gewaltigem Aufwand und ohne jede Bezahlung, seit einigen Jahren Grazyna Slomka für den norddeutschen Raum übernommen. Sie betrieb früher in Polen Kinos, wohnt seit 1995 in Langenhagen und fährt inzwischen einmal im Monat die Kopien jüngerer polnischer Filme eigenhändig durch Norddeutschland, jeweils für eine Aufführung pro Ort.
Begonnen hat alles 1997 in Hannover mit einer Retrospektive des polnischen Kinos im Kommunalen Kino (KoKi). Die Zusammenstellung dieser über 30 Filme und die Einladung der zahlreichen Gäste besorgte Slomka, indem sie ihre vielfältigen Kontakte in Polen nutzte und mit „Film Polski“ in Warschau neben dem KoKi einen weiteren Kostenträger auftrieb.
Der große Erfolg der Retrospektive führte zu einer Fortsetzung der Zusammenarbeit im Rahmen der Expo-Initiative „Weltkino“ 1999 interessierte sich die „Polnisch-Deutsche Sozial-Kulturelle Gesellschaft“ in Lübeck dafür, die Vorführungen auf das dortige KoKi auszuweiten. Es folgten Kiel, Hamburg und Bremen, und heuer Braunschweig. Inzwischen stürzen sich nicht nur in Deutschland lebende Polen, sondern auch zahlreiche deutsche Zuschauer einmal im Monat auf die wenigen Karten der kleinen Kinos.
Wer an diesem Wochenende eine der Vorführungen besucht, erfährt zugleich eine Menge über die Entstehungsbedingungen von Autorenfilmen in Polen. Denn Mariusz Front wagte sich für sein Doppelportrait (Portret podwójny) an ein Film-im-Film-Projekt. Michal (Maciej Adamczy) und Ewa (Elzbieta Piekacz, die zugleich am Drehbuch beteiligt war) sind gerade nach Warschau gezogen, um dort ihr Glück zu versuchen, er möchte als Regisseur arbeiten, sie als Schauspielerin.
Die Kamera folgt Ewa zu ersten, teilweise entwürdigenden Castings, begleitet Michal zu Treffen mit eitlen Produzenten, aus deren Mündern sich ein Wortschwall von Gemeinplätzen über sein Skript ergießt: „Film-im Film, das haben wir doch schon hundertmal gesehen.“, „Deine Generation ist viel zu düster drauf.“ und „Wer soll denn für so was Geld geben?“ Es hagelt Ablehnung um Ablehnung. Doch Michal lässt sich auch durch die harsche Kritik seiner Freunde nicht entmutigen.
In rauen und flüchtigen Videobildern hat Front das Leben der beiden zwischen glitzernder Konsumwelt, Supermarktjob, Familienbesuchen in Katowice, Warschauer Straßenszenen und ihrer kleinen, vollgerümpelten Wohnung beinahe dokumentarisch entworfen. Schöner lässt sich die gänzlich unlarmoyante Haltung nicht auf den Punkt bringen, mit der junge polnische Regisseure und Regisseurinnen der behaupteten Krise begegnen.
heute, 20.30 Uhr, Kino 46, Bremen; 11.10, 17.30 Uhr, KoKi Hannover; 12.10., 15 Uhr, KoKi Lübeck; 12.10., 19 Uhr, Metropolis, Hamburg; 13.10., 20 Uhr, Universum Kinocenter, Braunschweig
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