piwik no script img

Exodus nach Debatte

Die Kirche feiert 475 Jahre Reformation in Hamburg, kodifiziert durch eine neue Kirchenordnung. Papisten verlieren Redeschlacht. Festprogramm

von GERNOT KNÖDLER

Das spektakulärste Ereignis der Reformation in Hamburg ist bereits 476 Jahre her: Am 28. April 1528 unterlagen die Anhänger der römischen Kirche in elfstündiger Redeschlacht den Protestanten. Die Theologen alten Glaubens wurden vor die Wahl gestellt, abzuschwören oder die Stadt zu verlassen. Johannes Bugenhagen erhielt den Auftrag, Hamburg protestantisch zu organisieren. Seine Kirchenordnung wurde im Mai 1529 verkündet. Der Kirchenkreis Alt Hamburg veranstaltet aus diesem Anlass eine Festwoche, deren Höhepunkt heute abend eine „Nacht der Kirchen“ bildet.

Mit der berühmt gewordenen Disputation entschärfte der Rat der Stadt einen Konflikt, der das Deutsche Reich mehr als 100 Jahre lang unter hohem Blutzoll beschäftigen sollte. Während der Rat zur römischen Kirche hielt, hatte viele Bürger die Neuerungen der Reformatoren schätzen gelernt. Diese beteten und predigten auf Plattdeutsch statt auf Latein. Das Christentum wandelte sich vom für Laien schwer durchschaubaren Zauber in eine aufklärerische Veranstaltung. Prediger wie der Franziskanermönch Steffen Kempe eroberten die Herzen nicht zuletzt mit scharfer Kritik an der Korruption und Verschwendungssucht der katholischen Geistlichkeit.

Bugenhagens Reform demokratisierte die Armenfürsorge und humanisierte die Schule. Die Verwaltung der Almosen ging aus den Händen oft korrupter Priester an ein Gremium von lutherischen Ehrenamtlichen über: die Oberalten. Sie verteilten das Geld als Hilfe zur Selbsthilfe oder zur Genesung.

In seiner Schulordnung nahm Bugenhagen den ganzen Menschen in den Blick. Er setzte antike Dichter wie Terenz, Ovid und Plautus auf den Lehrplan, aber auch Komödienspiel und Kolloquien. Er sah Ruhezeiten vor und erwartete von den Lehrern, dass sie sich auf ihre Schüler einstellten. „Der Schüler ist kein Ding, das passgerecht geformt irgendwo später in der Gesellschaft eingebaut werden soll, sondern ein Wesen, Geschöpf Gottes, dessen freie geistige Entfaltung ermöglicht werden soll“, kommentiert Bischöfin Maria Jepsen.

Die Demokratisierung der Kirchspiele durch gewählte Gremien schließlich kann als Vorläufer der heutigen Kommunalverfassung mit ihrer Gliederung in Bezirke verstanden werden. Sie standen jetzt innerhalb der bürgerlichen Ordnung und waren nicht mehr Teil einer geistlichen Sondersphäre.

Das Programm der Festwoche ist unter www.entschieden-evangelisch.de im Internet zu finden. Sie umfasst Festveranstaltungen, Diskussionen, Stadtführungen und Konzerte. Zu den Highlights gehört eine Aufführung des Stückes „Unschuld“ im Thalia-Theater am Donnerstag. Vorneweg diskutiert die Autorin Dea Loher mit Pastorin Ulrike Murmann.

Die Nacht der Kirchen konnten die Gemeinden frei gestalten, sodass sehr unterschiedliche Programme angeboten werden. Während in der Winterhuder Paul-Gerhardt-Kirche ein fünfstündiger Gottesdienst zelebriert wird, bietet die Barmbeker Bonifatius-Gemeinde Gospel-Workshops mit Konzerten an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen