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Rabbiner und Imame im Dialog

Der erste Weltkongress dieser Art ist gestern in Brüssel zu Ende gegangen. In einer gemeinsamen Abschlusserklärung der rund hundert Teilnehmer werden Gewalt und religiöse Intoleranz verurteilt

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Als Europa am Mittwochmittag für drei Minuten schwieg, um der Opfer der Flutkatastrophe zu gedenken, erhoben sich auch im Palais Egmont in Brüssel die Tagungsteilnehmer zu einer Schweigeminute. Doch still wurde es nicht. Nacheinander traten einige der weltweit einflussreichsten Rabbis und Imame ans Mikrofon, um in Betgesängen die Opfer des Tsunami zu ehren. Glaubensführer der zwei antagonistischen Weltreligionen im Gebet vereint – es blieb nicht die einzige bewegende Szene beim ersten Weltkongress der Imame und Rabbiner.

Ursprünglich hätte das Treffen schon vor einem Jahr unter der Schirmherrschaft des marokkanischen Königs in Casablanca stattfinden sollen. Doch die Anschläge vergangenen März in Madrid, dann Arafats Tod und die anstehende Wahl eines Nachfolgers machten die Sicherheitslage dort immer unkalkulierbarer. Deshalb sprang der belgische König Albert II. als Gastgeber ein. Belgier sind Meister im Improvisieren – und das passte gut zum Arbeitsstil des kleinen französisch-schweizerischen Freiwilligenteams, das die Tagung vorbereitet hatte.

Geistiger Vater der Idee, nicht die politischen Folgen der religiösen Spaltung zu bekämpfen, sondern die Ursachen zu beseitigen, ist der französische Katholik, Idealist und Träumer Alain Michel. Im Sommer 2003 hatte er in der Schweiz schon einmal vierzig geistliche Würdenträger beider Religionen zusammengebracht, damit sie abgeschirmt von der Öffentlichkeit einen ersten vorsichtigen Dialogversuch wagen sollten. Gestern konnte Michel die Früchte dieser langen Vorarbeit ernten und eine gemeinsame Erklärung der einhundert Rabbis und Imame verlesen, in der Gewalt im Namen der Religion und religiöse Intoleranz in deutlichen Worten verurteilt werden.

Die Teilnehmer verpflichteten sich, nach der Rückkehr zu Hause in ihrer Nachbarschaft interreligiöse Zellen zu bilden. Daraus soll ein Frühwarnsystem für religiösen Konfliktstoff und gewaltverherrlichende Inhalte entstehen. Ein Gremium hoher Würdenträger beider Religionen soll als schnelle Eingreiftruppe gegen religiöse Gewalt unmittelbar auf Vorfälle wie den Mord an dem holländischen Filmemacher Theo van Gogh reagieren.

„Wir sind eigentlich ein anständiges Land“, hatte der holländische Rabbi Awraham Shalom Soetendorp am Vortag in Anspielung auf diesen Mord gesagt. Als 1943 in Holland geborener Sohn jüdischer Eltern, der dem Mut einer deutschen Katholikin sein Überleben verdankt, fühle er sich dem Dialog der Religionen ganz besonders verpflichtet. „Gerade als Juden können wir die Stigmatisierung von Muslimen nicht hinnehmen.“ Als Soetendorp geendet hatte, fand er sich in einer Bärenumarmung wieder: Der kenianische Sheikh Jussuf Murigu war barfüßig auf ihn zugestürmt und hatte ihn gerührt in die Arme geschlossen.

Es sind Szenen wie diese, die das Treffen in Brüssel für viele Teilnehmer zu einem großartigen Erlebnis machten. „Ich war noch nie in einem Raum mit so vielen muslimischen Gelehrten“, sagte fast ehrfürchtig Rabbi Alan Unterman aus Manchester. „Das hat mir die Augen geöffnet. Unsere Schlusserklärung mag aus glatten Worten bestehen, doch unsere Sicht auf die Welt wird nie mehr dieselbe sein, da wir nun wissen, dass wir alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben.“

Drei gemeinsam verbrachte Tage in einem Freiraum irgendwo zwischen Weltpolitik und Studierstube. Am Ende wurden alle Teilnehmer aufgefordert, innerhalb von sechs Monaten schriftlich über ihre Fortschritte zu berichten. Pläne gibt es genug: Ein gemeinsames Wörterbuch religiöser Fachausdrücke, Standards für religiöse Führer, touristische Friedensprojekte, zum Beispiel entlang der historischen Reiseroute Abrahams, gemischte Schulbuch- und Universitätskomitees, um die Information über die jeweils andere Religion zu verbessern.

Warum keine christlichen Würdenträger dabei waren, wurde Alain Michel von Journalisten oft gefragt. Am Ende verriet er, dass zehn katholische Ordensgemeinschaften während der ganzen Tagung für den Erfolg gebetet hätten. Und er verabschiedete die Teilnehmer mit den Worten: „Nächstes Jahr in Jerusalem.“

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