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Appell gegen den Tod

Knapp eine Milliarde Dollar Soforthilfe für ein halbes Jahr fordert Kofi Annan für die Flutopfer

VON DOMINIC JOHNSON

„Die Tsunamis überschwemmten Küstengebiete und zerstörten Häuser und Gebäude, Straßen und Brücken, Wasser- und Stromversorgung, Ernten, Bewässerungssysteme, Fischerei, Nahrungsmittel- und Treibstoffversorgung. Bis heute haben geschätzt 139.000 Menschen ihr Leben verloren und rund 18.000 werden noch vermisst. In den betroffenen Gebieten hat das Wirtschaftsleben aufgehört; Unternehmen sind zusammengebrochen. Millionen von Menschen haben mit angesehen, wie ihre Familien und Gemeinschaften zerrissen wurden.“

In knappen Worten schildert der gestern veröffentlichte UN-Hilfsappell für die Opfer der Flutkatastrophe im Indischen Ozean die Lage, aufgrund derer die Weltorganisation für das erste Halbjahr 2005 knapp eine Milliarde Dollar sucht – genau genommen 976.975.467 Dollar zur Finanzierung der Soforthilfe von rund 40 Hilfsorganisationen inner- und außerhalb des UN-Systems. „Wir haben den Überlebenden gegenüber die Pflicht, eine zweite Welle des Todes zu verhindern, die diesmal vermeidbare Ursachen hat“, sagte UN-Generalsekretär Kofi Annan auf der Geberkonferenz in Indonesiens Hauptstadt Jakarta, bei der der Appell lanciert wurde.

Größtes Empfängerland soll Indonesien sein mit 371,5 Millionen Dollar, davon die Hälfte für Notunterkünfte. Für Sri Lanka sind 166,9 Millionen vorgesehen, wobei Infrastrukturmaßnahmen im Vordergrund stehen. Die Malediven brauchen 66,5 Millionen, Somalia 10,1 und die Seychellen 8,9 Millionen Dollar. Die verbleibenden 352,9 Millionen Dollar werden ohne Länderbestimmung eingeplant, darunter fast die gesamte anvisierte Bereitstellung von Lebensmittelhilfe, die knapp 215 Millionen Dollar kosten soll. Nicht einbezogen in den Hilfsappell sind Indien und Thailand.

Der Appell ist aufgeschlüsselt in eine Vielzahl von Projekten einzelner Organisationen mit einzelnen Budgets – von 169.315 Tonnen Lebensmittelhilfe für zwei Millionen Menschen durch das UN-Welternährungsprogramm (185,5 Millionen Dollar) bis zu einem Mülltrennungsprogramm für die Malediven (200.000 Dollar) oder Sexualaufklärung für maledivische Kinder (150.000 Dollar). Auffällig ist, dass private Hilfswerke, vor allem einheimische wie Islamic Relief Indonesia, sehr viel billiger sind als UN-Unterorganisationen. Von den in Deutschland häufig als Spendensucher anzutreffenden Organisationen steht an erster Stelle das UN-Kinderhilfswerk mit 144,5 Millionen Dollar. Dies soll vor allem in „Koordinierung, Unterstützung und Anleitung“ lokaler Hilfsaktionen fließen.

Zur Koordination der Hilfe plant das UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Hilfe (Ocha) die Einrichtung eines Regionalbüros in Thailands Hauptstadt Bangkok mit Außenstelle in Sumatra, der indonesischen Insel mit der am schwersten betroffenen Region Aceh. Der Appell betont die Notwendigkeit der Frauenförderung, unter anderem da in den Bürgerkriegsgebieten von Aceh, Sri Lanka und Somalia „Frauennetzwerke der Schlüssel zu emotionaler, sozialer und wirtschaftlicher Heilung sind“. Auf Aceh seien wegen des Krieges 70 Prozent der vier Millionen Einwohner weiblich.

Die Finanzierung des Appells dürfte kein Problem darstellen, anders als bei anderen UN-Appellen, da Ocha bis gestern bereits 1,651 Milliarden Dollar an Hilfszusagen registriert hat und sich die Gesamtsumme auf über vier Milliarden Dollar beläuft. Unter dem Eindruck von Ängsten, es könnte bald Geld für andere Hilfsaktionen der UNO fehlen, zum Beispiel in Sudan, forderte Großbritanniens Finanzminister Gordon Brown gestern zusätzlich eine Verdoppelung der Entwicklungshilfe weltweit.

Neben Hilfe für die Flutopfer müsse die Weltgemeinschaft auch die Einhaltung der UN-Millenniumsziele zur Halbierung der weltweiten Armut bis 2015, einen „Marshall-Plan“ insbesondere für Afrika und einen umfassenden Schuldenerlass finanzieren, sagte Brown in einer Grundsatzrede im schottischen Edinburgh. 2005 könne für die globale Armutsbekämpfung „ein Jahr der Herausforderungen, aber auch ein Jahr der Chancen“ sein.

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