Serie Gentechnik (Teil 4): Ein Biologe sagt: Halt!
■ Genetechniker und Biologen - Wissenschaftler der Zukunft? / Der Wunsch nach dem Qualitätskind / Das vorsätzliche Ende einer Karriere
taz: Machen Sie beruflichen Selbstmord? Jaques Testart: Mein Labor ist das beste in Frankreich und eines der besten der Welt. Von dem Moment an, da uns neue Dinge begegnen, und wir sie nicht verfolgen, steigen wir freiwillig aus dem internationalen Wettlauf aus. Das ist eine Form von Selbstmord. Warum der Selbstmord jetzt? Ich will nicht die in meinen Augen exemplarische Veränderung einleiten, die darin besteht, das befruchtete Ei zu erforschen. Zu sehen, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, welche Anomalien es trägt. Das ist das Projekt der Zukunft, für das sich viele meiner Kollegen interessieren. An dieser Stelle liegt für mich der Wendepunkt. Lassen Sie uns zunächst auf Ihre bisherige Arbeit zurückblicken. Ist die in–vitro–Befruchtung für Sie heute Routine? Wir machen das seit sechs Jahren, und seit vier Jahren klappt es nicht schlecht. Bei uns sind bisher 230 Babys geboren worden; da kann man wohl von Routine sprechen. In Ihrem Labor wurde 1982 das erste französische Reagenzglasbaby Amandine geboren. Es war zwar keine Weltpremiere mehr, aber es wurde sehr gefeiert. Für mich war es ein Triumpf über mich selbst und die Technik, jedoch kein Triumpf für die Gesellschaft. Hat Ihnen diese Technik nicht damals schon Sorgen gemacht? Die in–vitro–Befruchtung ist ein Weg zur Beherrschung der menschlichen Zeugung. Anfänglich wurde sie bei sterilen Paaren in ganz bestimmten Fällen angewendet, nämlich wenn die Frau keine Eileiter hatte oder diese verstopft waren. Heute ist das nur noch bei 60 Prozent der Fälle der Grund für die in–vitro–Befruchtung. In anderen Fällen aber wird Sterilität zum großen Teil vorgetäuscht. So haben fünfzig Paare, die bei uns auf der Warteliste standen, ein Kind noch vor der Behandlung bekommen. Es kommen Leute ohne jede Anzeichen von Sterilität zu uns. Vielleicht haben sie eine psychische Barriere und geben vor, ein Kind zu wollen, das sie eigentlich nicht wollen. In diesen Fällen ist der Eingriff eine Vergewaltigung. Wie definieren Sie Sterilität? Es gibt keine wissenschaftliche Definition von Sterilität. Man nennt es heute in Frankreich eine „ungeklärte Sterilität“, wenn ein Paar zwei Jahre verheiratet ist und dann noch kein Kind hat. In den USA zählt man nur ein Jahr. Die Definition von Sterilität ist somit eine Frage der jeweiligen medizinischen Praxis. Nun ist es heute bereits vorstellbar, daß man mit der Labor–Befruchtung „eine höhere Effizienz als in der Natur erreicht. Würde das nicht heißen, daß alle Menschen aus unerklärlichen Gründen steril sind, weswegen aber kein Grund zur Sorge bestünde, da die künstliche Zeugung dieses Problem löst? Schon jetzt gibt es einen Trend in der Bevölkerung hin zu solchen hochentwickelten Methoden, die sie für ihre Reproduktion eigentlich nicht benötigt. Ich finde das schlimm. Sie schreiben, daß Sie bei Ihren Forschungen über die künstliche Befruchtung, die Sie ja schließlich noch betreiben, im Zwiespalt gegenüber ihren langfristigen Folgen einerseits und den augenblicklichen Erleichterungen für die Paare andererseits stehen. Ich habe meine Arbeit nicht völlig aufgegeben. Ich betreibe weiter Forschungen und Therapien zum Kampf gegen die Sterilität. Bis heute ist das Ei dem Menschen immer verborgen geblieben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit kann man es nun im Labor haben, in der Hand sozusagen. Zwangsläufig entsteht die Idee, das Ei zu erforschen oder zu verändern. Wie man Qualitätskinder erzeugt Sie stehen heute vor der Perspektive, das Geschlecht eines Embryos nach Wunsch der Eltern festlegen zu können Genau an diesem Punkt habe ich Schluß gemacht. Einer Gruppe französischer Genetiker ist vor kurzem die Weltpremiere gelungen, das Geschlecht eines Kuhembryos anhand einer Sonde, mit der man das männliche y–Chromosom erkennen kann, zu bestimmen. Sie haben bereits eine ähnliche Sonde für den Menschen und boten mir die Zusammenarbeit an. Ich habe abgelehnt. Andere werden es akzeptieren. Damit war für Sie der Wendepunkt erreicht? Ja. Natürlich gibt es gute medizinische Gründe für die Anwendung solcher Methoden. So kann in einer Familie beispielsweise mit dem Geschlecht des Kindes ein großes Risiko für eine Anomalie verbunden sein. Die Bluterkrankheit zum Beispiel gibt es nur bei Männern. Aber eines ist sicher: wenn die Technik der Geschlechtsbestimmung in einem Labor erst einmal vorhanden ist, dann haben wir ein neues Bedürfnis geschaffen. Die Leute können dann das Qualitätskind haben, das ihren Wünschen entspricht und werden deshalb zur künstlichen Befruchtung kommen. Wie kann sich die Zusammenarbeit zwischen Genetikern und Reproduktionsmedizinern fortsetzen? Diese Zusammenarbeit hat es ja bisher nicht gegeben. Mein Job war es, mit biologischen Methoden einem sterilen Paar zu helfen, ein Kind zu bekommen. Wir haben die Sameneizellen genommen und der Zufall hat die Mischung bestimmt wie bei der Liebe im Bett. Wenn nun die Genetik hier einsteigt, dann zunächst, um eine Diagnose zu erstellen. Man wird sagen: dieses Ei ist gut, dieses Ei ist schlecht, also werfen wir es weg. Man wird über das Geschlecht des Eis hinaus die mongoloiden Fälle erkennen können und vieles mehr. Und dann wird man definieren müssen, was eine Anomalie ist. Der Definition der Anomalie wird es genauso wie der Definition der Sterilität ergehen: sie wird sich ändern. Je besser die Technik, desto mehr umfaßt die Definition. Wir werden alle aus unerklärlichen Gründen steril und anormal sein. Die Diagnose aber ist nur der erste Schritt. Sie führt zu der Entscheidung das Ei anzunehmen oder wegzuwerfen. Der zweite Schritt ist die Modifikation. Modifikation heißt, das Ei durch Einführung von Genen zu verändern, bevor man es in die Gebärmutter gibt. Das ist dann die pure Erbhygiene. Aber ich glaube, schon das Wegwerfen von Eiern ist Erbhygiene. Wann wird man soweit sein, das menschliche Ei modifizieren zu können? So schnell geht das nicht. Man wird sehr bald das Geschlecht des Eies und einige Anomalien feststellen können, weil es die genetischen Sonden schon gibt. Die genetischen Modifikationstechniken funktionieren heute jedoch selbst bei Mäusen noch sehr schlecht. Um so besser! Aber dabei bleibt es nicht. Heute bereits erkennt man auf den menschlichen Chromosomen bestimmte Charakteristika. Eines Tages, vielleicht in einer Generation, werden wir sagen können: dieses Ei hier bekommt blaue Augen oder große Füße, was auch immer. Diese immer genaueren Analysen bergen die Gefahr. Aber auch ohne den Fortschritt in der Modifikationsgenetik glaube ich, daß in der nächsten Generation die meisten Leute Gefahr laufen, sich mit künstlichen Methoden zu reproduzieren, da sie der Qualität des Kindes sicher sein möchten. Kampf gegen die eigene Zunft Wie reagieren Ihre Kollegen auf Ihre Ansichten? Die Wissenschaft ist gespalten. Bei den Geisteswissenschaftlern bin ich auf viel Sympathie gestoßen. Bei den Naturwissenschaftlern stoße ich auf Verachtung. Ich fühle mich allein. Etwa zehn Kollegen haben mir positiv geantwortet. Mit ihnen will ich versuchen, zusammenzuarbeiten. Die anderen aber sagen: man kann den Fortschritt nicht aufhalten; du bist wie die, die nicht an die Elektrizität glauben wollten. Dem größten Unverständnis aber begegne ich bei den Medizinern. In der Tat werden alle bio– medizinischen Techniken von Biologen entwickelt, jedoch profitiert die Medizin davon: Ärzte wenden die Techniken an und verdienen viel Geld damit. Der Biologe bleibt im Vergleich dazu arm. Hoffen Sie auf eine soziale Kontrolle Ihrer Wissenschaft? Man könnte davon träumen. Aber die Medizin ist heute frei, das zu tun, was sie will. Das hat sie sich erkämpft, und es wird sehr schwer sein, ihren Sieg wieder in Frage zu stellen. Wenn wir aber die ethischen Probleme ernstnehmen wollen, die die Wissenschaft stellt, werden wir um eine Frage nicht umhin kommen: der Fortschritt, was ist das? Gibt es ihn wirklich? Wir brauchen eine große soziale Debatte. Wollen Sie eine ähnliche Bewegung entfachen, wie die kritischen Atomwissenschaftler in den fünfziger Jahren? Vielleicht. Nur ist die nukleare Gefahr sehr viel leichter zu verstehen. Ich bin Atomgegner. Es reicht, eine Seite über den nuklearen Winter zu lesen, um zu sagen: das ist verrückt, aufhören! Die Dinge, die ich sage, erzeugen nicht die gleiche Betroffenheit. Vor allem, weil ich gegen den medizinischen Fortschritt angehe, aber alle Angst davor haben, krank zu werden oder zu sterben. Jeder glaubt, von der Medizin gerettet werden zu können. Der alte Mythos vom unfehlbaren Doktor lebt. Das Atom tötet, der Doktor läßt leben. Die Gefahr der Gewöhnung Glauben Sie an ein biologisches Tschernobyl? Tschernobyl war brutal. Die Entwicklung, von der wir reden, hat hingegen etwas Beiläufiges. Nie wird es einen Moment geben, an dem wir sagen können: Voila, jetzt ist es soweit. Es wird Generationen dauern, bis sich unsere Lebensweise vollkommen verändert hat. Und das ist gefährlicher als Tschernobyl. Für jedermann war Tschernobyl verrückt und gefährlich, während wir uns an den bio– genetischen Prozeß jeden Tag ein Stückchen mehr gewöhnen. Steht Ihre Befürchtung, wir befänden uns auf dem kriminellen Weg in die Polizeigesellschaft, in diesem Zusammenhang? Die Beherrschung der menschlichen Zeugung bringt nicht nur Vorteile für strikt autoritäre Systeme, sie bringt Vorteile für jedes kapitalistische oder kommunistische System, das die Bevölkerungsentwicklung unter Kontrolle bekommen will. Man soll sich über die Demokratien keine Illusionen machen. Man bringt uns die neuen Lebensweisen nicht mehr mit der Gewalt, aber um so leichter per Fernsehen bei. Ganz sanft. Dabei führt man uns heute zu etwas sehr Gefährlichem. Sollten die Demokratien eines Tages verschwinden, wird es ein leichtes Spiel sein. Man wird dann besser sein, sehr viel besser als Hitler.
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