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„Hoch die Überlebenden von Guernica!“

■ In der baskischen Kleinstadt genau 50 Jahre nach der verheerenden Bombardierung durch die deutsche „Legion Condor“ / Am Sonntag tauchten wieder Flugzeuge auf: Diesmal warfen sie Blumen statt Bomben ab

Aus Guernica Antje Bauer

„Jetzt vor 50 Jahren“, Natividad Echaniz Zarandona schaut auf die Uhr, „war ich im Unterschlupf.“ Dann hebt sie den Sektkelch, brüllt: „Hoch die Überlebenden!“ und ihre sieben Freundinnen am Tisch schreien „Hoch!“ und dann wird Sekt getrunken, ich krieg auch ein Glas, baskische Lieder werden gesungen, die Leute an den anderen Tischen schunkeln mit, Natividad tanzt. In der „Taverna Vasca“ wird der fünfzigste Jahrestag der Bombardierung Guernicas durch die deutsche Legion Condor begangen. „Wir reden ständig über die Bombardierung“, sagt Natividad. „Wenn man älter wird, erinnert man sich noch mehr. Wenn ich durch die Stadt gehe, denke ich immer daran, wie es aussah, als Gu ernica damals in Flammen stand.“ Doch dann ist gleich wieder Schluß mit der Trauer, der Frauenchor kräht: „Kuba, wie schön ist Kuba, jaja, nach Kuba will ich hin!“, die Männer an den anderen Tischen grinsen. Und dann ein Gruppenfoto von den Frauen und noch eins: „Überlebende mit Deutscher“. Ganz Guernica war am Sonntag auf den Beinen, die Zufahrtsstraßen ins Städtchen verstopft. Über den Straßen hingen Kleinausgaben der baskischen Nationalfahne, aus vielen Fenstern wehte die Fahne mit einem schwarzen Trauerflor. Am Vorabend hatten zwei baskische Liedermacher im Fronton, der Pelota–Spielhalle, vor Tausenden Jugendlichen ein Konzert gegeben. „Das ist alles Politik hier“, hatte mein Nachbar, der 16jährige Juan, gesagt. „Das wird von Herri Batasuna organisiert, hinter der steht die ETA. Das ist nichts für mich.“ Juan ist gläubiger Katholik und singt im Kirchenchor. „Wenn du morgen zur Messe gehst und hörst von der Empore so nen Krach, dann ist das unser Chor“, sagt er. Aber die Kirche Santa Maria, in der am Sonntag ein Gedenkgottesdienst abgehalten wurde, war voll bis auf den letzten Platz. Bis vor die Tore standen Guernicas Bürger im Sonntagsstaat. Und während von innen gedämpft Choräle drangen, tanzte zehn Meter hügelabwärts der Festzug des militanten Guernica vorbei: mit Trommeln und Blasmusik, Folkloretänzen und Sprechchören: „Ausweisungen nein“, „Es lebe das autonome Baskenland“. In der Casa de Juntas, dem Repräsentationsbau von Guernica neben der heili gen Eiche, fand unterdessen der offizielle Festakt statt: Der baskische Regierungschef Ardanza war mit Gefolge angereist, um Reden zu halten und eine Gedenkplastik neben der heiligen Eiche einzuweihen. Zu ihrem Schutz hatten sich in der Nähe einige Dutzend Mitglieder eines mobilen Einsatzkommandos der baskischen Polizei mit schwarz vermummten Gesichtern niedergelassen - auch das gehörte zu Guernica an diesem Tag. Durch die Straßen der Stadt wälzte sich ein endloser Strom von Leuten. An den Arkaden im Zentrum waren Zeichnungen von Schülern zum Thema Bombardierung ausgestellt. An vielen Gebäuden hingen Fotos vom Zeitpunkt der Bombardierung, die sie in Flammen zeigten. Bilder des Grauens und der Zerstörung. Und als am Nachmittag - wie schon am Tag zuvor - Motorsportflugzeuge tief über Guernica hinwegflogen und die Stadt mit Blumen „bombardierten“, krallte sich eine kleine alte Frau in meinen Arm und sagte: „Jesus, Jesus, was diese Flugzeuge mir Angst machen.“ Dennoch ist dies kein Trauertag. In der Hauptstraße steht ein zehn Meter hoher Plastikregenbogen, hervorragend als Hintergrund für Familienfotos geeignet, Kinder ziehen mit herzförmigen Luftballons umher, in den Bars spielen alte Männer Karten und die Jugend von Guernica pfeift sich ein Weinchen nach dem anderen ein. Vor der Stadt sitzen Matronen mit großen weißen BHs im Kreis ihrer Lieben im Gras und picknicken. Und selbst die Abschlußveranstaltung der Kommission von Guernica, die zehn Tage lang Kultur–, Musik– und Diskussionsveranstaltungen organisiert hat, erfreut sich nur mäßiger Beteiligung: Viel angenehmer ist es, im Gras zu liegen und in den Frühling zu träumen, als ein weiteres Mal zu hören, daß Guernica ein Symbol des Friedens und für das Recht auf Selbstbestimmung für alle Völker ist. Am Samstag war ein „Kongreß für Frieden und Selbstbestimmung“ zu Ende gegangen, an dem auch Brigitte Heinrich und Fritz Teppich, ehemaliger baskischer Soldat und Mitglied der Friedensliste, sowie Abgesandte aus Libyen, Nicaragua und des ANC teilgenommen hatten, und der letztlich der öffentlichen Bekräftigung des Rechtes aller Völker auf einen Kampf für ihre Befreiung gedient hatte. Am Montag morgen ist wieder Normalität in Guernica. Die Schüler strömen in die Schule, im Lauf des Tages werden die politischen Plakate abgehängt, mit denen Anhänger von Herri Batasuna die Stadt überzogen haben, Hausfrauen gehen zum Markt. „Dies ist das einzige Mal, daß der Jahrestag der Bombardierung so gefeiert wird“, sagt Natividad, „denn in 25 Jahren, wenn es wieder ein historisches Datum ist, sind die meisten von uns doch tot. Aber ich“, fügt sie hinzu, „ich will noch wenigstens 20 Jahre leben. Hoch die Überlebenden!“.

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