: Das Sommerloch, das Grenzen schloß
■ Vor einem Jahr schien die Bundesrepublik durch die „Asylantenflut“ vom Untergang bedroht - was ist aus dieser von Politikern und Medien geschaffenen Bedrohung geworden? / von Vera Gaserow
Vor genau einem Jahr erlebte die Bundesrepublik eine bisher beispiellose Kampagne gegen ausländische Flüchtlinge. 5 bis 10.000 neuankommende Asylsuchende im Monat versetzten die Nation in Panikstimmung und dokumentierten dabei weniger die Grenzen der viel beschworenen Belastbarkeit als vielmehr die beschämend engen Grenzen der Toleranz eines Landes, aus dem vor 50 Jahren selber Tausende ins Exil flüchten mußten. Wenige Wochen später, mit Ende des Sommerlochs, war diese Kampagne vorbei, denn sie hatte ihre Funktion erfüllt. Sie hatte ein Klima geschaffen für eine Asylpolitik der geschlossenen Grenzen und hat zahlreichen neuen gesetzlichen Bestimmungen über die parlamentarischen Hürden geholfen. Die Folgen dieses „Sommerlochs“ lassen sich heute, ein Jahr danach, schon allein an den bloßen Zahlen ablesen: trotz unveränderter Lage in den Hauptflüchtlingsländern, kommen nicht einmal mehr halb so viel Asylbewerber in die Bundesrepublik wie im letzten Jahr. Hatten im letzten Jahr rund 100.000 Ausländer einen Asylantrag gestellt, so waren es im ersten Halbjahr 87 bisher nur 22.000. Und anders als in den letzten Jahren kommen die meisten von ihnen nicht aus den Krisen– und Hungergebieten der Dritten Welt, sondern aus dem Ostblock. Unsere „polnischen Nachbarn“ sind inzwischen zur zahlenstärksten Flüchtlingsgruppe geworden. „Asylantenschutzwall“ Zu verdanken haben die Politiker diesen drastischen Rückgang der Flüchtlingszahlen einem der beschämendsten politischen Deals der Nachkriegsgeschichte, der Vereinbarung mit der DDR, künftig keine Ausländer mehr ohne Visum über Ost–Berlin in die Bundesrepublk reisen zu lassen. Das deutsch–deutsche Abkommen zur Schließung des „Schlupflochs Berlin“ im letzten Herbst zeigte prompte „Erfolge“. Nachdem der Umweg über Ost–Berlin in den letzten Jahren für fast Zwei– Drittel aller Flüchtlinge die letzte Möglichkeit war, ohne ein Visum in die Bundesrepublik zu kommen, ist nun die deutsch–deutsche Grenze „asylantendicht“. Auch hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Im vergangenen Sommer kamen im Monatsdurchschnitt fast 1.000 Flüchtlinge von Ost– nach West– Berlin und stellten dort einen Asylantrag. Heute gehen die Zahlen gen Null. Ganze 83 Asylanträge verzeichnete Berlin im letzten Monat, womit die Stadt nicht einmal mehr das nach einem Länderschlüssel festgelegte Aufnahmequantum erfüllt. Zwei Monate nach dem deutsch–deutschen Asylabkommen konnte Innenminister Zimmermann denn auch im Dezember 86 befriedigt feststellen, „daß die Schließung des Schlupflochs Berlin ein wichtiger Erfolg der Bundesregierung war, den unkontrollierten Zustrom von Asylanten einzudämmen“. Aber, so betonte der Innenminister im selben Atemzug, die Bundesregierung habe „keinen Grund, die Hände in den Schoß zu legen“. Und tatsächlich, die Regierungshände wurden rührig. Sie sorgten für eine neue Durchführungsverordnung zum Ausländergesetz und für ein seit Anfang Januar dieses Jahres gültiges neues Asylverfahrensgesetz, das Ausländern bereits den Zugang zum Asylland Bundesrepublik unmöglich machen soll. Unter Andro hung von Bußgeldern und einer Kostenersatzpflicht werden darin Fluggesellschaften verpflichtet, Ausländer ohne Einreise– oder Transitvisum für die Bundesrepublik von einer Beförderung auszuschließen. Wem dennoch der Weg bis an die Grenzen der Bundesrepublik gelungen ist, für den sieht das neue Asylverfahrensgesetz umfangreiche Zurückweisungsmöglichkeiten vor. Nach dem neuen Gesetz dürfen Beamte des Bundesgrenzschutzes an den Grenzübergangsstellen und Flughäfen einem Asylsuchenden die Einreise verweigern, wenn „offensichtlich ist, daß er bereits in einem anderen Staat vor politischer Verfolgung sicher war“. Was „offensichtlich“ ist, entscheidet jetzt häufig schon ein eigens eingerichtetes Lagezentrum im Bundesinnenminsterium wenige Minuten nach der Ankunft eines Ausländers. Bevor die Flüchtlinge überhaupt einen Asylantrag stellen können, hat häufig schon der Bundesgrenzsschutz bestimmt, wer an der Grenze zurückzuweisen ist oder wem gleich auf dem Flughafen die Einreise verweigert wird. Anerkennungsquote bald gleich Null? Aber auch für die wenigen, denen trotz der zahlreichen Hürden die Stellung eines Asylantrages gelungen ist, stehen die Chancen heute schlechter als je zuvor. Beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirn dorf ist die Zahl der positiven Bescheide seit Anfang des Jahres rapide gesunken. Seit nach dem neuen Asylverfahrensgesetz jeder Flüchtling darauf abgeklopft wird, ob seine Fluchtroute ihn vielleicht durch ein Drittland geführt hat, in dem er nach Meinung der Zirndorfer Sachbearbeiter vor Verfolgung sicher war, werden jetzt nur noch verschwindend wenige Ausländer als politische Flüchtlinge anerkannt. 1985 bekam - trotz restiktiver Richtlinien - noch ein Drittel aller Flüchtlinge vom Zirndorfer Bundesamt den Status „asylberechtigt“ zuerkannt. 1986, zur Zeit der großen „Asylantenflut“, waren es dann nur noch 15,9 ist dagegen die Anerkennungsquote mit 10,1 Prozent auf den bisherigen Tiefststand gesunken. Obwohl sich z.B. im Iran die politische Situation um keinen Deut verbessert hat, sank die Quote der Anerkennungen in diesem Jahr von 42,4 auf 31,1 für die bisherige „Renommierflüchtlingsgruppe“, die Afghanen, die bisher am ehesten mit einer Anerkennung rechnen konnten. Hier sank die Zahl der positiven Asylbescheide seit Anfang des Jahres von über 50 Prozent auf 24 durch Pakistan gekommen sind, hätten sie ja Schutz in einem Drittland gefunden, befinden die Prüfer in Zirndorf jetzt. Und noch ein Drittes haben diejenigen erreicht, die vor einem Jahr das Sommerloch mit dem Geschrei von der „Asylantenflut“ füllten: Nach einem Beschluß der Innenministerkonferenz im letzten Herbst wurde der bisher gültige Abschiebestopp für die Flüchtlinge infrage gestellt, deren Asylanträge zwar abgelehnt worden waren, die aber aus humanitären Gründen ein vorläufiges Aufenthaltsrecht, eine Duldung bekamen. Diese Duldung galt bisher vor allem für Flüchtlinge aus Krisen– oder Bürgerkriegsgebieten wie Sri Lanka oder dem Libanon. Berlin hatte nach dieser Innenministerkonferenz mit den ersten Abschiebungen in den Libanon begonnen. Von einer Grundgesetzänderung, wie sie im letzten Sommer in den Vorwahlmonaten von den Politikern mit dem großen C immer wieder gefordert wurde, spricht heute kaum noch jemand. Innenminister Zimmermann klagte zwar erst Anfang dieses Monats wieder: „Der Asylantendruck auf die Bundesrepublik Deutschland hält unvermindert an.“ Doch eine noch weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung scheint selbst einer eigens dafür eingesetzten Bund–Länder–Kommission vorläufig nicht geboten. Entsprechende Vorschläge von Seiten der CDU/CSU, einen sogenannten Grenzrichter für Asylbewerber einzuführen und die Berufungsinstanz für Asylverfahren abzuschaffen, lehnte die Arbeitsgruppe im Mai dieses Jahres durchgängig ab. Das Sommerloch scheint das gewünschte Ziel ausreichend erfüllt zu haben.
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