Betr.: "Klassenloser Luxus"

■ Siebenuhrfünfzig-Jahrfeier, taz vom 17.10.88

(Siebenuhrfünfzig-Jahrfeier), taz vom 17.10.88

Ich bin absolut empört darüber, in einer Zeitung wie der taz das Wort „gaskammervoll“ lesen zu müssen. Es ist mir unverständlich, wie der Artikel von T. K. auf der Kulturseite offensichtlich widerspruchslos gedruckt werden konnte.

Wer derartige Worte benutzt, scheint von dem dazugehörigen Gedankengut nicht weit entfernt zu sein. Diesen Vorwurf mache ich auch denen, die am Druck dieser Ausgabe beteiligt waren.

Marianne Schäfer, Berlin 36

Zehn Jahr Dschungel, ein Grund zum Feiern. Viele sind gekommen, die Stimmung ist gut, es ist voll in den Räumen. Was fällt dem Auto T. K. ein, um das Gedränge zu beschreiben? Es sei, schreibt er „bereits um acht Uhr abends gaskammervoll“ gewesen.

Dieser Vergleich bezeugt ein Ausmaß an historischem Desinteresse, intellektueller Minderwertigkeit und, vor allem anderen, moralischer Verkommenheit, daß uns nur verbale Schläge als eine zu schwache Reaktion erscheinen. Wer so etwas zu Papier zu bringen vermag, dem gehört die deutsche Geschichte ins Hirn geprügelt. Das gilt auch für die Redaktion, die diesen Satz abgesegnet hat.

Frank Segebade, Susann Fischer, Berlin 36

Ich wüßte, nachdem ich einen halben Tag lang überlegt habe und auf keine auch für die taz und T. K. ehrenhafte Antwort gestoßen bin, gern folgendes:

1. Ist T. K. identisch mit dem/der Schreiberin einer kryptischen Fernsehkritik (S. 12), bei der Anselm Kiefer angelastet wird, daß er „in Amerika... bei jüdischen Kennern und Sammlern... den furiosesten Kauftrieb“ erregt? (Diese beiden sind miteinander identisch. d. red.)

2. Was hat sich T. K. gedacht bei der Verwendung des Adjektivs in dem Nebensatz: „daß es... bereits um acht Uhr abends gaskammervoll war“?

3. Was haben sich SätzerIn, KorrekteurIn, RedakteurIn gedacht, als ihnen jenes Wort in jenem Beitrag begegnet sein muß?

4. Hat sich überhaupt irgendjemand irgendetwas gedacht oder ist es zuviel verlangt, von MacherInnen einer Zeitung zu verlangen, das sie denken?

Ich habe durchaus nichts dagegen, diese Fragen öffentlich zu stellen, allerdings nur, wenn sie von euch ebenso öffentlich beantwortet werden.

Pieke Biermann, Berlin 15

Der Artikel rechtfertigte in seiner inhaltlichen Belanglosigkeit, vor allem aber sprachlichen Unzulänglichkeit sicherlich nicht einmal diesen Brief, wenn da nicht auch noch das Wort (3. Spalte, 2. Abs.) „gaskammervoll“ gewesen wäre. Eine Ungeheuerlichkeit, die keine bloße Geschmacksfrage mehr ist.

Christine Hercher, Berlin 19

Anmerkung:

Vielleicht doch eine wachsame, ewil deutsche und somit präzise Wahrnehmung?

Rolf Dieter Brinkmann: „Beobachtung: Sich verrenkende Glieder in Gaskammern voller Musik. Discotheken, eine Kulisse aus Gewalttätigkeit, die zum Schneiden dick als diffuser Dunst aus Schreien, Hitze, Rauch, kostümierten Narren, sich verrenkenden, durcheinanderkollernden Körperteilen besteht; gespenstisch, tatsächlich Gaskammer.“ (aus „Erkundungen“, 1987)

Wie auch immer, in nächster Zeit werden Überlegungen zum Problem der „schlimmen Wörter“ erscheinen.