: taz-intern: Prozeß einer Grenzziehung
■ Auseinandersetzung in der taz über Rassismen, den Umgang mit Geschichte, Sprache und redaktionelle Verantwortung / MitarbeiterInnentreffen beantragt Kündigung zweier Redakteurinnen / Auschwitz darf kein Material für verharmlosende Wortspielereien sein
Am vergangenen Montag faßten 27 RedakteurInnen, TechnikerInnen und Verwaltungsleute der taz mehrheitlich den Beschluß, beim Gesamtplenum der taz Anfang Dezember die Entlassung von zwei Redakteurinnen zu beantragen, die für die Medienseite und die Kulturseiten des Berliner Lokalteils verantwortlich sind. Kündigungen kann in der taz nur das Gesamtplenum, das größte und höchste beschlußfassende Gremium in der Selbstverwaltungsstruktur des Betriebes, aussprechen. Anträge auf Entlassung von Leuten sind in der taz nicht häufig gestellt worden, aber sie kommen vor.
„Hat sich dabei jemand etwas gedacht?“
Unter den 16 MitarbeiterInnen, die am Montag dafür stimmten, hatten einige Leute Bauchschmerzen - ebenso wie manche der elf tazlerInnen, die dagegen stimmten oder sich enthielten. Denjenigen mit Bauchschmerzen war eines gemeinsam: das Bewußtsein, daß es so mit der taz nicht weitergeht, daß eine Grenze gezogen, ein Limit gesetzt, eine Entscheidung getroffen werden muß. Die Bauchschmerzen bezogen sich allein auf Ausmaß und Art der Konsequenzen.
„Das Problem sind nicht die Worte“
Einen Abend nach der Versammlung vom Montag trafen sich die Redaktionen Inland, Ausland und Aktuelles und diskutierten vier Stunden über das, was am Abend zuvor passiert war. Irgendwann sagte jemand, der den Montag nicht miterlebt hatte, halb beeindruckt, halb ironisch: „Das muß ja wohl eine historische Stunde für die taz gewesen sein.“ Irgendetwas in der Art war es. Aber was war eigentlich geschehen?
„Kein üblicher taz-Clinch“
Am 17.Oktober erschienen zwei Artikel von Thomas Kapielski in der taz. In seiner Fernsehkritik auf der Medienseite hieß es, bei „jüdischen Sammlern und Kennern“ errege Anselm Kiefers „Kellerbunkermuff mit KZ-Schornsteinruß (...) den furiosesten Kauftrieb. Und wir Deutschen sind wieder so blöd (...)“, hätten sozusagen das Nachsehen, während die „jüdischen Sammler und Kenner“ die Bilder des Malers Anselm Kiefer gekauft haben, als sie noch billig waren. Auf den lokalen Berliner Kulturseiten der taz veröffentlichte Kapielski am gleichen Tag seine Entdeckung, daß die Disco „Dschungel“ „bereits abends um acht Uhr gaskammervoll war“.
Es waren LeserInnen und nicht taz-MitarbeiterInnen verantwortliche Säzzer, Korrekteure, Redakteure -, die auf den Skandal aufmerksam machten. Auch die nicht an der Produktion des Textes beteiligten taz-Beschäftigten blieben indifferent, bis am 24.Oktober im Berliner Lokalteil drei Leserbriefe erschienen. Bezugnehmend auf den Vergleich zwischen Gaskammer und Disco will die Berliner Autorin Pieke Biermann wissen, was Artikelschreiber, Säzzerin, Redakteurin sich „dabei gedacht haben, als ihnen jenes Wort in jenem Beitrag begegnet sein muß. Hat sich überhaupt irgendjemand irgendetwas gedacht, oder ist es zuviel verlangt, von MacherInnen einer Zeitung zu verlangen, daß sie denken?“
Daß eine Leserin überhaupt diese Frage stellen muß, ist qualvoll genug. Doch statt sie zu beantworten, fügte die taz auf Initiative der Kulturredakteurin eine Anmerkung von Thomas Kapielski hinzu: „Vielleicht doch eine wachsame, weil deutsche und somit präzise Wahrnehmung.“ Schließlich habe der Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann Discos auch schon mal als „Gaskammern voller Musik“ beschrieben. Höhnisch kündigt Kapielski an: „Wie auch immer, in der nächsten Zeit werden Überlegungen zum Problem der schlimmen Wörter erscheinen.“
„Der kleinste gemeinsame Nenner der taz“
Wieder verging fast eine Woche, bis in der taz etwas bemerkt wurde und eine Reaktion erfolgte. Am vergangenen Freitag konfrontierte Magazin-Redakteur Arno Widmann die Redaktionskonferenz mit den genannten Texten. Ergebnis der Diskussion: Thomas Kapielski kann veröffentlichen, wo er will und was er will, aber nicht mehr in der taz.
Um zu überlegen, wie die taz künftig eine Wiederholung derartiger Rassismen verhindert - die zunächst als der Redaktion einfach „durchgerutscht“ erschienen -, sollte eine Redaktionsversammlung am Montag weiterdiskutieren. Pünktlich zu diesem Datum stand auf der Medienseite ein Artikel, in dem ein freier Mitarbeiter gegen das, so wörtlich, „Schreibverbot“ für Kapielski polemisiert. Dieser Begriff bezeichnet staatliche Maßnahmen des Faschismus, die die Existenz der Betroffenen vernichtete.
Die Medienredakteurin selber verteilte abends ein Papier, in dem sie der Redaktion vorwarf, „in bester stalinistischer Tradition“ ein „Schreibverbot“ verhängt zu haben. Als müsse nun endlich Schluß gemacht werden mit dem altmodischen Antifaschismus, warnte sie vor Positionen, „die wir als antifaschistische Haltung eingefroren haben, auf immer und solange, bis wir jemanden damit erschlagen.“
Was sich dann am Montag abend entwickelte, war eine der ernsthaftesten und gleichzeitig erschreckendsten Diskussionen in der taz-Geschichte der letzten Jahre. Eine Debatte jenseits politischer Fraktionierungen, bei der jedoch klare Trennungslinien sichtbar wurden. Während die einen nicht nachließen, das Thema auf eine Diskussion über „schlimme Wörter“ zu reduzieren, ging es für die anderen um das Denken und Bewußtsein, das hinter der Verwendung jener Begriffe und Sätze steckt, um die Assoziationsketten, die damit ausgelöst werden und vielleicht auch werden sollten. Zur Diskussion standen Bilder und Vergleiche, die in scheinradikaler Rotzigkeit die Vernichtung von Millionen Juden und die Verantwortung für unsere Geschichte zum Gegenstand von moderner „Tabubrecherei“ machen.
„Das Problem besteht nicht in einzelnen Worten, Kombinationen von Buchstaben“, versuchten Arno Widmann und andere sich verständlich zu machen. „Der Vergleich zwischen Disco und Gaskammer ist eine ungeheuerliche Verharmlosung des Faschismus, begreift Ihr das nicht?“ Nein, die Kulturredakteurin fand „das doch völlig lächerlich. Gaskammervoll ist kein Naziwort. Die haben das ganz anders genannt. Wir alle lachen doch auch mal heimlich über Judenwitze, wenn keiner dabei ist. Ich habe kein Problem mit dem Wort gaskammervoll.“ Das trifft. Fassungslos vernahmen die KollegInnen die Sätze einer Redakteurin: „Ich habe keine Lust, hier den Mist kleiner Jungs zu verteidigen. Ich weiß nicht, ob ich das Wort aus dem Artikel herausgenommen hätte, weil ich nicht weiß, ob es gut oder böse ist, und ich habe dabei keine Assoziationen. Ich beschäftige mich nämlich nicht mit deutscher Geschichte.“ Das verschlägt den meisten Anwesenden die Sprache.
Andere versuchten noch, zu argumentieren. Denn häufig sehen sich MitarbeiterInnen und LeserInnen der taz konfrontiert mit rassistischen und sexistischen Bemerkungen. Doch jetzt wurde von den beiden verantwortlichen Redakteurinnen und wenigen anderen „so ungeheuerlich reagiert, wie ich es mir nicht hätte vorstellen können“ (Arno Widmann). Und: „Eure Art der Verteidigung ist fast schlimmer als die Sätze von Kapielski.“ (Klaus Hartung)
Nach fast dreistündiger Diskussion und Versuchen, argumentativ wenn nicht Einsicht, so doch wenigstens eine Spur von Sensibilität für das Geschehene zu schaffen, war das Tischtuch zerschnitten, die Positionen hatten sich nicht vom Fleck bewegt. Schließlich stellte Arno Widmann den Kündigungsantrag an das Nationale Plenum.
Am Montag abend mögen wohl 40 bis 50 Leute im Raum gewesen sein, als die Diskussion begann. 27 hielten bis zum Ende durch. Die naheliegende Vermutung, hier sei ein Entlassungsantrag durchgepeitscht worden, ist falsch. Unter denjenigen, die früher gingen, ist auch nach zwei Tagen niemand zu treffen, der nicht mit der Tendenz des Beschlusses einverstanden wäre.
Die Ausgangssituation der Diskussion schien die gleiche wie immer in der taz: es steht etwas in der taz, es gibt empörte Leserbriefe, es fordert jemand Konsequenzen. Je nach Sympathie und Nähe der Betroffenen zum eigenen Arbeitsplatz oder zur ideologischen Position formieren sich Fraktionen. Der Clinch beginnt, Moral wird aufgefahren, als Heuchelei entlarvt. Die Fürsprecher der begnadeten Schreiber hauen sich mit den trüben Beamtenseelen und agenturgläubigen Verfechtern einer durchorganisierten Zeitung. Lautstark tritt die Technik für die letzte Bastion der spontanen Schreibe auf - Alles würde taz-üblich ablaufen, es gäbe einen Verweis, Ermahnungen, Beschwörungen der Notwendigkeit, die Strukturen der taz endlich zu ändern, und es bliebe alles beim alten. Diese Erfahrung hatten im Mai des Jahres die taz-Frauen nach ihrem Streik gegen eine dümmlich-dreiste Porno-Seite und nach der Diskussion um Sexismus in der taz gemacht.
Warum lief die Diskussion diesmal anders ?“
Das Wesen der taz liegt im Gleichgewicht der Kräfte, in der gegenseitigen Blockade der Interessen, die durch einige programmatische Leerformeln ideologisch überdacht wird und sich im Zeitungsbild in einem teils produktiven, teils unverbindlichen, teils beliebigen Pluralismus niederschlägt. Die taz hat kein Programm, die taz hat viele Programme, fast so viele wie es Beschäftigte gibt. Dieser Pluralismus hat seine guten Seiten - über das Aushalten gegensätzlicher Standpunkte ist in der taz viel zu lernen. Tiefergreifende Veränderungen in der taz wurden bisher immer nur unter dem Druck existenzieller Zeitungskrisen und nur unter einem fast ebenso existenziellen Kraftaufwand Einzelner in Gang gebracht. Das bedeutet einen ungeheuren Verschleiß und es bedeutet, daß man schon einige Jahre in der taz gearbeitet haben muß, um sich ansatzweise im Vieleck der wirkenden Kräfte zurecht zu finden. Aber die gegenseitige Blockade der Interessen, deren Ausdruck der Pluralismus ist, bewirkt Resignation hinsichtlich des Versuches, Einfluß auf die Zeitung als Ganzes zu nehmen und daraus den Rückzug auf den unmittelbaren Arbeitsumkreis. Und sie führt zu einem Verhalten, das jede/r tazler/in aus dem „effeff“ beherrscht: Besitzstandswahrung, Verteidigung der Freiräume einzelner und ganzer Abteilungen, der Freiräume von Meinungen und der Möglichkeiten, sie ins Blatt zu hieven.
Nur vor diesem Hintergrund scheint das Unverständliche der Diskussion vom Montag erklärlich: das bornierte, starrsinnige, verständnislose und denkfaule Beharren einiger, die Bemerkungen in den genannten Texten seien quasi stilistische Elemente wie jedes andere auch nicht so besonders toll vielleicht, aber kein Grund zu redaktionellem Eingreifen, ganz zu schweigen von stalinistischen Zwangs und Verbotsmaßnahmen, mit denen ein brillianter Autor, ein Gewinn für das Blatt, mundtot gemacht werden solle. Gerade dieses Beharren auf dem geschichtslosen Dogma, Tabubruch sei ein Wert an sich, gab der Diskussion die entscheidende Wendung. An irgendeinem Punkt hatte sich das Bewußtsein durchgesetzt, daß die taz eine Grenze ziehen muß, wenn sie sich nicht selbst aufgeben will.
Wenn es der kleinste gemeinsame Nenner des Blattes ist, das Kokettieren mit Ressentiments und Rassismen, die man täglich in jeder Kneipe hören kann, nicht in der Zeitung haben zu wollen - und zwar im Wortsinne NICHT, nicht zweimal, nicht einmal, nicht als Ausrutscher, nicht als Versehen, sondern eben NICHT, und zwar ohne daß über die Begründung noch zu reden wäre - gut, dann ist eben das der kleinste gemeinsame Nenner, hinter den es kein Zurück mehr gibt. Und wenn das nur mit Entlassungen geht - gut, dann auch mit Entlassungen.
Wie dringlich diese Verständigung in der taz ist, wurde bereits am Tag nach der Debatte noch einmal deutlich: Auf der Kulturseite war ein Artikel mit einer Überschrift versehen, die aus dem Wort „Euthanasie“ ein zugleich rassistisches und sexistisches Wortspiel machte. Erst nach vehementen Protesten korrigierte der verantwortliche Redakteur diese Überschrift. Petra Bornhöft/Vera Gaserow
Meino Bünin
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