: Abkommen unter Dach und Fach
Bonn (taz) - So hatte sich das Lenin nicht vorgestellt: daß seine Nachfolger die Kapitalisten vor Enteignung schützen würden, statt diese tatkräftig durchzuführen. Ein Kapital und Investitionsschutzabkommen steht im Mittelpunkt der elf Vereinbarungen, die gestern zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion abgeschlossen wurden. Das Abkommen garantiert Investoren in der UdSSR Enteignungsschutz, den unbegrenzten Transfer von Kapital und Erträgen sowie den ungehinderten Zugang zu Rohstoffen, Energie und Arbeitskräften. Streitfälle sollen durch ein internationales Schiedsgericht geklärt werden. „Daß Profite in Valuta repatriiert werden können, wird einen kräftigen Schub für die deutsche Wirtschaft geben“, hofft ein Vertreter des Moskauer Außenministeriums. Der Ost-Ausschuß der Deutschen Wirtschaft bezeichnet das Abkommen verhaltener als „Schritt in die richtige Richtung“, der vor allem kleineren und mittleren Unternehmen mehr Rechtssicherheit gebe. Die Sowjetunion hofft unter anderem auf bundesdeutsche Investitionen in die heimische Konsumgüterindustrie: „Dort können die Deutschen gut verdienen, wenn sie geduldig sind.“ In Bonn wird erwartet, daß diese Vereinbarung mit der Sowjetunion den Abschluß ähnlicher Verträge mit Polen und der Tschechoslowakei erleichtern wird.
Durch ein Abkommen über die Aus- und Weiterbildung von Fach- und Führungskräften der Wirtschaft sollen 1.000 Sowjets in den nächsten drei Jahren in die einschlägigen Markt- und Managementkenntnisse eingeweiht werden. Dieses Programm wird unter anderem von der industrienahen Carl -Duisberg-Gesellschaft organisiert und ist bereits angelaufen. Durch die vor einigen Monaten novellierte Joint -venture-Gesetze können aber in Zukunft zentrale Managementposten in der Sowjetunion auch durch westliches Personal besetzt werden, um die Dinge gleich selbst in die Hand zu nehmen. Obwohl es in der Bundesrepublik um den Arbeitsschutz und die berufliche Integration von Behinderten bekanntlich nicht zum besten steht, will das Mutterland des Sozialismus davon lernen. Eine entsprechende Vereinbarung sieht Weiterbildungsmaßnahmen sowjetischer Fachkräfte in der Bundesrepublik vor. Es ist das erste sozialpolitische Abkommen, das Moskau mit einer westlichen Regierung schließt.
Enger zusammenarbeiten wollen beide Länder künftig bei der Drogenbekämpfung: Vorgesehen sind Informationsaustausch, Expertentreffen und Konsulationen, darunter regelmäßige Treffen von Fachleuten der jeweiligen Polizeibehörden. Das Abkommen - ein ähnliches schloß Moskau bereits mit London läßt darauf schließen, daß mittlerweile in der SU nicht nur der Alkoholismus zum Feind der Arbeiterklasse geworden ist. Beide Regierungen besiegelten gestern in Bonn auch die Zusammenarbeit bei einem weiteren Übel, der Atomenergie. Das bereits 1988 geschlossene Abkommen über die angeblich „frühzeitige“ Benachrichtigung bei Nuklearunfällen wurde ergänzt und der gemeinsam geplante Hochtemperatur-Reaktor durch ein Memorandum bekräftigt. Die Verhandlungen über dieses Projekt gestalten sich allerdings nach Informationen der 'FAZ‘ zäh: Die Sowjetunion - im Ausland mit 102 Milliarden Mark verschuldet - will den deutschen Anteil am Reaktor voll mit Kompensationsgeschäften in der Urananreicherung begleichen.
Der Vormarsch westlicher Werte in der UDSSR wird durch die Eröffnung eines Goethe-Instituts untermauert; gleichzeitig bekommt auch Stuttgart ein sowjetisches Kulturinstitut. Durch mehrere Austauschprogramme für Jugendliche, Lehrer, Schüler und Wissenschaftler soll der Kontakt beider Länder gefördert werden, weiterhin die Stadtarchive von Reval/Tallinn und den Hansestädten Bremen, Hamburg und Lübeck an die jeweiligen Ursprungsorte zurückgeführt werden. Last but not least wird es eine neue „hot-line“ zwischen dem Kanzleramt und dem Kreml geben: eine Telefax-Verbindung für verschlüsselte Mitteilungen. Kanzler -Berater Teltschik ließ dazu die Bemerkung fallen, mit diesem Draht sei man „in einer besseren Situation als mit dem Weißen Haus“ - was einige US-Journalisten vermutlich zu Leitartikeln inspirieren wird. Auf der Strecke beim Abkommen -Marathon blieb das Schiffahrtsabkommen (wg. Flaggenfrage) und ein Weltraumabkommen: Moskau will für den Mitflug eines deutschen Astronauten 18 Millionen Mark haben.
Charlotte Wiedemann
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