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„ICH BIN EINFACH JUDE“

■ „Jüdische Porträts“ - Photographien und Interviews von Herlinde Koelbl im Berlin Museum

Wie würde man diese Porträts anschauen, wenn man nicht wüßte, daß sie ihre jüdische Tradition verbindet? Vielleicht als eine Galerie schöner, alter Gesichter mit Falten, Furchen, Pigmentflecken, die etwas von dem Leben ihrer Besitzer erzählen. Und die Blicke von schräg unten, durch dicke Brillengläser, über sie hinaus oder sich von ihnen befreiend, geben eine Ahnung von der Haltung, mit der dieser Mensch jenes Leben gemeistert hat, das ihm keine Wahl ließ: Er mußte sich verhalten als deutscher Jude unter deutschen Nicht-Juden, deutschen Faschisten. Und so schaut zurück, was weggeschaut worden ist, Augen, die wachgeblieben sind inmitten der wild zerknitterten oder ordentlich gefältelten Hautpartien dieser so verschiedenen Persönlichkeiten. Die Vergegenwärtigung ihrer Lebensgeschichten als Flüchtlinge und Emigranten aus Nazi-Deutschland, verhindert den routinierten Museumsgang, die Unbefangenheit. Doch gerade weil die Unbefangenheit fehlt, bleibt ein Unbehagen zurück, daß die Auswahl auf die „Gattung“ Jude rekurriert und - ganz gegen die Intention Koelbls - eine Aussonderung „als Juden“ wiederholt, da doch die jüdisch-deutsche Geschichte oft das Einzige ist, was die Dargestellten verbindet. Ein Dilemma, dem Herlinde Koelbl nur entgeht, indem sie auf der Einzigartigkeit der Porträts beharrt. Da wird keine/r vor die Kamera gezerrt, in die Pose gebracht und abgelichtet. Die Porträtierten wirken wie nur einen Moment lang aus einem intensiven Gespräch aufgetaucht, um im nächsten Augenblick wieder darin einzugehen, und mit der Distanz zum Gegenüber, die sie selbst bestimmen.

Möglich, daß die Photos aus der unmittelbaren Gesprächssituation entstanden sind. Vier Jahre lang hat Herlinde Koelbl recherchiert und ist für eine Stunde, einen Nachmittag quer durch die Welt gereist, um die Erfahrungen einer aussterbenden Generation deutscher Emigranten festzuhalten. Fünf der Porträtierten sind im letzten Jahr gestorben.

Zwei Wochen vor Ausstellungseröffnung, zeitgleich im Jüdischen Museum Frankfurt und im Berlin Museum, stieg der Grenoverlag als Katalogverleger infolge was immer für „Turbulenzen“ ('Spiegel‘) aus. S. Fischer sprang kurzfristig ein, sodaß das Buch mit den vollständigen Interviews doch noch am 20.September erscheinen kann. Doch auch aus den Interviewauszügen der Ausstellung, jeweils neben die Porträts gehängt, werden die spezifischen Widersprüche jüdischer Kultur und des heutigen Israels deutlich: Da ist die Scham, überlebt zu haben, die Verpflichtung zum besseren Menschen und zur Toleranz gegenüber Nicht-Juden. Dagegen steht die Angst vor der vollständigen Assimilation und dem Verlust der kulturellen Identität, die eben auch ein Bedürfnis nach der Selbstverständlichkeit einer politischen Identität produziert.

Keine/r kann sich dieser Frage nach der Identität entziehen, selbst wenn er sie für sich als irrelevant betrachtet. „Die Deutschen müssen immer darauf herumreiten, daß man Jude ist. In Amerika taucht diese Frage nie auf. In Deutschland unter Garantie immer. Ich weiß nicht, ob das etwas Antisemitisches ist“, sagt der 91jährige Life -Photograph Alfred Eisenstädt, der 1935 in die USA emigrierte und heute in New York lebt. „Ich bin einfach Jude.“ So einfach steht er auch da, mit der symmetrischen Fliege überm V-Pullover, und einem frontalen Blick in die Kamera. Auch der Soziologe Norbert Elias rückt ganz nah ins Bild und stellt wie vor dem Spiegel fest: „Ich bin, was ich bin. Ein deutscher Jude. So sehe ich auch aus.“ Doch bei ihm führt das Bekenntnis zur jüdischen Tradition zur realistischen Einschätzung der sozialen Zwangslage Israels und zugleich zur Verurteilung physischer Gewalt. Die Photographin Ilse Bing, die ebenfalls heute in New York lebt, wendet keinen Blick vom Objektiv. Zu tief hat sie anderem ins Auge geschaut, als sie 1940 bis 1941 in einem französischen Konzentrationslager interniert war. Klein und schwarz mit weißem Kragen sitzt sie auf dem Bett, man nimmt ihr ab, daß sie sich sofort mit der Rasierklinge umgebracht hätte, hätten sie die Nazis interniert.

Nachdenklich in sich hinein grinst Karl Popper, der „jede Form des Nationalismus für einen verbrecherischen Dünkel oder für eine Mischung aus Feigheit und Dummheit hält“ und sich von „Deutschtum“ wie „Judentum“ distanziert. „Die ganze Hitlermythologie war ein Pakt mit dem Teufel“, sagt Frederick Gruber, Leiter des Leo-Baeck-Instituts in New York, die buschigen Augenbrauen zum steilen Dreieck hochgezogen, dabei scheint er schallend zu lachen, als wäre er selbst Mephisto. Und doch war er ein Jahr im KZ Buchenwald, bevor er emigrieren konnte. Nur George Tabori, der so gerne in seinem Theater die Banalität des Schreckens zu absurder Komik ausschlachtet, wird von Koelbl ganz ernst gezeigt. Sein Lachen ist das härteste, denn seine Zynik ist nicht verbittert: „Kennen Sie den kürzesten Witz?“ - „Nein.“ - „Auschwitz.“

Horkheimer/Adornos Thesen zum Antisemitismus, nach denen jahrhundertelang die Herrschenden das ewig zu kurz gekommene Volk gegen die Juden aufgehetzt haben, damit es die auf sie projizierten Wünsche nach Macht, Geld und Geist liquidiert, erfahren in der Gegenwart des heutigen Israels eine unerwartete Konnotation. Wenn Ida Ehre, die große alte Schauspielerin, (erst letztes Jahr gestorben), mit der Kaffeetasse in der Hand über den Neid der Araber gegenüber den fleißigen, häuslebauenden Juden spricht und den Neid als wichtige Komponente bei der Abneigung gegen Juden bezeichnet, so hat sie sicher nicht an die Nation, die wirtschaftliche und militärische Macht Israels, eingekeilt in die arabische Staaten, gedacht. „Wie weit das jüdische Element da eine wichtige Rolle spielt, weiß ich nicht. Ich würde allerdings sagen - diese Formulierung stammt ursprünglich von Max Horkheimer, ich habe sie gerne übernommen: 'Die Juden sollten es besser wissen.‘ Das heißt, vieles von dem, was die Juden in der sogenannten Diaspora wie auch in Israel tun, sehe ich im Widerspruch zu der prophetisch-messianischen Erbschaft, von der wir soviel hermachen. Es wäre wohl angebrachter, wenn der Rausch der Normalität der Israelis sich etwas weniger in dem Normalverhalten der Isaraelis ausdrückte, die genauso doppelmoralisch sind wie andere Menschen auf der Welt auch. In dem Sinne ist das Messianische noch ein berechtigter erhobener Zeigefinger, den sich die Juden in bezug auf ihre Verhaltensweisen immer vor Augen halten sollten.“ (Leo Löwenthal)

Dorothee Hackenberg

„Jüdische Porträts“ bis 29.Oktober in der jüdischen Abteilung des Berlin Museums im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße110, Di bis So von 10 bis 22Uhr.

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