: Uni gegen den Rest der Welt
■ Forsch geforscht: WissenschaftlerInnen betraten 900mal Niemandsland, 30 Millionen verdient
Bremens Universität ist Spitze, und das gleich 900mal. 900 verschiedene Forschungsprojekte verzeichnet der jüngste Forschungsbericht der Bremer Uni, und Forschung, so Uni -Rektor Timm gestern bei der Vorstellung des zweibändigen Mammutwerks, heißt, in einem bestimmten Wissenschaftsgebiet mehr zu wissen als der Rest der Welt: „Sonst ist es keine Forschung. Sonst ist es wiederkäuen und anwenden, und das können die Fachhochschulen machen.“
So schnell und viel wird an der
Universität inzwischen geforscht, daß selbst Insider kaum und allenfalls mit Verspätung den Überblick behalten können. Auf rund 1.200 Seiten faßt der druckfrische Forschungsbericht zusammen, wer an der Uni von 1985 bis 1987 welche wissenschaftlichen Geheimnisse gelüftet und welche ungeborgenen Erkenntnisschätze gehoben hat. Die Palette reicht vom Millionenprojekt bis zur Buchbesprechung. So wurde die „osmoregulatrischer Anpassung von Anthropoden an den aquastischen Lebensraum un
ter Berücksichtigung von Chelicerata“ z.B. ebenso einer wissenschaftlichen Klärung nähergebracht wie die Übersetzung islamischer Religionsrechtsgutachten über Wirtschaftsfragen unter Hinzuziehung einer Schreibmaschine mit arabischen Schrifttypen in die Wege geleitet.
Besonders stolz ist die Universität auf ihre beiden „Sonderforschungsbereiche“ der Deutschen Forschungsgesellschaft, für Rektor Timm „eine Anerkennung, daß Bremen in diesen bereichen bundesweit die absolute Spitze hält“. Im einen versuchen rund 40 WissenschaftlerInnen, etwas über das langfristige Klimageschehen im Südatlantik herauszukriegen, im anderen werden unter dem Titel „Statuspassagen und Risikolagen im Lebensverlauf“ die Veränderungen von Biographien in den letzten 20 Jahren untersucht. Weitere Forschungsschwerpunkte liegen in der Umwelt-und Biotechnologie, der Weltraumforschung und der Energieforschung. Hier will die Universität sich in Zukunft auch verstärkt an der politischen Debatte um die Energieversorgung Bremens beteiligen und Konzepte zu einer von AKWs unabhängigen Stromerzeugung besteuern.
Erfreulicher Nebeneffekt des frischen Forschergeists: Ebenso rasant wie die Forschungsprojekte sind in den letzten Jahren die Drittmittel der Universität gestigen. Während die Universität 1985 noch ganze vier Millionen mit forschen „verdiente“, sind es
inzwischen rund 30 Millionen. Rund jede fünfte Mark ihres Etats kassierte die Uni heute für Forschungsaufträge der Industrie, der Bundesregierung, von Gewerkschaften und Stiftungen. Fast jedes zweite Forschungsvorhaben ist heute drittmittelgefördert, jede dritte Uni-MitarbeiterIn lebt meist befristet und teilzeitbeschäftigt - inzwischen von Auftragsforschung.
Die Unabhängigkeit von Wissenschaft an der Universität sieht Rektor Timm deswegen allerdings noch lange nicht gefährdet. Nur acht Prozent der Drittmittel stammen angeblich aus Industriebetrieben. Anderseits ist Timm stolz, daß in inzwischen fast alle größeren Betriebe in Bremen und umzu bei der Uni lohndenken und -experimentieren lassen. Ein Zeichen für das gestiegene Image der Universität in den Managementetagen und der gesamten scientific community.
Das Ende der Forschungsfahnenstange ist für Timm damit aber noch längst nicht erreicht. Weitere Steigerungsraten bei der Drittmittel-Akquisition sind für den Rektor durchaus noch drin und die Forschungskpazitäten an der Uni noch längst nicht ausgebucht. „Es ist wie in allen Betrieben, es gibt auch bei uns gute und schlechte, fleißige und weniger fleißige Mitarbeiter.“ Wie er auch die „weniger fleißigen“ ans Forschen bringen will, hat der Rektor sich auch schon überlegt, will das „aber lieber nicht in der Zeitung lesen“.
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen