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TATEN UND WORTE

■ Freiwilligenarbeit im "Service Civil International": Alternativtourismus für Jugendliche und Junggebliebene

Freiwilligenarbeit im „Service

Civil International“: Alternativtourismus

für Jugendliche und Junggebliebene

VON GUNDA SCHWANTJE

„Aus dem Weg!“ brüllt David. Krachend fliegen die verdorrten Äste auf den Boden, wir stehen eingehüllt in einer Wolke aus vertrockneten Blättern und Staub. Das schattenspendende Konstrukt hinter dem Haus ist flugs abgedeckt - die Pfähle weiter in den Boden zu treiben gerät dann allerdings zur gnadenlosen Anstrengung. Erschöpft lassen wir uns unter dem einzigen Baum weit und breit nieder und verspeisen gierig die Melonenscheiben, die Fermina Banyacya (64), unsere Gastgeberin, zur Erfrischung herumreicht. Nur einer läßt sich von der sengenden Mittagshitze in der Wüste Arizonas nicht irritieren: Ben, unser Youngster, ein 19jähriger Collegestudent aus New Haven, Connecticut, arbeitet sich, schweißgebadet, wie besessen mit der Spitzhacke an dem felsigen Untergrund ab. „Ich bin froh, daß ich mal so richtig zupacken kann. Das sind alles angestaute Energien, zwischen Uni und Schreibtisch werde ich die nicht los“, sagt er und lacht.

Kykotsmovi, Hauptstadt der Hopi-Nation im Südwesten der USA. Acht Teilnehmer eines Workcamps des Service Civil International (SCI), Frauen und Männer im Alter zwischen 19 und 30 Jahren aus Europa und den USA, haben in diesen Wochen Gelegenheit, unmittelbar am Alltag einer traditionellen Hopi -Familie zu partizipieren. Den Rahmen für das Engagement der Freiwilligenorganisation bildet ein klar umrissener Auftrag: Arbeit. „Wer sich für ein Workcamp entscheidet, darf keinen Faulenzerurlaub erwarten - dafür aber einen Sack voller Erfahrungen, neuer Freundschaften und das Erlebnis, zusammen mit anderen etwas Sinnvolles getan zu haben.“ So will es der diesjährige Prospekt der internationalen Freiwilligenorganisation, die in diesem Jahr ihren 70. Geburtstag feiert.

Probleme, seine Workcamps zu füllen, hat der SCI nicht. Im Gegenteil, es wird bei besonders interessanten Projekten zum Beispiel bei Workcamps in „Indianer„-Reservaten, in Obdachlosenheimen oder Projekten in Osteuropa - nach persönlicher Eignung, politischem Engagement und Gruppenerfahrung sogar relativ streng selektiert. Nach dem Feedback der Teilnehmer zu urteilen - jedes Jahr im Herbst machen zumindest die deutschen Veranstalter eine Nachbereitung -, kommen Campteilnehmer zufrieden zurück und stufen ihre Teilnahme als wertvolle Lebenserfahrung ein.

Es ist die gemeinsame praktische Arbeit, die SCI-Workcamps in den Augen ihrer Veranstalter und Teilnehmer so sinnvoll macht. Die Projekte bilden meist einen Kontrast zum Alltag vieler Teilnehmer, der oft vom Konkurrenzkampf an der Uni, Verschulung des Bildungssystems, Trennung von Kopf- und Handarbeit geprägt ist. „Jugendliche und junge Erwachsene“, berichtet Thomas Wobben vom deutschen Zweig des SCI in Bonn, „die sich heute für eines unserer Workcamps interessieren, wollen während ihres Urlaubs in einer Gruppe mal ganz 'anders‘ leben, Fremdsprachen lernen und ausprobieren und billig Urlaub machen. Da ist weniger das Thema, zu dem gearbeitet wird, von Bedeutung als vielmehr das individuelle Interesse an einem spezifischen Urlaubsland oder einer Stadt. Und - das ist ganz wichtig: Die Leute wollen 'machen'; pausenlos diskutieren, ob auf der Wiese oder am Gemeinschaftstisch, wie in den Siebzigern, ist absolut out.

Wurzeln im Pazifismus

der zwanziger Jahre

Service Civil International begreift sich ganz bewußt als Alternative zum kommerziellen Jugendtourismus. Thomas Wobben: „Ferienfrei- zeiten überlassen wir gerne anderen Anbietern. Die von uns scherzhaft als 'Wald- und Wiesencamps‘ titulierten Zusammenkünfte, bei denen mehr geruht als gearbeitet wird, fliegen nach der alljährlichen Herbstnachlese sowieso wieder aus dem Programm.“

Freiwilligenarbeit hat im Service Civil International eine lange Tradition. 1920, knapp anderthalb Jahre nach der Kapitulation der kaiserlichen Truppen und dem Ende des Ersten Weltkrieges, trafen sich deutsche und französische Freiwillige, um die Trümmer in der kleinen Stadt Esnes, nahe Verdun, zu beseitigen und Wiederaufbauarbeit zu leisten. Die Stadtväter des französischen Ortes jedoch machten aus ihren Ressentiments keinen Hehl und behinderten die Aktivitäten der internationalistisch ausgerichteten Freiwilligen. An ihrem Widerstand scheiterte das erste SCI-Gastspiel. Die Idee der Freiwilligenarbeit jedoch war geboren. Pierre Ceresole und Helene Monastier, die schweizerischen Gründer des SCI, hatten die Vorstellung, daß erst durch gemeinsames Arbeiten das Begreifen und Verstehen anderer Kulturen möglich wird.

Heute ist der SCI in etwa 20 Ländern Westeuropas und Asiens als pazifistische Freiwilligenbewegung etabliert und arbeitet mit über 40 Partnerorganisationen in der ganzen Welt zusammen. Das Büro des deutschen Zweigs in Bonn vermittelt pro Jahr 2.200 Teilnehmer in nationale und internationale Camps - nicht wenige davon sind als familien sowie behindertengerecht ausgewiesen.

Theorie

und Praxis

Jede Generation von Freiwilligen hat die ihrer Zeit eigenen Aktionsformen eingebracht und ausprobiert - Ende der Sechziger wurde zum Beispiel das „konzeptionslose Herangehen“ an Workcamps bemängelt, analog den Zielen der Studentenbewegung „autoritäres Verhalten und Privilegien der Erwachsenen“ beklagt - es kam zum Eklat mit den Altvorderen der Organisation. Das Aufbegehren mündete in die Umwandlung der pazifistischen Bewegung SCI in eine Jugendorganisation. Parallel dazu wurde die traditionelle Devise „Taten statt Worte“ semantisch geringfügig, aber politisch bedeutsam abgewandelt: „Taten und Worte“ heißt jetzt die Konzeption; seitdem befassen sich die Teilnehmer neben der praktischen Arbeit mit der Lebenssituation ihres Counterparts.

Jedes der traditionellen Hopi-Dörfer, hoch oben auf den Mesas, den Tafelbergen in der Wüste Arizonas, richtet in den Sommermonaten seine Kachina-Tänze aus. An einem der Samstage fahren wir ins Nachbardorf, nach Hotevilla. Vom Morgengrauen bis zum Sonnenuntergang erklingt an diesem Tag der Gesang der Kachina-Tänzer - Männer, in bunten Gewändern, die nackten Oberkörper mit schwarzer und weißer Farbe aufwendig bemalt, das Gesicht mit einer kunstvoll geschnitzten Maske bedeckt. Die Zuschauer - unter ihnen zahlreiche Weiße und Nachbarn aus der Navajo-Reservation - stehen auf den flachen Dächern der Lehmhäuser, die den kleinen Dorfplatz umsäumen. Abends, beim gemeinsamen traditionellen Mahl, erklären uns Fermina und Thomas Banyacya die vielschichtigen Hopi-Mythen und die Bedeutung des Kachina-Tanzes. Sie erzählen in ihrer bedächtigen Art, einer Art, die Pausen erlaubt, die Grundzüge der Philosophie ihres Volkes, aber auch vom enormen Wandel, von den Schwierigkeiten, sich in der komplexen Welt der Weißen zurechtzufinden.

Kein alternativer

Arbeitsmarkt

Die in der BRD organisierten Workcamps unterstützen vor allem ökologische Projekte, soziale Initiativen wie Arbeitslosen- und Selbsthilfeprojekte, antifaschistische Gedenkstätten sowie Dritte-Welt-Initiativen. Grundprinzip der Freiwilligenarbeit ist, nicht mit bezahlter Arbeit zu konkurrieren. Der SCI will also nicht dort einspringen, wo die öffentliche Hand durch das Engagement von Freiwilligen einsparen kann, sondern versucht im Gegenteil, durch Workcamps neue Arbeitsplätze zu schaffen. „Wir leisten im Prinzip Aufbauarbeit - zum Beispiel helfen wir bei der Gründung von Bürger-, Kultur- oder Jugendzentren, in denen dann langfristig neue Arbeitsplätze entstehen“, sagt Thomas Wobben. Daneben liegt das besondere Augenmerk des SCI auf der wachsenden Zerstörung unseres Lebensraumes. Dieser Sorge um unsere Umwelt entspricht das von Jahr zu Jahr steigende Angebot von Workcamps im Ökobereich.

Lange vor der Öffnung der Berliner Mauer hat der SCI seinen Blick nach Osten gerichtet. Durch beharrliche Kontaktsuche von Projektpartnern und die Organisation von Camps in den realsozialistischen Staaten Osteuropas wurde der Versuch unternommen, das erklärte SCI-Anliegen - Abbau von Spannungen zwischen Ost und West - in die Praxis umzusetzen. Seit den 50er Jahren bildet der Jugendaustausch mit den sozialistischen Ländern einen Schwerpunkt der Friedenserziehung im SCI.

Die Öffnung

nach Osten

Im Sommer 1989 gelang dem SCI erstmals ein trilaterales Camp mit Jugendlichen aus den USA, der Sowjetunion und der BRD. Die Teilnehmer waren aufgefordert, gemeinsam beim Ausbau einer Gedenkstätte an der Ludendorff-Brücke von Remagen zu helfen. Diese Brücke war für den Vormarsch der westlichen Alliierten im Zweiten Weltkrieg von entscheidender Bedeutung. Im Sommer dieses Jahres wird diese spannende Konstellation noch mit Jugendlichen aus der DDR ergänzt. Conny Große aus West-Berlin war im vergangenen Jahr Campleiterin in Remagen. „Insbesondere unsere westdeutschen Teilnehmer, ausnahmslos Slawistikstudenten, konnten es kaum abwarten, sich mit den Sowjets auszutauschen. Da die sowjetischen Teilnehmer und die US-Amerikaner auf ihre jeweiligen Muttersprachen festgelegt waren, dienten die Westdeutschen auch noch als Vermittler.“

In dem Remagener Workcamp wurden Zeitzeugen zu ihren Erinnerungen befragt und in einem Feindbildworkshop Ursachen für Fehl- und Vorurteile diskutiert. Die Teilnehmer gingen der Frage nach, inwieweit Unwissen über andere Völker militärische Konfliktlösungen fördert. Trotz der Eigenheiten und Unterschiede der Systeme, aus denen sie kamen, entdeckten die jungen SCIler verbindende Züge: ähnlichen Sehnsüchte, Visionen und Hoffnungen für das eigene Leben. Und schließlich rückte das Verbindende ihrer Lebensgefühle in den Vordergrund. „Daß nach dem Camp von den Klischees nur wenig übrigblieb, ist sicher ein Erfolg“, resümiert Conny Große. „Meine wesentliche Kritik an dem Camp ist, daß wir ein verzerrtes Bild von den Verhältnissen hierzulande kreiert haben.“ In der Regel verfügen die Projektträger über wenig Geld, beim Essen und der Unterkunft wird improvisiert

-mensch lernt, sich zu beschränken. „In Remagen wurden wir mit Nahrungsmitteln geradezu überhäuft, für viele Ausflüge war gesorgt - in einer solchen Schlaraffenlandidylle ist nur schwer vermittelbar, daß es in diesem Land soziale Härten gibt. Insbesondere die Sowjets fanden es hier schlicht 'prima‘ - das verklärte Bild des Goldenen Westens haben wir also vollends bestätigt.“

Freizeit

und Arbeit

Die individuelle Motivation der Freiwilligen hat sich im Laufe der Geschichte der Organisation erheblich gewandelt. War in den ersten Jahrzehnten die Freiwilligenarbeit vorwiegend von dem Bedürfnis der persönlichen Hilfeleistung und von politischen Motiven geprägt, so ist heute Freiwilligenarbeit in Workcamps eher eine Reiseform: die Möglichkeit, Neues anders, intensiver und mit geschärftem Blick kennenzulernen. Die Arbeit dient als Vehikel zur Befriedigung der individuellen Neugierde. Das hängt sicherlich unter anderem mit der veränderten wirtschaftlichen Situation der Teilnehmer und der Projekte zusammen: Handelte es sich in den zwanziger Jahren und nach dem Zweiten Weltkrieg meist um Katastropheneinsätze, entwickelten sich die Workcamps der siebziger und achtziger Jahre zu einer Form des Alternativtourismus - nicht zuletzt aus der Erkenntnis meist gut ausgebildeter Teilnehmer, daß sich ein fruchtbarer Dialog mit den Bereisten erst über den Alltag, sprich: Arbeit herstellt. Der SCI weiß aus den Erfahrungsberichten seiner Teilnehmer, daß die Workcamps von vielen als eine Art Aktivurlaub aufgefaßt werden. „Solange aber die Auseinandersetzungen während der gemeinsamen Arbeit zu einer Sensibilität für die soziale Befindlichkeit, für die kulturellen Eigenheiten der Partner und für die ursprünglichen Ziele unserer Organisation führen und es immer wieder Leute gibt, die sich im Anschluß an das Workcamp politisieren, fühlen wir uns inspiriert, unser Angebot zu erweitern“, faßt Thomas Wobben das Bemühen des SCI, dem veränderten Zeitgeist zu entsprechen, zusammen.

Informationen bei der SCI-Bundesgeschäftsstelle, Blücherstraße 14, 5300 Bonn 1, Tel.: 0228/212086/7.

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