piwik no script img

Verliebte Kannibalen

■ Sabine Herrmann in der Galerie Knaackstraße 90

Dada ist wieder auferstanden in dem Buch der Collagen, das die Berliner Malerin Sabine Herrmann zu den Cool Calm Collected Poems der englischsprachigen Dichterin Karen Margolis zurechtgeschnippelt hat. Margolis, die vor einigen Jahren von London nach Berlin zog, besingt mit holprigen Versen das ewige Bescheisserle-Spiel der Liebe. Die Worte ihrer Liebessprache klappern wie die knöchernen Würfel eines Glücksspiels in einem Becher: »Language of Love. If I should say / Ich liebe dich / What would you think of mich? / Would you find it too bold / Fear what it told / Imagine I'd eat you / or try to defeat you?«

Während Sabine Herrmann sonst rauschhafte Zustände des Körpers mit expressiv großer Geste auf die Leinwand wirft, beginnt sie in den postkartengroßen Collagen ein Maskeraden-Spiel à la Hannah Höch. Der Frauenkörper, oft nur als der Torso einer Schneiderpuppe oder zweier bestrumpfhoster Beine zitiert, wird zur Bühne, auf der Madonnen und Barbie-Puppen ansatzweise dramatische Rollen übernehmen. Idealisierung und Reduzierung auf das bloße Objekt zeigen sich als zwei Perspektiven desselben Bildes. Ein eingeschnürtes Wickelkind mit Puppenkopf erhebt sich auf den angesetzten langen Beinen einer Frau. Auf einem Sockel, ohne eigene Bewegungsmöglichkeiten, reduziert auf Infantilität.

Nicht mehr um die Vermittlung authentischer Gefühle geht es in den Collagen, sondern um den geraubten und fragmentarisierten Körper, der sich sein Erleben aus Splittern von Klischees zusammenstückelt. Doch in die Bruchstellen und Schnitte schieben sich auch Träume von einer eigenen Bewegungsautonomie: haarige Flügel wachsen einer auf einem Thron sitzenden Hand, Schalen getupfter Schneckenhäuser wölben sich unter dem Arm einer Ballerina und der wallende, sich bauschende Stoff einer Marienfigur, der in den Löchern eines ausgeweideten Gesichtes sichtbar wird, wird zum abstrakten Bewegungselement.

Die Buchseiten mit Collagen und handgeschriebenen Texten sind in großen Rahmen präsentiert, die ihnen den Anschein kostbarer Miniaturen verleihen.

Die Galerie des Kunstvereins Knaackstraße, die mit den aus Fundstücken zusammengesetzten Skulpturen der Leningraderin Lena Smirnowa letzten Dezember eröffnete, wurde von Sabine Herrmann, ihren Berliner Malerkollegen Petra Schramm und Klaus Killisch und der Keramikmeisterin Wilfriede Maaß als Teil eines Austauschprojektes für Künstler gegründet. Schon 1989 entwickelten die Künstler vom Prenzlauer Berg gemeinsam mit dem schwedischen Maler Mikael Eriksson die Idee, in verschiedenen Städten Orte für Leben, Arbeit und Ausstellung von Künstlern einzurichten, um Kunst als Reaktion auf einen Ort entstehen zu lassen und nicht als überall beliebig auszustellendes Gut. Das alternative Artist-in-Residence- Programm ließ sich im April 1990 zuerst für die Berliner in Schweden realisieren; dorthin werden die Ausstellungen des Kunstvereins auch weiterhin übernommen. Das Haus in der Knaackstraße 90 bietet die idealen Bedingungen für künstlerische Produktion und Ausstellung, da sich dort auch Wohnung und Ateliers der Berliner Künstler befinden und weitere für Gäste einrichten ließen — wenn sich denn ein Sponsor findet. Die erste Klippe der Förderung hat der Kulturverein Knaackstraße genommen, dem jetzt zwei ABM-Stellen für die Ausstellungsarbeit bewilligt wurden. Noch aber ist die Frage neuer Mietverträge für Galerie und Ateliers nicht geklärt; danach erst kann mit der notwendigen Renovierung begonnen werden. Katrin Bettina Müller

Cool Calm Collected Poems , Schrift und Collagen von Sabine Herrmann zu Gedichten von Karen Margolis in der Galerie Knaackstraße 90, bis 14. März, Mi. u. Do. 17-20, Sa. u. So. 12-16 Uhr.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen