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Habemus Abitur

■ Zur Rhetorik in ‘Zeit' und ‘Spiegel': Walter im Jenseits und Cora daneben

Die unvergleichliche Cora Stephan, unlängst erst hervorgetreten durch ihre kreative Neufassung des alten Prinzipes Eigennutz (‘Merkur‘ 3/90), überrascht uns immer wieder. Im derzeit noch gültigen ‘Spiegel' führt sie einen so elaborierten und überlegenen Kampf gegen die unausrottbare Tendenz der Sprache zur Aussage, daß es den Bundespräsidenten selbst erblassen machen möchte: Da wird nicht einfach vermutet, angenommen, geschlossen, illustriert, dahingestellt und gefürchtet, nein — da steht zu vermuten, da mag man daraus schließen, da mag das illustrieren, da mag sein und sei dahingestellt, da wird die Vermutung genährt, es ginge dann doch um mehr, da mutet es seltsam an, und wer da das eine als fast schon manifestes anderes nimmt, der täuscht sich womöglich nicht, wer darin genau das vermutet, vielleicht ebensowenig, denn: Dieser Vermutung kann man mit Plausibilität widersprechen, aber darum geht es gar nicht.

Worum aber geht es dann? Kybernetisch gesehen ist Information das Gegenteil von Ordnung, woraus sich schließen ließe, daß ein Höchstmaß an Information in einem Höchstmaß an sprachlicher Unordnung oder auch Unentschiedenheit läge, und ich stünde nicht an zu fürchten, daß eben diese Intention zu verwirklichen aus all dem geschlossen werden mag. Der geschätzte Rhetorikprofessor Walter Jens hat sich inmitten seiner rastlosen Tätigkeit des Versteckens realer Personen die Zeit genommen, uns in der ‘Zeit' vom 22.2. über das Verfahren des endgültigen Versteckens des Sinns in der Sprache performativ zu belehren; so ist es ihm gelungen, nach vorbereitendem großzügigem Gebrauch der doppelten Verneinung, eingebettet in beinahe schon banale Formen semantischen Zutagetretens wie dem Gemach!, des behutsamen und doch entschiedenen Modifizierens, uns schließlich wie folgt aufzuklären, wie es in ihm denkt und meint: Gerade die Freunde des jüdischen Volkes, sie zuallererst, die auch bereit sind, über die These des Romanciers Yoram Knaiuk nachzudenken, die da besagt, die Deutschen liebten immer nur die Opfer und mißachteten die Tatkräftigen unter den Juden (das Argument wäre nachdrücklich zu modifizieren: Zumal konservative und reaktionäre Deutsche bewundern Israel wegen seiner militärischen Leistungen. Man sollte also in Tel Aviv bedenken, ob es ratsam ist, durch Verlangen nach deutscher Militärhilfe ausgerechnet jene Kräfte zu stärken, deren Unbelehrbarkeit Albert Einstein — immerhin der potentielle Nachfolger Chaim Weizmanns — fürchtete, als er vehement und wohlbegründet gegen die deutsche Wiederbewaffnung plädierte)... gerade wir, wollte ich sagen, denen militante Rechte seit Jahr und Tag kruden Philosemitismus vorwerfen, sollten uns, meine ich, hüten, unentwegt Solidaritätserklärungen abzufassen, die jenen zuallerletzt anstehen, die zu Recht davon Abstand nahmen, ihren Abscheu vor Untaten der RAF immer aufs neue zu manifestieren.

Verwirrt und dennoch bereichert, aber auch unabweisbar ermattet, ließen wir nach diesem Übermaß an Information das Wochenblatt zur Seite gleiten, um uns, gewissermaßen zur Erholung, dem sonst in schöner Klarheit Position beziehenden Nachrichtenmagazin zu widmen — und dann dies! In der Trunkenheit des Kannitverstaan, verwundert über die nachgerade verschämte Gewundenheit dieser beiden streitbar aufklärerischen Geister, denen es an Meinungen doch niemals gemangelt hat und auch derzeit offenbar nicht gebricht, tauchte die Erinnerung an einen Satz aus dem übervollen Hirne schimmernd der Berechtigung entgegen: „Sein Geist schöpft so aus dem Vollen, daß er immer woanders ist.“

Dies wird es sein. Wie schrieb es die Unvergleichliche? Habemus Intellektuellenstreit.es

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