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Vergiften Sie jebildete Berliner

■ Der Berliner Dialekt ist die einzige Schose, die durch die Wiedervereinigung einen grandiosen Aufschwung nahm/ Im Osten der Stadt hielt sich die maulige Mundart viel reiner

Die erste Gratulation zur Ernennung Berlins als Hauptstadt und Regierungssitz traf schon vor über 100 Jahren ein, und sie stammte ausgerechnet vom Stammvater aller Linksradikalen. »Ich freue mich, daß es diesem Unglücksnest endlich gelingt, Weltstadt zu werden«, schrieb Friedrich Engels im Jahre 1885 treuebrav, um dann jedoch folgende Frechheiten anzufügen: »Aber schon Rahel Varnhagen sagte vor 70 Jahren: In Berlin wird alles ruppig, und so scheint Berlin der Welt zeigen zu wollen, wie ruppig eine Weltstadt sein kann. Vergiften Sie alle jebildeten Berliner und zaubern Sie eine wenigstens erträgliche Umgebung dorthin und bauen Sie das ganze Nest von oben bis unten um, dann kann vielleicht noch was Anständiges draus werden. Solange aber der Dialekt da gesprochen wird, schwerlich.«

Berlin ist immer noch unanständig: Der Dialekt wird immer noch gesprochen, lieber Fritze mit der Revoluzzermitze. Durch den Mauerfall kamen noch einmal 1,3 Millionen Dialektiker hinzu. Das Berlinische ist sogar die einzige Schose, die durch die Vereinigung einen grandiosen Aufschwung nahm.

Dank Euch Ostberlinern. Denn am Prenzlberg oder Friedrichshain hat sich die maulige Mundart sehr viel reiner erhalten als im Westen der Stadt. Die Gründe dafür sind ziemlich simpel, auch wenn sie Friedrich Engels vielleicht noch bis ins Grab hinein ärgern.

Zum einen hat gerade der Umbau des ganzen Nestes und der Abbau von sozialen und sprachlichen Klassenschranken für die Erhaltung des Berlinischen gesorgt. Im Westen kräusten sich die Näschen, wenn man unter den Reichen oder Jebüldeten auf berlinisch zu schimpfen begann oder unter den Proleten auf hochdeutsch fluchte. Im grauen Hort des Realsozialismus konnte man jedoch geborgen als Gleicher unter Gleichen in Mundart motzen. »Im Kindergarten, von Geschwistern und Freunden sowie teilweise doch im Elternhaus eignen sich fast alle Kinder das Berlinische an, unabhängig von der sozialen Stellung der Eltern«, heißt es in dem in der DDR erschienenen Buch »Berlinisch«. »Durch diese Entwicklung beherrschen heute fast alle Angehörigen der jungen Generation in der Hauptstadt der DDR, wenn sie in Berlin aufgewachsen sind, das Berlinische. Sprachliche Verschiedenheiten, die durch die soziale Stellung bestimmt sind, finden sich hier nur in geringer Zahl.«

Zum zweiten werden die Sprachkolonien der verschiedenen Einwanderer oder auch Rucksackberliner und Rinjekiekten, die sich in den letzten 40 Jahren im Inselstaat West-Berlin auf dem trockenen gebildet haben, nun wieder von berlinischer Redeflut umzingelt. Die schwäbische oder bayerische Landjugend mag sich in Kreuzberg noch eine Weile halten, aber ihre Zungenakrobatik ist letztlich dem Untergang geweiht.

Denn, und das ist der dritte und vielleicht auch unangenehmste Grund, den wir deswegen auch gerne verdrängen: Das Berlinische hat schon seit langem eine kämpferische proletarische Einheitsfront mit anderen östlichen Dialekten geschmiedet, zum Beispiel mit dem Sächsischen. Die Berliner und die Sachsen stützen sich gegenseitig: Was den einen ihr J ist, ist den anderen ihr CH, was hier Weeje (Wege) und Berje (Berge) heißt, klingt dort stimmlos nach Wääche und Bärsche. Man kann nicht den »hübschen« Berliner Dialekt fördern und das Sächsische feindselig ausrotten wollen: Die Laute gehen südlich von Berlin untrennbar ineinander über.

Untrennbar gehen die Laute aber auch in die Emotionen über. Eine schwärmerische Ode mit Berliner Zungenschlag vorzutragen, klingt einfach lächerlich. Das ist — neben den zahlreichen Krisen, die die Stadt erlebt hat — womöglich einer der tiefen Gründe dafür, warum die Berliner als ein bodennaher Volksschlag mit frecher Kodderschnauze gelten. Die blaue Blume der Romantik will in der Berliner Luft einfach nicht gedeihen, dafür aber blüht, auch als Mutation des sozialistischen, der sarkastische Realismus.

Oder ist in den jetzigen seltsamen Zeiten selbst er verwelkt? Früher waren es anscheinend gerade die Härte und die Not der Zeiten, die den Wortwitz und Galgenhumor förderten. Ob unter Adolf oder Väterchen Stalin — gerade in Berlin kämpfte der Humor, der die Herrschenden wenigstens lächerlich machte, im Untergrund immer mit. Doch die Wiedervereinigung, die man herbeisehnte und jetzt verflucht, scheint die Hirne ausgetrocknet und die Volksfantasie abgetötet zu haben. Die Berliner Schnauze kläfft wieder — aber aggressiv und ohne Charme. Die einzigen Witze, die die Runde machen, sind solcherart: »Zwei Ossis treffen sich auf der Arbeit...« Ute Scheub

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