: Viel Widersprüchliches
■ »DDR — weiblich« — Eine Filmreihe im Arsenal
15. 2. 1945: Kampfverbände ziehen vorbei... Später: Kriegsheimkehrer, volle Züge, manche lachen mich beim Vorbeifahren an, andere blicken starr und teilnahmslos vor sich hin... Wenn nur der Rudi wiederkäme. Wenn er plötzlich wieder da wäre... 10 Mark gespendet für Koreahilfe. Algerienwoche, 20 Mark gespendet... Geburtstag von Ernst Thälmann:
Solche und ähnliche Vorkommnisse hat die Bahnwärterin Martha Lehmann auf die Rückseite von Mietzetteln notiert. Diese Mietzettel, nach ihrem Tod gefunden, bilden den Stoff eines 30minütigen Dokumentarfilms, den Peter Voigt 1972 in der DDR drehte. Diese Frauenbiographie hätte die Geschichte der DDR vom Rande her und doch vollständig bis zu ihrem Tod, 1971, erzählen können. Doch in diesem wie in anderen sogenannten Dokumentarfilmen der DDR diente das Leben der Frau nur zu Exempelzwecken. Nicht zuletzt, um ihren heroischen Einsatz an der Arbeitsfront, um ihren Stehaufmännchencharakter zu demonstrieren, wurde von Voigt nur der repräsentative Teil der Alltagsnotizen der Martha Lehmann ausgewählt.
Martha Lehmann ist einer der zahlreichen Filme, die unter dem Titel DDR — weiblich seit dem 8. Mai im Arsenal vorgestellt werden. Bereits vor einem Jahr hatten die Filmarbeiterinnen Annette Eckert und Doris Behringer unter diesem Titel im Arsenal eine Reihe von DDR-Filmen präsentiert. Aufgebrochen mit anderen Frauen, der Frauenfrage in der DDR nachzuspüren, begegneten sie den zu erwartenden Schwierigkeiten: die Frau im Sozialismus ist gleichberechtigt, was gäbe es da nachzuforschen? Die beiden sichteten ab 1987 zunächst in den Kinosälen Ost-Berlins, später an den Schneidetischen der auslaufenden DDR rund 90 Spielfilme und 164 Dokumentarfilme. Für das jetzige Programm wählten sie Filme aus, die ihnen zur Frauenfrage die pointiertesten und gleichzeitig ästhetisch genießbar erschienen und erstellten daraus ein sich über vier Wochenenden erstreckendes Filmprogramm.
Einer der ersten von der neu begründeten DEFA realisierten Filme war Straßenbekanntschaften von P. Pewas (1947), ein Auftragsfilm, dessen pädagogische Absicht der Kampf gegen die grassierenden Geschlechtskrankheiten infolge des häufigen Partnerwechsels in der Nachkriegszeit war. Um so merkwürdiger, daß der Film damals nur eine Woche lang (vom 13. bis 22. 4. 1948) im Filmtheater am Friedrichshain lief. Er erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die sich aus Erlebnishunger auf zahlreiche Liebesaffären einläßt, bis sie zuletzt infiziert ist, weitere Personen angesteckt hat und am Körper einer reichen Prostituierten die Entstellung durch die Krankheit erblickt. Von ihrem weitblickenden Freund, einem unermüdlich für die Gleichbehandlung der Frauen kämpfenden Journalisten unterstützt, wird sie vernünftig und geht zur Ausheilung ins Krankenhaus.
Trotz seiner übergestülpten Didaktik und des etwas rhetorischen Charakters der männlichen Hauptfigur ist der Film in seinen kontrastreich ausgeleuchteten Schwarzweißbildern, mit seiner schummrigen Halbweltatmosphäre und den aus Beleuchtungsnotstand resultierenden Dunkelheitszwängen von besonderer Magie. Das Aufklärungspathos des jungen Zeitungsreporters berührt — aber vor allem berühren die unabsichtlichen Dokumentaraufnahmen, schäbige Innenräume, Klingelbretter, Hinterhöfe: die zeitspezifische Mischung aus Misere und Zukunftszugewandtheit.
Lissy (1957) von Konrad Wolf dagegen ist ein ganz dem kommunistischen Klassenstandpunkt verschriebenes Lehrstück. Die Schnitte werden eindeutig gelegt, der Film ist binnen kurzem vorhersehbar, das Schwarzweiß teilt tatsächlich ein.
Berlin im Jahr 1932: Lissy, aus Weddinger Proletenmilieu kommend, heiratet einen kleinen Angestellten, der, arbeitslos geworden, sich der SA anschließt. Lissy ist die Nahtstelle zwischen den sich befehdenden Seiten: zwischen ihrem Mann, der bald zum SA-Sturmbannführer befördert wird, und ihren Eltern, denen als alten KP-Mitgliedern das Mobiliar zusammengeschlagen wird. Lissys Bruder, der von krummen Geschäften lebt, wechselt von den Kommunisten zu den Nazis und wird, als er zurückwechseln will, von der SA umgebracht. Der äußere Luxus der SA-Gattin steht in zunehmendem Widerspruch zu ihrem inneren Zusammenbruch. Der Widerspruch findet jedoch am Ende des Films in seine Aufhebung: der Kommentator erzählt, daß Lissy jetzt (da sie offensichtlich ihren Mann verlassen hat) einsam ist, aber nicht allein: Über den U-Bahn-Zügen auf der Schönhauser Allee dämmert der kommunistische Nachkriegsmorgen herauf.
1962 hat die DDR vor allem einen heißen Sommer und eine nach Regen lechzende Erde. Auf diesem schmachtenden Land bewegt sich einer, der nach Frauen schmachtet und mit bürgerlichem Namen Manfred Krug heißt. In der liebevollen Beschreibung eines Sommers von Ralf Kirsten ist er sein eigener Vorläufer von Spur der Steine, Ingenieur auf einer Großbaustelle, wieder kein Parteimitglied und wieder renitent, mit wieder einer Schwäche für junge, burschikose Mädchen, diesmal aber mit so einer Schwäche, daß darüber fast der Wald abbrennt. Das Mädchen ist natürlich eine FDJ-Kämpferin mit sozialistischem Großbaustellenengagement und wird von Manne Krug aus der FDJ-Bahn und ihrer sauberen Ehe geworfen. Wegen Dienst- und Verantwortungsversäumnis kommen beide wie absehbar in Schwierigkeiten und noch enger zusammen — aber bevor die geforderten »klaren Verhältnisse« von ihr und ihm geschaffen werden, ist der Sommer zu Ende und seine Beschreibung auch. Dieses schwarz-weiße Meisterstück mit gleichzeitigem Liebes- und Gesellschaftspathos ohne staatsaffirmierendem Schluß wurde dem VI. Parteitag der SED gewidmet. Das 'Neue Deutschland‘ kommentierte wie folgt: »In unserem Leben gibt es noch viel Widersprüchliches, da behaupten sich neben neuem Denken und Arbeiten auch zählebige Reste einer bürgerlichen Moral. So ein Mensch ist der Held des Films.«
Als dann die Farbe im DDR-Film Anwendung findet, ist auch das 11. ZK-Plenum der SED (1965) geschehen. Die Gedankenschrauben sind angezogen, an die Stelle der hyperrealen Schwarz-weiß-Bilder tritt jene realsozialistische Farbigkeit, die nur scheinbar mehr Realität verspricht. Auf den Bildern der beginnenden siebziger Jahre ist die DDR vor allem als kleinkariertes und in Brauntönen changierendes Land präsent. Schon in der Cadrage ist die Zwangslage sichtbar: das große Rechteck setzt sich in immer kleiner werdenden im Bildinneren fort. Das geht gut und wird tragfähig, wenn man wie Evelyn Schmidt in ihrem Film Seitensprung (1979) jene Karos so übereinanderlegt, daß die Eingezwängtheit im sozialistischen Neubau aus ihnen selbst entspringt. Sie machen sichtbar, daß der gepredigten sozialistischen Alliebe in der realexistierenden Kleinfamilie das Bedürfnis nach Monoliebe entgegenstand. Die Ehefrau, die die Seitensprünge ihre Mannes nicht akzeptiert, bringt nicht die Kraft auf, das außereheliche Kind ihres Mannes nach dem Tod der Nebenfrau in die heilige Familie zu integrieren, steckt es lieber ins Kinderheim. Harmoniestreben der Frau mit dem Ausnahmezustand des Urlaubs: die damit einhergehenden Zwänge bringt Evelyn Schmidt bis in die Standbilder am Ende, die die im Streit verkrampften Haltungen fixieren, in formaler Perfektion aufs Zelluloid.
Großes Aufsehen erregte 1971 in der DDR Der Dritte und sein Regisseur Egon Günter erhielt zahlreiche DDR-Staatspreise. Der Film, dessen Ausgangsthese lautet, »Wir (die Frauen) sind emanzipiert, aber einen Mann haben wir (noch) nicht«, will den Beweis erbringen, daß die sozialistische Frau nun so weit emanzipiert ist, daß sie auch den gewünschten Mann endabspeichern kann. Margit Fließer, die Protagonistin dieses Lehrfilms, wird als eine Frau vorgeführt, die ihr Leben als anerkannte Programmiererin mit zwei großen Kindern meistert, jedoch hilflos und konventionell reagiert, wenn es um Männer geht. Eine der technisch-wissenschaftlichen Elektronikrevolution angemessene soziale Umgangsform steht ihr noch nicht zur Verfügung. Sie weiß nur, sie will nicht länger alleinerziehend sein, und der dritte Mann muß der endgültige sein. Über einen langen »Bewußtwerdungsprozeß« und viel zu viele Filmmeter wird sie schließlich aktiv. »Ihr Selbstvertrauen dazu entspringt, wie Günter schreibt, einem tiefen, in komplizierten Prozessen gewachsenem Klassenbewußtsein«. Ihr gelingt schließlich hinsichtlich des Auserwählten die gleiche sichere »Prognostik« wie auf dem Computerschirm: wie sie es vorhergesagt hat, steht sie am Schlußbild im Hochzeitskleid.
Der Film, dem Zwang zu »Volksverbundenheit«, Typik und Individualität gleichzeitig unterworfen, löst mit seinen Streifzügen durchs Diakonissinnenheim und durch Margits Ehe mit einem Blinden nichts als seinen Demonstrationszweck ein. Mit unzähligen Kameraschwenks versucht er eine Beweglichkeit vorzuführen und macht damit nur stärker das Beschränkte des Bildausschnitts spürbar. Der diskussionswürdige Widerspruch steuert zielstrebig auf seine Aufhebung im Hochzeitskleid hin — der Film samt seiner Kapitelunterteilungen wird zum Beispiel für dogmatischen Schematismus und für einen dem Filmmedium gerade entgegengesetzten Realitätsbegriff.
Eine bis an die Zähne inszenierte Seifenoper ist der 1982 gedrehte DEFA-Streifen Sonjas Rapport. Nach dem gleichnamigen autobiographischen Bericht von Ruth Werner wird deren kommunistische Agententätigkeit in den dreißiger Jahren in der Mandschurei, im besetzten Danzig und in Warschau gezeigt. Sonja liebt gleichzeitig zwei Männer und hat von beiden ein Kind, stellt jedoch immer und überall die geheimdienstliche Tätigkeit über den Schutz der Familie und trauert auch nicht, als sie sich bei Ausbruch des Krieges von den beiden Männern verabschieden muß, die nach Ostasien gehen. Der in großartigem Dekor inszenierte Film ist in seiner Glätte eine durchsichtige Selbsthuldigung.
Neben solchen apotheosierenden Großbildaufnahmen von Frauen gibt es kleine Filme mit schmutzigen Bildern, die wenig beredt sind wie Ramona (1980) von Sybille Schönemann oder In der Strömung von Karl Faber: in halbdokumentarischen Bildern stellen sie bescheidene und gefährdete Lebenswege von Frauen und Mädchen nach.
Frau — DDR — Film: genügend Stoff, um sich in den sonntäglichen Gesprächsrunden über die Auswahl und die unterschiedliche Rezeption der Filme, über unterschiedliches Weiblichkeitsverständnis und über Streitformen zu streiten. Das Filmprogramm ist Teil eines großangelegten Art-Multi-Projekts, in dem unterschiedlichste Arbeiten von DDR- Künstlerinnen dokumentiert werden. Die begleitende Kunstausstellung Außerhalb von Mittendrin will »Kunstpositionen west- und ostdeutscher und österreichischer Frauen miteinander konfrontieren«, das Rahmenprogramm soll zeigen, »was sich in der DDR am Rande des offiziellen Kunstbetriebs bewegte«: in Performances, Tanz- und Musikdarbietungen und Videoproduktionen. Unter der Leitung von Merve Lowien findet daneben eine Reihe von Lesungen statt. Michaela Ott
Noch bis 23. Juni: Außerhalb von Mittendrin , Ausstellung, Theater/ Musik, Literatur und Videofilm im Neuen Kunstquartier im TIB, Gustav-Meyer-Allee 25, und im Veranstaltungszelt (4644524).
DDR — weiblich im Film: Arsenal, bis 2. Juni, jeweils Do., Fr., Sa., So., 18, 20 und 22.15 Uhr.
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