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Gesunde Altmeister

In Großbritannien droht der Ausverkauf der nationalen Kunstschätze — die Regierung hilft mit  ■ Von Stefan Koldehoff

Der britische Kunstminister Tim Renton fühlte sich bemüßigt, in den seit Monaten auf der Insel geführten öffentlichen Disput über seine Politik einzugreifen: „Die Notwendigkeit für eine Notfallmaßnahme gegen den Ausverkauf des britischen Kulturerbes aus diesem Land“ sei dringend geboten, teilte der Politiker in der ersten Aprilwoche in einem Leserbrief an die 'Times‘ mit. Schon vor einiger Zeit war bekanntgeworden, daß die Regierung an einer Liste all jener Kunstwerke arbeitet, die künftig nicht mehr ohne deren Genehmigung Großbritannien verlassen dürfen. Geschehen allerdings ist bis heute nichts, die Embargo-Liste liegt nicht einmal im Entwurf vor. „Der Ausgang dieser Diskussion ist für uns völlig offen“, beschreibt Christie's- Pressesprecherin Lavinia Calza die momentane Unsicherheit am britischen Kunstmarkt. Dabei haben gerade die großen Londoner Auktionshäuser zur Zeit alles andere als Grund zur Sorge: Gleich scharenweise strömte nach Bekanntwerden der Regierungspläne vor allem der englische Landadel in die Büros von Christie's und Sotheby's in der King Street, um schnell noch jene Werke zu versilbern, die künftig das neue Gesetz schützen soll. Die Ministerintive hatte damit genau das erreicht, was sie verhindern wollte: Der britische Kunstmarkt steht vor einem großen Ausverkauf.

So sollten in den beiden „Old Master“-Auktionen dieses Frühjahres in London ursprünglich gleich vier hochkarätige Meisterwerke zum Aufruf kommen, obwohl der Markt bei allgemeiner Rezession nach wie vor der impressionistischen und modernen Kunst zu gehören schien. Zwar wurden auch die herausragenden Werke des 16. bis frühen 19. Jahrhunderts nach wie vor angemessen bewertet — Jacopo Pontormos brillantes Porträt des Herzogs Cosimo von Medici (um 1537) erwarb im Mai 1989 das Getty Museum im kalifornischen Malibu bei Christie's für 35,2 Millionen Dollar, Tizians Venus und Adonis wechselte im Dezember 1991 in London für 7,48 Millionen Pfund den Besitzer; das Gros der Zuschläge für Altmeister-Gemälde aber hatte sich im wenig spektakulären Bereich um 2 Millionen Dollar eingependelt.

Der Wert dieser Werke zeigte sich erst, als spätestens ab Sommer 1990 auf dem Kunstmarkt die allgemeine Ernüchterung einsetzte: Als nach den Rekordverkäufen der Vorjahre mit Zuschlägen bis zu 92 Millionen Dollar die Preise für die Impressionisten in den Keller fielen und die Quote der unverkauft zurückgehenden Lose stetig stieg, blieben die maßvoll bewerteten Klassiker stabil. „Der Markt für Altmeister-Gemälde hat sich als recht gesund erwiesen“, bestätigte noch im Januar rückblickend auch die neueste Ausgabe des Branchendienstes 'Art Market Bulletin‘, in dem Sotheby's für sich und andere Auktionshäuser durch den „Sotheby's Art Index“ die Marktentwicklung dokumentiert.

Bei Sotheby's in London bietet nun am 8. Juli der Earl of Roseberry das Porträt des Predigers Johannes Uyttenbogaert, ein Werk Rembrandt van Rijns mit Signatur und Datierung von 1633, zum Verkauf an. Die 132 mal 102 Zentimeter messende Tafel zählt zu den vom „Rembrandt Research Project“ als authentisch bestätigten Werken und gilt als eines der eindringlichsten Bildnisse aus Rembrandts Zeit als führender holländischer Porträtist. Mit einem erhofften Erlös jenseits der 10 Millionen Pfund soll das seit mehreren Generationen in Familienbesitz befindliche Prediger-Porträt dem Lord nun aus seinen Finanznöten helfen: „Lord Roseberry verkauft dieses Gemälde, um grundlegende Reparaturen und Verbesserungen für seine Besitztümer und Geschäfte zu bezahlen“, erläuterte die Presseankündigung den Verkauf entgegen sonstigen Gepflogenheiten. Der Familienbesitz Dalmeny House bedarf dringender Sanierungen, die rund hundert Angestellten des Lords wollen bezahlt sein. So verbergen sich hinter dem spektakulären Verkauf durchaus handfeste politische Motive: Seit die britische Regierung auch die Zuwendungen für den Denkmalschutz erheblich zusammenstrich, sind immer mehr aristokratische Schloßherren in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Ganz ähnliche Gründe bescherten auch dem Konkurrenzunternehmen Christie's drei ausgesuchte Kostbarkeiten, Schlüsselwerke der europäischen Kunst im 18., 17. und 16. Jahrhundert, für seinen „Old Master Sale“, der heute in London stattfinden soll.

Eine sonnendurchflutete und architektonisch detaillierte Ansicht der Old Horse Guards from St. James's Park aus der englischen Periode des venezianischen Vedutenmalers Giovanni Antonio Canal, genannt Canaletto, lieferten aus der Sammlung des Earl of Radnor die heutigen Eigentümer ein. Sie erwarten dafür umgerechnet rund 18 Millionen Mark. 24 Millionen Mark soll das zweite bedeutende Rembrandt-Werk einspielen, das in dieser Saison auf den Markt kommt. Die biblische Szene Daniel und Cyrus vor dem Götzenbild des Baal, signiert und datiert „Rembrant (sic) f 1633“, kommt aus der Familie des englischen Schauspielers Barton Booth (1681-1733), der es selbst aus der Sammlung des bankrotten Amsterdamer Kunsthändlers Pieter Croon übernommen hatte. Ebenfalls mit dem Echtheitssiegel der Amsterdamer Rembrandt- Forscher versehen, mißt die Holztafel mit ihren typischen Hell-dunkel- Kontrasten gerade einmal 23,4 mal 30,1 Zentimeter.

Das vierte Meisterwerk schließlich wurde zwei Wochen vor der Auktion wieder zurückgezogen. Das erst 1925 als authentisches Werk wiederentdeckte Portät einer unbekannten Dame mit Eichhörnchen und Star von Hans Holbein dem Älteren hatte im Februar 1761 der dritte Earl of Cholmondeley für 45 Guinees bei einer Auktion in London erstanden. Sein Nachfahre, der gerade 31 Jahre alte Marquess of Cholmondeley, hatte das Bild zunächst der Londoner National Gallery für umgerechnet 45 Millionen Mark zum Vorkauf angeboten. Direktor Neil MacGregor mußte mangels ausreichender Mittel ablehnen, machte seinem Unmut über die hohe Preisforderung aber öffentlich Luft. Obwohl der Adelige den Holbein daraufhin schon zur Auktion eingeliefert hatte und das Porträt sogar den Titel des Kataloges zierte, kam es schließlich in der letzten Märzwoche doch noch zu einer überraschenden Einigung. Nach Einschaltung der Kunsthändler Hazlitt, Gooden & Fox erwarb doch die National Gallery mit Unterstützung durch den „National Heritage Memorial Fund“ und den „National Art Collections Fund“ das Bild. Die Kaufsumme in Höhe von zehn Millionen Pound Sterling kann über drei Jahre verteilt abbezahlt werden. In ihrer gemeinsamen Presseverlautbarung zum Verbleib des Werkes auf der britischen Insel verweisen auch Christie's und der verkaufende Marquess of Cholmondeley auf die finanziell bedingte Notwendigkeit dieser Transaktion: Der Landsitz Houghton Hall in Chesshire soll mitsamt seinem kostbaren William-Kent- Mobiliar erhalten und auch weiterhin für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Dafür ist der Verkaufserlös dringend nötig. Deutlich üben die beiden Handelspartner Kritik am verschwindend geringen Engagement der Regierung auf diesem Sektor: „Leider werden auch die zehn Millionen nur einen kleinen Beitrag zum Erhalt von Houghton Hall und seiner Einrichtung beitragen.“

In der 'Times‘ hatte Staatssekretär Tim Renton — inzwischen merklich zurückhaltender geworden — verkündet, er wolle über die Zukunft der geplanten Exportverbotsliste vor den Wahlen in Großbritannien nicht weiter nachdenken. Die Politiker scheinen das Dilemma inzwischen zu begreifen: Was sie schützen wollen, ist schon halb verloren.

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