piwik no script img

LANGZEIT-ÜBERLEBENDE BEI HIV-POSITIVEM BEFUND

Seit 10 Jahren infiziert und immer noch gesund

Amsterdam (taz) — Elf Jahre nach der Entdeckung des Aids-Virus HIV wird immer klarer, daß längst nicht alle Virusträger an Aids erkranken und sterben werden. Es gibt das verblüffende Phänomen von sogenannten Langzeit-Überlebenden, die seit zehn, zwölf oder 14 Jahren mit dem Aids-Virus leben und nur wenige oder gar keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen zeigen. Auch die Zahl der T-Helferzellen, ein wichtiger Indikator für den Verlauf der Infektionskrankheit, bleibt bei vielen Langzeit-Überlebenden stabil. Oder sie schlägt Kapriolen und geht plötzlich kräftig nach oben.

In Langzeitstudien werden infizierte homosexuelle Männer seit Ende der siebziger Jahre beobachtet. Sie wurden eigentlich als Hepatitis- Studien gestartet, heute liefern sie die wertvollsten Daten zu Aids. Von 562 Männern, deren Infektionszeitpunkt sich sicher feststellen ließ, waren in der sogenannten Kaplan-Meier-Studie von San Francisco nach zehn Jahren 51 Prozent der Infizierten an Aids erkrankt. Nach 13 Jahren waren es 65 Prozent. Anders formuliert: Jeder dritte Infizierte hatte auch 13 Jahre nach der Infektion kein Aids entwickelt. Ermutigende Daten, die viel zuwenig bekannt sind.

Viel zu spät, so die übereinstimmende Kritik auf einem Round-Table-Gespräch auf dem Amsterdamer achten Welt-Aidskongreß, beginnen die Wissenschaftler sich jetzt um das Phänomen der Langzeit-Überlebenden zu kümmern.

Die Erklärungsversuche sind bisher noch dürftig. Der Hinweis auf eine Infektion mit möglicherweise weniger aggressiven Virusstämmen steht meist an erster Stelle der wissenschaftlichen Antworten. Außerdem hätten sich die Betroffenen frühzeitig in ärztliche Behandlung begeben.

Doch in einigen Fällen ist genau das Gegenteil richtig. Susan Buchbinder, Aids-Forscherin aus San Francisco, berichtete von 23 gesunden Langzeit-Überlebenden aus der Kaplan-Meier-Studie, die niemals AZT und andere antivirale Substanzen genommen hätten. Dennoch seien sie gesund und munter mit T-Zellen zwischen 500 und 1.400. In den letzten vier Jahren hatten diese 23 Personen einen T-Zellen-Verlust von ganzen drei Zellen erlitten.

Das Thema schien die Zuhörer am Dienstag zu elektrisieren. Immer mehr Langzeit-Überlebende meldeten sich als „lebende Beispiele“ aus dem Publikum zu Wort, berichteten über T-Zellen-Sprünge und ihre persönlichen Strategien zur Gesunderhaltung. Auch auf dem Podium saß mit Alvin McKean ein Aids-Aktivist, der schon 1983 bei nur noch 160 Helferzellen angelangt war. Sein Erfolgsrezept: schlafen, viel und regelmäßig.

McKean ist davon überzeugt, daß jeder Langzeit-Überlebende seine eigene Überlebensstrategie habe. Jeder glaube, er mache irgend etwas Besonderes, das ihm hilft. Wichtig sei also, so McKean, daß überhaupt etwas gemacht wird. Sport, eine gute Ernährung, viel Schlaf, wenig Streß, soziale Unterstützung, gute Gene und eine Persönlichkeit, die sich von der Krankheit nicht demoralisieren läßt, wurden als wichtige Faktoren genannt. Es sind dieselben Faktoren, die man von allen anderen Krankheiten kennt.

Zum ersten Mal war auf dem Amsterdamer Kongreß eine optimistische Grundstimmung zu spüren. Dies seien die ersten exciting news des ganzen Kongresses, freute sich ein Kanadier im Publikum. Andere kritisierten, daß die meisten Langzeit-Überlebenden überhaupt nicht bekannt seien. Die Ärzte, die in ihren Praxen solche Patienten haben, sollten ihre Informationen weitergeben, damit dieses Phänomen endlich bekannt werde. Dies könne vielen Betroffenen Mut machen.

Ein Afrikaner aus dem Publikum bremste die Euphorie mit seinem Hinweis, daß es in Afrika keine Langzeit-Überlebenden gebe, er kenne jedenfalls niemanden. Offenbar sei auch der soziale und ökonomische Hintergrund und der daraus resultierende gesundheitliche Status vor der Infektion ein wichtiger Ko- Faktor für das spätere Überleben. „Geben Sie uns einen Ratschlag, wie wir in Afrika Langzeit-Überlebende werden sollen!“ — Stille.

Unklar ist bisher noch, wer als Langzeit-Überlebender gilt. Dafür gibt es bisher keinerlei Definitionen. Am Amsterdamer Runden Tisch schien man sich auf einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren HIV-Infektion bei guter Gesundheit geeinigt zu haben. Manfred Kriener

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen