piwik no script img

INTERVIEW„Bitte nicht schon wieder ein Glaubenskrieg bei den Grünen!“

■ Joschka Fischer, grüner hessischer Umweltminister, plädiert für eine offene und ehrliche Diskussion des Pazifismus-Dilemmas seiner Partei

taz: Die beiden grünen Politiker Helmut Lippelt und Claudia Roth sagten nach Ihrer Rückkehr aus Belgrad, daß angesichts von Internierungslagern, „ethnischer Bereinigungen“ und archaischer Gewalt in Bosnien-Herzegowina „notfalls auch mit Gewalt“ eingegriffen werden müsse. Das ist eine klare Abkehr vom bisherigen prinzipienfesten Pazifismus der Grünen. Begrüßen Sie das?

Joschka Fischer: Ich finde, daß sie damit eine notwendige Diskussion bei den Grünen anstoßen. Diese Äußerungen sind ja auf dem Hintergrund konkreter Erfahrungen nach einem Besuch in Serbien gemacht worden. Für diese mutigen Äußerungen ist ihnen zu danken. Ich glaube nur, das wir zwei Dinge trennen müssen: Das eine ist eine militärische Intervention, die meiner Ansicht nach zu einer Ausdehnung des Krieges und damit nicht zu einer Beendigung des Mordens führen würde. Die andere Frage ist aber, wie sich eine pazifistische Partei in einer Situation verhalten soll, wo die Grundlagen ihres Pazifismus nicht mehr wie zur Zeit des Kalten Krieges gegeben sind und gleichzeitig ein extremistischer Nationalismus zum Vorschein kommt, der sich durchaus in Richtung Nationalsozialismus bewegt. Da bekenne ich mich auch zu meiner inneren Zerrissenheit. Ich bin durch zwei historische Erfahrungen politisiert worden: das Vermächtnis, daß Auschwitz sich nie mehr wiederholen darf und daß man dazu nicht schweigen und untätig bleiben darf. Das andere war: Von Deutschland darf nie wieder Krieg ausgehen. Diese Zerrissenheit steckt in vielen von uns, diese Diskussion werden wir führen müssen.

Der Rekurs auf den Faschismus kommt mir in diesem Zusammenhang aber wie ein politischer Kunstgriff vor.

Die Politik der ethnischen Säuberungen, die massiv von den Serben, aber auch von den Kroaten gemacht wird, also eine rassistische Politik, die schwerste Menschenrechtsverletzungen nicht scheut, darf von Europa nicht akzeptiert werden. Wenn das hingenommen wird, wird das Europa in ein nationalistisches Chaos zurückwerfen.

Die Grünen haben sich bisher gegen eine Beteiligung deutscher Soldaten an Blauhelm-Einsätzen ausgesprochen. Halten Sie diese Position angesichts der verzweifelten Lage der Menschen in Sarajevo noch für haltbar?

Die ganze Serbien-Politik der Bundesregierung ist sehr geschichtslos. Da wurden schlimme Fehler gemacht, die fatale Konsequenzen hatten, etwa die übereilte Anerkennungspolitik. Ich bin weit davon entfernt, die Politik des serbischen Extremismus zu legitimieren. Wenn ich mir aber vorstelle, daß deutsche Soldaten als Kriegsgefangene in Belgrad vorgeführt würden, so hätte das weit über Jugoslawien hinaus schlimme Konsequenzen. Das, was die Deutschen dort im Zweiten Weltkrieg angerichtet haben, wirkt immer noch. Insofern können deutsche Soldaten dort heute keine Friedensstifter spielen. Ich bin für eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik. So eine Politik kann aber nicht auf die Eigenstaatlichkeit aller Nationalitäten in Osteuropa setzen, sonst führt sie zu ethnischen Massakern.

Können Sie sich überhaupt eine Situation vorstellen, in der Sie für eine Beteiligung deutscher Soldaten an UNO-Einsätzen plädieren würden?

Auschwitz konnte man durch Pazifismus nicht verhindern. In der gegenwärtigen Situation kann ich aber nicht sehen, daß eine begrenzte Intervention zu einer Beendigung der Massaker führen würde. Im Gegenteil, die Situation würde eskalieren.

Eine politische Lösung ist nicht in Sicht, an einer wirksamen Durchsetzung eines Embargos zweifeln viele, Militärinvasion führt möglicherweise zur Eskalation. Was ist denn überhaupt machbar?

Es führt kein Weg daran vorbei, das moralische Gewissen zu mobilisieren und alle Kriegsbeteiligten mit einem Embargo in die Knie zu zwingen. Allen Beteiligten muß klargemacht werden, daß sie mit ihrer Politik der ethnischen Säuberungen keine Zukunft in Europa haben werden. Das muß geächtet werden.

Der Sicherheitsexperte der SPD, Andreas von Bülow, hält es für sinnvoll, die militärische Option wenigstens im Köcher zu haben, wenn man Druck auf die Serben ausüben will.

Wer die Geschichte Serbiens kennt, der weiß, daß das serbische Volk über Jahrhunderte hinweg ein Leben unter der Androhung solcher „militärischer Optionen“ geführt hat. Ein begrenzter Luftschlag, wie ihn Herr von Bülow will, wird doch auch von Militärs als Sandkastenspiel abgetan.

Wie sollte denn nun die Pazifismusdebatte bei den Grünen weitergehen?

Die Grünen müssen ein klares Wertefundament errichten, das auch in einer Welt nach dem Kalten Krieg trägt. Wenn wir für ein friedliches Zusammenleben der Völker sind, werden wir nicht unterschätzen können, daß man den Frieden notfalls auch gegen Friedensbrecher durchsetzen muß. Dieses würde ich gerne an internationale Gremien gebunden sehen. Ich bin dafür, nationale Souveränitätsrechte an die UNO oder die KSZE zu binden.

Gesetzt den Fall, es gäbe eine solche von der Völkergemeinschaft getragene Weltpolizei — können die Grünen dann noch gegen deutsche Soldaten in blauen Uniformen sein?

Wir stecken da in einem echten Dilemma, und ich habe noch keine fertige Antwort. Ich bin energisch gegen alles, was wieder zu deutscher Weltmachtpolitik führt. Aber ich bin Realist genug, zu wissen, daß in Europa irgendwann der ein oder andere Schurke an die Macht kommen kann, und mit grauenhaften Mitteln diese Macht halten will. Und dem wird man das Handwerk zu legen haben. Dem wird man sich, auch als Deutscher, nicht entziehen können. Aber es gibt hier auch massive politische Kräfte, die wieder auf eine zentrale geopolitische Rolle Deutschlands rauswollen. Da haben wir Grünen erheblichen Diskussionsbedarf. Ich halte aber nichts von einem neuen grünen Glaubenskrieg nach dem Motto abstrakter Pazifismus gegen Weltpolizei-Option. Auf jeden Fall ist Claudia Roth und Helmut Lippelt dafür zu danken, daß sie diese Diskussion angestoßen haben.

Interview: CC Malzahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen