piwik no script img

Wand & BodenRichtige Form, richtige Farbe im richtigen Moment

■ Kunst in Berlin jetzt: unknown artists, Sarkis, Brian Reffin-Smith

Schon der Eintritt in die Paris- Bar gleicht einer Herausforderung für den, der sonst nur Wand und Boden sichtet. Hier wird das prahlerische Leben der Boheme für den Bruchteil einer Sekunde als erstarrtes Bild aus der Zeit einer längst vergangenen Moderne auf den Mittagstisch uneilig konferierender Geschäftsleute gespiegelt. Austern, Hors d'oeuvres, Kunst. Ganz kann man sich dennoch die Vergangenheit nicht leisten, statt Picasso Braque oder Modigliani hat Martin Kippenberger das Ambiente mit „guter schlechter Kunst“ augenzwinkernd pompös eingerichtet. Trotz der Petersburger Hängung hat Warren Neidisch noch ein paar ungedeckte Flächen und verwaiste Leerstellen zwischen den Sitznischen gefunden, auf denen er seine Galerie der „unkown artists“ vorstellt. Neben dem Goliath der deutschen Appropriations-Szene, der selbst dem abgeschmacktesten Zitat noch die eigene Handschrift beimischt, hat Neidich Gruppenfotos von Künstlern installiert, die ein wenig wehmütig auf Kippenbergers Fake-Spielereien mit der Geschichte zu blicken scheinen. Doch auch Neidich steht den Opfern der Posthistorie tatkräftig zur Seite und expropriiert nicht den Expropriateur. Neidich appropriiert ganz einfach rückwärts in die Zeit gewendet. Im Montageverfahren hat er sein schnauzbärtiges Konterfei unter die Momentaufnahmen aus der Vergangenheit gemischt. Schelmisch grinst er aus dem Gruppenbild der Surrealisten um Andre Breton hervor, reiht sich unter die Fluxus-Jünger ein oder blinzelt im Verbund mit Andy Warhol und der Factory- Belegschaft in den frostigen New Yorker Spätherbsthimmel von 1969. Ein Künstler macht sich Geschichte, so wie sie kleine Kinder nachts nach zu viel Fernseh-Western träumen. Als Alptraum. Denn was mit der Einschreibung von Neidich ins historisch geformte Gruppengefüge verlorengeht, ist die Verflechtung der Künstler untereinander. Indem sich Neidich einmischt, zerbricht die Gruppe in Personenkult und Mitläufertum. Der Körper links in der Ecke, dessen ursprüngliches Antlitz er mit seinem eigenen wunschprojizierend übergetüncht hat, geht dem Kollektiv verloren. Dabei könnte es jeden treffen, außer jene wirklichen Superstars: Warhol, Breton, Pollock, Newman, Rothko, eine Handvoll eben, stellvertretend für ein Jahrhundert unentwegter Kunstströmungen, die weniger von den Berühmtheiten, sondern der Menge der namenlosen „unkown artists“ getragen wurden. Irgendwie ist es dann auch sympathisch, mit welchem Gleichmut er sich als Ersatz-Loser in die Gruppenporträts einreiht, ganz anders als Kippenberger.

„unkown artists“ Dauer-Ausstellung, Kantstraße 152

Zur totalen Veräußerung des Kollektivs an die Geschichte verhält sich die Konzeption des Gedächtnis des in Paris lebenden Exil-Armeniers Sarkis nahezu diametral entgegengesetzt. In der Galerie Gebauer und Günther hat er unter dem Titel Leidschatz mit drei Rauminstallationen die Erinnerungsspuren des Künstler- Subjekts nachgezogen. Er ist's. Der Begriff zur Gedächtnisarbeit, die Sarkis leisten zu müssen meint, stammt von dem Kunsthistoriker Aby Warburg, dessen Formulierung vom „Leidschatz der Menschheit“ sich auf die reflektierte Leiderfahrung bezieht, die in Kunstwerken versammelt ist. So häuft ein Kunstwerk nicht nur das Leid der subjektiven Erfahrung an, sondern auch solches der Geschichte, in die es – einmal aus dem Atelier entlassen – eingeht. Vergleichbares hatte zuletzt Alfredo Jaar um den Pergamon- Altar inszeniert. Sarkis hat in Miniaturform gleich den ganzen Schöpfungsprozeß erinnernd verortet. Auf einer mit Estrich gedeckten Bühne liegen zwölf verkohlte Holzklötze stellvertretend für seine zwölf bisherigen Ateliers aus, denen er nicht ihre ursprüngliche, sondern die memorierte Gestalt ihrer Aura gegeben hat. Unter dem Gerüst sind nochmals zwölf unbeschädigte Doubles identisch positioniert. Das Ideal- Konstrukt auf der unteren Ebene bricht die existentialistisch mit dem Wissen um Vergänglichkeit aufgeladene Idylle der verbrannten Artefakte, denen das Leid fast wortwörtlich als Schatz innezuwohnen scheint. Auch in den beiden anderen Raumarbeiten bricht Sarkis das metaphorische Geflecht wieder auf. Dann ist die zwölfteilige Leichtkasten-Serie „Erscheinen des Engels“ wirklich an den Prozeß der Wahrnehmung gebunden. Bei Einbruch der Dunkelheit schimmert der als Wasserzeichen in das Büttenpapier gezeichnete Engel matt hervor und lagert sich wie ein Schatten in der Tiefe ein. Auf der Arbeit „In die Nacht“ taucht dieser Engel erneut in Skizzen auf, welche Sarkis neben emaillenen Straßenschildern postiert hat, denen die Beschriftung fehlt. Denn der Engel gilt dem Künstler als symbolischer Vermittler zwischen Mensch und leerem Ort. In diesem Geschichtsbild unterscheidet sich der Künstler vom Philosophen, der einzig sich an der leeren Zeit als Übergang orientiert. Ebenso ließe sich das allen Installationen inhärente Verhältnis von Form und Gehalt aus dieser Differenz ableiten. Dem Künstler bleibt jedoch als Ziel vor Augen, im Objekt die Zeit zu erhalten: „Ich versuche immer, den Moment eines Objektes einzufangen, die richtige Form, die richtige Farbe im richtigen Moment.“

Bis 26.2., Pfuelstraße 5, Mi. bis Sa. 13 bis 19 Uhr.

Weder den Phänomenen der Kunstwelt noch dem subjektiven Spiel mit Erinnerungskammern zeigt sich Brian Reffin-Smith zugeneigt. Eher verlängert er den Bruch zwischen Konstitution und Reflex der Geschichte von Zeichen – computergeneriert. Mit einem minutiös strukturierten Zeichenprogramm läßt er den Computer die Varianz zwischen zwei Gegenständen errechnen und in der Anverwandlung die Einzelschritte ausdrucken. Eine Blockflöte ändert dann in etwa fünf Dutzend Phasen ihre Gestalt bis hin zur notierten Partitur. Ebenso verwandelt sich ein Baseballschläger zur getöpferten Schale, das Gesicht eines Skinheads zum Sarg oder der Computer als Stilleben in einen Dildo. Sind die Zeichen erst einmal durch die Mangel der Struktur gedreht worden und transformiert, so setzt Reffin- Smith noch als Probe aufs Rechenexempel eine gegenständliche Übersetzung des binären Codierungsprozesses in Szene: Dem gewandelten Computer steht ein in Plastik gegossener Dildo als Objekt-Übertragung zur Seite. Es ist ein weiterer Fake, der auf einer ähnlichen Virtualität der Gestaltung beruht: Im Inneren der Befriedigungsmaschine läuft eine Spieluhr, deren Melodie auf demselben Computer generierbar wäre, der als Zeichen am Anfang des Prozesses dargestellt war. Der Kreis schließt sich mit der Möglichkeit des zirkulären Anknüpfens innerhalb der Zeichenordnung.

So auch bei der Bildfolge: jedes vom Computer errechnete Zwischenbild im Transformationsprozeß läßt sich vom Datenfluß gelöst betrachten und ebenso an die Struktur der ganzen Serie rückkoppeln. Irgendwo in der Mitte am Umschlagspunkt der transmutierenden Objekte etwa sehen alle Gegenstände wie ein griffig abstrahiertes Tafelbild in der Tradition der Schriftspuren Cy Twomblys aus. Da kommt der Computer der Kunst ziemlich nahe. Ansonsten ist sich Reffin- Smith durchaus der mühelosen Beliebigkeit in der Erarbeitung seiner Artefakte bewußt. Der Fake verstärkt den Bruch mit dem Bekenntnis zur Differenzierung: Von virtuell oder real zu reden ist dabei selbst nichts anderes als ein Standard der Vermittlung, deren Uneinlösbarkeit Reffin-Smith per Computer auf die Spitze treibt. Er hätte genausogut eine Nähmaschine mit einem Bügeleisen auf dem Bildschirm zusammentreffen lassen können. Das hätte an der Geschichte auch nichts mehr geändert.

Bis 20.2., Zwinger-Galerie, Dresdener Straße 125, Mi. bis Fr. 15 bis 19, Sa. 11 bis 14 Uhr

Harald Fricke

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen