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Wand und BodenAls Schreck im Wohnzimmer natürlich o.k.

■ Kunst in Berlin jetzt: Pat Steir, Charlotte Berend-Corinth, Aerarier

Konstrukt, Passion, Menetekel: das wären vielleicht die inneren Leitmotive der drei Zimmer, die Pat Steir bei Franck & Schulte gestaltet hat. Im ersten Stock eines stolzen Bürgerhauses in der Mommsenstraße gelegen, mit ihren Durchbrüchen und dem Parkettboden, wirkt die Galerie wie eine Wohnung, also alles dort Gezeigte wie ein Kommentar bourgeoisen Erfolgs. Steir hat die Zimmer von der Bodenleiste bis in die Wölbung der Decke mit Papier beklebt; die Quadratmuster erinnern an gekachelte Bäder. Auf diesen Grund – dunkel übrigens – hat sie in grober, im Duktus fast naiver Art rote Formen und Gebilde gepinselt und gespritzt. Ein Raum zeigt eher einfache, kultisch anmutende Formen, die (eben als Konstrukt) nebeneinander stehen oder per Malerschleife verbunden werden; die Gebilde verengen sich im folgenden Raum zum labyrinthischen Gewusel: in der Dichte der Farbe wird das Blut blutrot (Passion). Der straßenzugewandte Raum ohne Fenster hat wenig Farbe abbekommen, ein bißchen Nitsch, ein bißchen Hollywood-Sado, denn das Ganze findet ja auf imaginären Kacheln statt. Also nicht durchweg zum Fürchten. Die Amerikanerin Iris Patricia Sukoneck (Steir ist ihr Pseudonym), arbeitet nicht mit der gleichen Selbstverständlichkeit in bezug auf die Totalität des Raums – wie etwa der gleichaltrige Buren. Steir, in deren Biographie eine Tendenz zur Grafik und zum Grafikdesign nachweisbar ist, greift vielleicht etwas zu entschieden nach der Architektur als Gesamtkunstwerk. Technokälte vs. Graffiti – als Schreck im Wohnzimmer natürlich in Ordnung.

Mommsenstraße 56, bis zum 13. März.

Lässig steht sie auf dem linken Bein, rechts ist sie bestrumpft. Das grüne Négligé locker gerafft, der Ausschnitt entschieden gedehnt. Zinnoberrot leuchten ihr Schnütchen, ihre Brustwarzen und ihre Schamlippen: Anita Berber, portraitiert von Charlotte Berend-Corinth, 1919. Noch stand der Nackttanz nicht auf dem Programm, sondern die Nacktheit, aber das Bekenntnis ist spielerisch, die Verkleidung kleidet sie gut. Berend-Corinth, sechzehn Jahre verheiratet mit dem Maler Corinth, trifft hier mit rund vierzig die Zwanzigjährige, die unter Einsatz ihres Namens und später ihres Lebens die hedonistischen patterns der zwanziger Jahre in Berlin mitbestimmen sollte. Es ist schon verwunderlich, daß die beiden Frauen so sicher in die Kiste einer sexuellen Gestik greifen, die zwischen Selbstbestimmung und Lustbekenntnis liegt. Die von Hand aquarellierten Lithographien haben die schlichten Farben von Max und Moritz, aber die lustige Biederkeit des vorsichtig Bunten steigert den Effekt der Bilder, die die Tänzerin tanzend und sitzend zeigen, im letzten Bild ihre geöffnete Vagina mit dem Zeigefinger berührend: Frauenkunst fürs erotische Kabinett, schöne Röten zum Erröten. Dix manieriertes Portrait von Berber sieht dagegen schon sehr schwach aus. Die Dreistigkeit des kongenialen Nachkriegsduos Berger/ Berend läßt Madonna/Meisel etwas blaß aussehen.

Die Studien von Valeska Gert, gegenüber gehängt, sind in den Details (des Litho-Entwurfs, also den Schwärzen) eleganter, aber sie bedienen auch die Vorstellung der „typischen“, der perfekten Geste des Tanzes, der das Grafikprojekt ein wenig zur Sekundärkunst schmälert: die bäurisch in die Hüfte gestemmten Arme samt Pluderhosen der „Canaille“, das papierne Ungeheuer der „Japanischen Groteske“, das gelb in der Taille geschnürte Schneewittchen des „Balletts“. Im Raum nebenan hat Galerist Bodo Niemann, dem man einen gewissen Spürsinn nicht absprechen kann, eine kleine Ausstellung mit Fotografien von Lotte Jacobi eröffnet; der Vergleich bietet sich natürlich an.

Knesebeckstraße 30. Bis zum 10. April. Di.-Fr. 12-18 Uhr, Sa. 11-14 Uhr

Die beste Idee ist die plumpeste: auf schwarze Flaggenstangen, an deren Spitze „ein Apfel und ein Ei“ aufgespießt sind, sind in altdeutscher Schrift die Namen der Kaufhäuser und das Jahr ihrer „Arisierung“ eingetragen: Stiller, Hertie, Wertheim, KaDeWe, etc.

Das Thema der Ausstellung Ärarier im Dachgeschoß des Tacheles ist, wie es so kommt, der Fremdenhaß, der das Thema der meisten Künstler(innen) bisher eindeutig nicht gewesen ist. Nicht daß ich die betuliche Pädagogik von Art in Ruins vermisse, aber der Bezug der meisten Werke zum Thema ist gewaltsam bis nonexistent. Ich glaube jedenfalls nicht, daß unscharfe Aktfotografien in klobigen Eisenrahmen zufällig zu Besuch kommende Skinheads von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen überzeugen (Orphèn Clare: „Fremdkörper/ Fremder Körper“, 1993). Auch die willkürlich per Fotokopie zusammengeklauten Zeichnungen (zum Beispiel von Freimut Wössner) eines Künstlers namens Nader („Kopien“, 1993) sind nur bedingt hilfreich, um die multiplen Wurzeln Europas zu verstehen, die gewaltige Erektion des Zeus eingeschlossen. Hier wird mal „Hegel“ hineingeschrieben, dort „Voltaire“, so kommen wir über den alternativen Sektor zur Bildungshuberei zurück.

Der Künstler, der an der HdK studiere, sei Philosoph und Alchemist, teilt mir ungefragt der Amerikaner mit, der mir sein Videoband der Ausstellung, das er gerade anfertigt, für 19.95 (Mark? Dollar? Zloty?) anbietet, per Subskription.

Letzte Warnung: das Zelt ist nicht beheizt.

Oranienburger Straße 54/56a. Bis zum 3.März. Mo.-Fr. 16-22, Sa. und So. 13-22 Uhr

Die Picasso-Ausstellung in der Nationalgalerie ist bis zum 28. Februar verlängert. Jetzt täglich geöffnet bis 24 (im Wort: vierundzwanzig) Uhr

Ulf Erdmann Ziegler

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