■ Offene Kanäle: Kleine Geschichte des Rechts auf Bürgerfernsehen
Die der Allgemeinheit zugänglichen Offenen Kanäle im US-Kabelnetz entstanden aus einer Situation, in der Ende der sechziger Jahre mehrere Bedingungen unabhängig voneinander zusammenkamen. Da war zunächst die Expansion des Kabelfernsehens, dann ein wachsendes Bewußtsein in der Bevölkerung für den Stellenwert freier Meinungsäußerung für alle Schichten der Gesellschaft. Und schließlich entwickelten Juristen Thesen, denen zufolge das erste Gebot der Verfassung (Meinungsfreiheit) auch ein Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu allen Medien beinhaltet. Gleichzeitig wurden Videohandkameras entwickelt und, last but not least, gab es die geschickte Politik einiger wohlplazierter administrativer Idealisten.
Beobachter der Medienszene argumentierten damals, daß die Entwicklung des Kabelfernsehens mit seinem Potential eines nahezu grenzenlosen Angebots an Programmen die Grundstruktur der Fernsehversorgung vom Mangel – mit prinzipiell nur drei landesweiten Großsendern und eventuell noch einem Regionalsender – hin zum Überfluß verändern werde, wobei eine Vielzahl von Kanälen speziellen Interessen gewidmet sein könnten. Ein „Fernsehen im Überfluß“ könne daher auch jenen Stimmen Platz einräumen, die unter anderen Umständen keine Möglichkeit haben, ihre Situation in einem Massenmedium zu präsentieren, eingeschlossen Minderheiten oder Individuen mit einer Minderheitsmeinung. Diese Vorstellungen erwuchsen Mitte der sechziger Jahre, als in den USA die gesellschaftliche Situation von sozialen Unruhen geprägt wurde. Die täglich wachsende Bürgerrechtsbewegung, Aufstände in vielen amerikanischen Städten und ein weitverbreitetes Gefühl gesellschaftlicher Entfremdung von dem, was als „amerikanischer Alltag“ galt, waren krasse Resonanzen auf das „andere Amerika“ und seine vielen Stimmen, die bisher ungehört blieben. 1968 kam die National Advisory Commission on Civil Disorder (besser bekannt unter dem Namen Kerner- Kommission) zu dem Ergebnis, daß für die Aufstände auch der mangelnde Zugang von Minderheiten zur Öffentlichkeit, besonders zum Fernsehen als Mittel der Veröffentlichung der eigenen Meinung, verantwortlich war. Noch im selben Jahr beschloß ein Sonderrat des Präsidenten für Nachrichtenpolitik, daß die Telekommunikation eine „wichtige Rolle spielen kann im Sinne eines Begreifens und Harmonisierens von Konflikten in modernen Gesellschaften, die von sozialer Vielfalt, Mobilität und Forderungen nach sozialer Gerechtigkeit geprägt sind“. Der Sonderrat kam zu dem Ergebnis, daß das Kabelfernsehen helfen könne, soziale Spannungen zu reduzieren und Entfremdungen abzubauen, indem es nämlich denen einen Zugang zur Öffentlichkeit verschafft, die gewöhnlich keinen haben. Von da aus war es nur noch ein kurzer Schritt zum ersten Offenen Kanal im Kabelnetz.
1970 schlossen die Stadt New York und TelePrompTer Inc., damals das größte Kabelunternehmen in den Vereinigten Staaten, einen Vertrag über die Verkabelung von Nord-Manhattan. Die Vergabe dieses Auftrags wurde jedoch abhängig von der Zusage der Firma gemacht, mindestens einen Kanal zum öffentlichen Gebrauch bereitzustellen. Die Programme wurden von unabhängigen Gruppen wie dem „Alternate Media Centre“ an der Universität von New York und dem „Open Channel“ produziert, die mit jugendlichen Obdachlosen, alten Menschen in Pflegeheimen und anderen sozialen Gruppen arbeiteten, denen sie u.a. den Gebrauch der ersten Videohandkameras beibrachten.
1972 verabschiedete die Federal Communications Commission (FCC), zuständig für die Nachrichtenpolitik im Inneren, ein erstes, weitreichendes Gesetzeswerk zur Regulierung des Kabelfernsehens. Darin wurde unter anderem festgelegt, daß die Betreiber aller Sender, die in den hundert größten – und damit kommerziell attraktivsten – Sendegebieten ausstrahlen, mindestens einen nicht-kommerziellen, öffentlich zugänglichen Kanal einzurichten haben, über dessen Sendungen sie keinerlei redaktionelle Kontrolle ausüben dürfen. Außerdem mußte der Kabelträger „eine Mindestausstattung und Studios für die Produktion von Programmen, die auf diesem Kanal gesendet werden sollen, zum Gebrauch durch die Öffentlichkeit bereithalten“.
Zwar wurde diese Regulierung 1979 vom Obersten Gericht wieder aufgehoben – da das FCC offenbar seine Kompetenz überschritten hatte –, aber der Rahmen für das zukünftige Bürgerfernsehen war damit geschaffen: nicht-kommerzielle Kanäle, die jedem Bürger ohne jegliche Diskriminierung zugänglich sein mußten, kein Kontrollrecht für den Kabelträger.
Auch ohne Mandat des FCC wurden Anfang der achtziger Jahre mehr und mehr Offene Kanäle eingerichtet. Was zum großen Teil daran lag, daß konkurrierende Kabelträger versuchten, sich mit solchen Angeboten an die Kommunen gegenseitig auszustechen, um so wiederum an Verträge zur Verkabelung der großen Stadtgemeinden der USA heranzukommen.
1984 reorganisierte der Kongreß die Regulierung des Kabelfernsehmarktes. Zwar forderte er mit seinen neuen Auflagen nicht von jedem Kabelträger die Bereitstellung eines Offenen Kanals, bestätigte aber das Recht der Kommunen, ein Bürgerfernsehen von ihren Vertragspartnern zu fordern, und listete die technischen und administrativen Spezifika auf, die in solchen Verhandlungen zu beachten sind. Andrew Blau
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