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„Kauft nicht bei Skopjanern!“

Wie aus griechischen Kommunisten Slawomakedonier werden / Wer Minderheitenrechte fordert, gerät in Konflikt mit der Athener Regierung  ■ Aus Thessaloniki Dorothea Hahn

Das Verdikt prangte eines Morgens an der Wand der kleinen Bäckerei in Exaplatanos. Es lautete: „Kauft nicht bei Skopjanern“. Von jenem Tag an ging es mit dem Geschäft von Christos Pritskas bergab. Immer weniger Kunden trauten sich in den Laden in dem nordgriechischen Bergdorf. Auf der Straße schauten die Leute in die andere Richtung, wenn der Bäcker vorbeikam. Am Schluß, bevor Christos Pritskas aufgab, verbrachte er ganze Tage allein hinter dem Tresen.

Schmähreden über den Bäcker hatten schon zuvor die Runde gemacht. Er sei „kein richtiger Grieche“ sagten die selbsternannten Patrioten im Kafenion, sondern ein „Agent Jugoslawiens“, der Makedonien von Griechenland abspalten wolle. Skopje ist die Hauptstadt des exjugoslawischen Makedonien.

Das Mißtrauen hatte schlagartig eingesetzt, als Christos Pritskas vor zwei Jahren zusammen mit anderen slawomakedonischen Griechen der Friedensgruppe „Makedonische Bewegung für Prosperität auf dem Balkan“ beitrat. Damals, als die Nationalitätenzugehörigkeit im auseinanderfallenden Jugoslawien an Bedeutung gewann, erinnerten sich auch immer mehr Slawomakedonier im benachbarten Griechenland ihrer Vergangenheit: Vor rund 900 Jahren hatten sich im Zuge der Völkerwanderung viele Slawen in Griechenland angesiedelt.

Heute hat der Ortsverein, dem Christos Pritskas angehört, nach eigenen Angaben 50 Mitglieder und ein eigenes kleines Büro mit einem Kopiergerät. Der kärglich eingerichtete Raum liegt im zweiten Stock eines Rohbaus in dem Provinzort Aridea. Hier entsteht in unregelmäßigen Abständen die griechischsprachige Broschüre To Moglena, die sich mit den Problemen der slawomakedonischen Bevölkerung der Region befaßt. Eines von ihnen ist die Forderung nach Rückkehrrechten für Zehntausende von slawomakedonisch- griechischen Bürgerkriegsflüchtlingen, die heute über die ganze Welt verstreut leben. Im Bürgerkrieg von 1944 bis 49 hatten sie – teils in eigenen, teils in gemischten Brigaden – auf seiten der Kommunisten gegen Nationalisten und Royalisten gekämpft. Die Bevölkerung ganzer Dörfer mußte nach Plünderungen und Brandschatzung fliehen. Doch während die griechischen Kommunisten seit Mitte der 70er Jahre zurückkommen dürfen, warten die meisten slawomakedonischen Kombattanten immer noch auf ihre Rehabilitation. Viele von ihnen dürfen nicht einmal zur Beerdigung von Angehörigen einreisen.

Bis er zu der Makedonischen Friedensbewegung stieß, war der heute 28jährige Christos Pritskas ein unauffälliger griechischer Bürger. Er verbrachte fünf Jahre als Immigrantenkind in Deutschland, ging zum Militär, heiratete, wurde Mitglied der Kommunistischen Partei (KKE) und Bäcker wie sein Vater. Seine Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit spielte bei all dem keine besondere Rolle. Und wenn er sie doch einmal zum Thema machte, fand sich schnell jemand, der ihn in seine Schranken wies – in der Kommunistischen Partei, aber auch in der Familie.

Wir büßen, wenn schlechte Zeiten kommen

„Die Leute haben Angst“, sagt Christos Pritskas, der nach dem Boykott gegen seinen eigenen Laden wieder in der elterlichen Bäckerei im Heimatdorf Loutraki mitarbeitet. Der Ort ist umgeben von dichtbewaldeten Bergen, die bis in den Juni hinein einzelne Schneeflecken haben. Auf der anderen Seite des Massivs, nur zehn Kilometer entfernt, liegt der Teil des früheren Jugoslawiens, das sich heute Makedonien nennt. „Hier im Dorf gibt es Leute, die alles aufschreiben und der Polizei zutragen, sagt Christos Pritskas. „Wenn schlechtere Zeiten kommen, müssen wir dafür büßen.“

In Loutraki mißt sich die Zeit nach Krieg und Vertreibung. Es war in Makedonien, wo Ende des 19. Jahrhunderts Aufstände gegen die türkische Herrschaft ausbrachen. Und hier war es auch, wo in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts Griechen und Slawomakedonier in einem blutigen Bürgerkrieg um die Vormachtstellung kämpften. 1903 wurde hier die kurzlebige Makedonische Republik gegründet. Die folgenden zwei Balkankriege und der Rückzug der Türken im Jahr 1912 machten die Hoffnungen auf einen unabhängigen Staat zunichte: Makedonien wurde unter den regionalen Mächten Serbien, Bulgarien und Griechenland aufgeteilt.

Für die Slawomakedonier folgten Jahre der Verdrängung, die heute von vielen als frühe Formen „ethnischer Säuberungen“ auf dem Balkan bezeichnet werden. In zwei Verträgen, dem von Bukarest (1913) und dem von Neuilly (1919), vereinbarten Serbien, Griechenland und Bulgarien einen „Bevölkerungsaustausch“, in dessen Folge 75.000 „Bulgaren“ Griechenland verließen. Historiker vermuten, daß die meisten von ihnen Slawomakedonier waren, die unter großem Druck der örtlichen Behörden standen. Umgekehrt kamen 43.000 „Griechen“ aus Bulgarien, von denen die meisten im griechischen Teil Makedoniens angesiedelt wurden. 1922, nach der griechischen Niederlage im Krieg gegen die Türkei, kam es zu einem zweiten gigantischen „Bevölkerungsaustausch“, in dessen Verlauf eine knappe halbe Million „Türken“ Griechenland verließen und 1,2 Millionen „Griechen“ nach Griechenland kamen. Die meisten von ihnen wurden wiederum in Nordgriechenland angesiedelt – dem traditionellen Gebiet der Slawomakedonier, die nunmehr völlig in die Enge gedrängt waren.

Bis heute bestimmen die „Emigranten“ – wie die Griechen aus „Kleinasien“ genannt werden – und die „Pondis“ – wie die Schwarzmeergriechen heißen – das Leben in weiten Teilen Nordgriechenlands. Wenige Jahre nach ihrer Ankunft führte der griechische Diktator General Metaxas eine „Sprachreform“ in Makedonien durch, die jedem Ort, jedem Berg und jedem Fluß einen neuen – griechischen – Namen gab. Damals erst wurde aus „Pojar“ das Dorf „Loutraki“ und aus dem höchsten Berg seiner Umgebung, dem „Nitse“, wurde der „Voras“.

Heute sind die alten slawischen Namen auf keiner Karte mehr zu finden. Nur die alten Leute von Loutraki und den vielen anderen Dörfern und Städten des griechischen Nordens kennen sie noch.

Die Konkurrenz von „Emigranten“, „Pondis“ und Slawomakedoniern um den fruchtbaren makedonischen Boden ist bis heute nie offen ausgetragen worden. „Da unten, wo Griechenlands Gold ist, waren die Felder unserer Vorväter“, sagen die Leute von Loutraki, wenn sie auf ihre steinigen Parzellen gehen. „Nach dem Abzug der Türken hätten die uns gehört, aber die Griechen haben sie den Neuankömmlingen gegeben.“

Makedonien ist das am dichtesten besiedelte Gebiet Griechenlands. Es hat die wertvollsten Böden und das beste Klima für die Landwirtschaft. Das Land ist grün, und bei manchen Kulturen können die Bauern drei Ernten im Jahr einfahren. Obst, Tabak und Baumwolle wird hier angebaut.

„Slawomakedonisch ist bulgarisch“

Die Frage, wie viele Slawomakedonier heute in Griechenland leben, ist ein heikles Thema, mit dem alle Seiten Politik machen. Die Slawomakedonier selbst sprechen großzügig von einer halben Million. Die Regierung in Athen will allenfalls ein paar tausend wahrhaben. Die andere Seite, die Regierung in Skopje, will Griechenland dagegen eine Million Slawomakedonier unterschieben. – Im Dorf Loutraki mögen sich zwar nur wenige für Slawomakedonier halten, die Sprache aber beherrschen alle. Die meisten sind zweisprachig – das Slawomakedonische benutzen sie zu Hause, das Griechische in der Öffentlichkeit. Die Zeiten, in denen Kinder für ein paar slawomakedonische Worte in der Schule geschlagen oder Erwachsene eine Strafe zahlen mußten, sind seit zwanzig Jahren vorbei. Zweisprachige Ortsschilder oder andere Hinweise auf die Präsenz einer Minderheit aber sucht man auch heute vergebens. Für die griechischen Behörden existiert weder die Minderheit selbst noch ihre Sprache.

Am schärfsten verteidigen die griechischen Behörden jedoch die Bezeichnung „Makedonier“. „Makedonien“, das ist nach offizieller Athener Lesart „griechisch seit Alexander dem Großen“. Und der lebte bekanntlich Jahrhunderte vor der Ankunft der Slawen.

Verboten ist der „Dialekt“ der Slawomakedonier nicht. Wer mag, darf ihn sprechen. Wer jedoch Minderheitenrechte für Slawomakedonier fordert, gerät sofort ins Visier der griechischen Behörden. Gegen mehrere Slawomakedonier, die besondere politische Rechte fordern, laufen Verfahren wegen „Störung der öffentlichen Ordnung“. Teilweise drohen ihnen jahrelange Gefängnisstrafen. Die griechische Regierung erklärt das Problem schlicht für inexistent. „Der Ruf nach Minderheitenrechten kommt von einer Gruppe von zwanzig Leuten, die ständig in internationalen Foren unterwegs sind“, sagt Virginia Tsouderou, Staatssekretärin in Athen.

Christos Pritskas fordert gar keine Minderheitenrechte, jedenfalls nicht an vorderster Stelle. Er weiß, daß rund 100.000 Moslems in Thrakien zwar als Minderheit anerkannt sind, nichtdestotrotz aber „noch schlechter dran sind als wir“. Er will auch nicht nach Skopje gehen, wie es die Inschrift vorschlägt, die kürzlich in einem Nachbarort auftauchte. Kämpfen gegen die Republik Makedonien, wie er den neuen Staat am Nordrand Griechenlands nennt, könnte er allerdings auch schlecht. „Schließlich leben dort meine Onkel, die nach dem Bürgerkrieg geflohen sind. Ich glaube nicht, daß ich gegen sie schießen könnte, genausowenig wie gegen meine griechischen Freunde diesseits der Grenze“, sagt er.

Der Bäcker fühlt sich „als Grieche“. Er will die bestehenden Grenzen nicht antasten, schon weil das „auf dem Balkan immer gefährlich ist“. Was er und die Makedonische Friedensbewegung suchen, ist das Gespräch mit der Regierung in Athen. Aber er weiß zugleich, daß die Zeiten schlecht sind für den Dialog. „Die Regierung steht unter dem Druck von Nationalisten. Und wir Slawomakedonier müssen vermutlich wieder einmal warten.“

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