Wand und Boden: Schon lange keine Geschmackssache mehr
■ Amerikanische Kunst in Berlin jetzt: Galerien Nothelfer und Sonne, Russisches Kulturzentrum, Bethanien
Zunächst einmal ist der mit großer Geste hingeworfene Wust amerikanischer Kunst aus dem 20. Jahrhundert in anderen Gegenden Europas zeitgleich in dieser oder jener Form zu bewundern, und das aus nicht weniger touristischen Überlegungen als der historische Ringelreihen im Martin-Gropius-Bau: In Wien zeigt Hilger Arbeiten von Christo, und die Galerie Winter bringt Lawrence Weiner, ganz nebenbei kuriert der New Yorker Kritiker Dan Cameron eine Show an der Hochschule für Angewandte Kunst unter dem vielversprechenden Titel „Future Perfect“; in Antwerpen hat die Galerie 121 eine sorgfältig thematisierte Reihe mit Bildern von Keith Haring ausgestellt, Brüssel wartet mit einer Edward-Hopper-Ausstellung auf, und im Pariser Jau de Paume wird eine Retrospektive der zu früh verstorbenen Eva Hesse gezeigt, die hierzulande eher die berüchtigte Alibi-Frauen-Stelle besetzt; und selbst im sonst so behäbigen Betrieb von London sind Georgia O'Keeffe und James Turrell bei Hayward zu sehen – überall ist die Kunst in diesem Frühjahr groß und schön und der Himmel nur zeitweilig bedeckt.
Auch die am Rummel beteiligten Berliner GaleristInnen lassen nur wenig Raum für Lücken im Amerika-Bild. Ihr Interesse scheint in erster Linie zu sein, den Katalog zu komplettieren. Die Galerie Georg Nothelfer fügt dabei mit wechselnden Papierarbeiten von 17 Amerikanern der Großausstellung im Über-Bau an der Stresemannstraße Fußnoten hinzu: Von einem frühen, an Picassos stilisierten Tiermythen orientierten Jackson Pollock von 1944 über eine in Linien und Farbfelder aufgelöste Gouache von Hans Hofmann aus dessen Umbruchphase zum abstrakten Expressionismus bis hin zu popalltäglichen Collagen von Robert Rauschenberg, die Werbe- und Medienimages geschickt konterkarierend durcheinanderwürfeln.
Zur Zeit gilt das besondere Augenmerk den Drucken von Richard Serra, für die ein befremdlich cleaner Raum eingerichtet wurde, der Beuyspräsentation in Ostberlin Ende der achtziger Jahre nicht unähnlich. Die menschenhohen schwarzen Farbradierungen aus dem Jahr 1991 geben einen vagen Eindruck vom martialischen Formbewußtsein des monumental-minimalen Stahlskulpteurs wieder. Aber ob die mehrere Millimeter starke, dickflüssig und porös auf weißes Papier aufgetragene Farbe als Wandbild gemeint ist oder auf den öffentlichen Raum zielt, bleibt unklar. Als Materialbilder verweisen die reliefartigen Drucke zwar auf die deutliche Setzung der schwerindustriellen Arrangements, doch gleichzeitig findet sich immer auch der überlegte malerische Eingriff. Dann ist beispielsweise der Winkel oben im rechten Eck angeschrägt oder ausgefranst, als hätte nicht nur allein der Zahn der Zeit sich in die Oberfläche hineingefressen, sondern der Künstler mit dem groben Ätzstab dem Naturprozeß formend nachgeholfen. Von den monochromen Flächen eines Yves Klein trennt Serra dennoch die Sorgfalt, mit der die Bilder zentriert und gerahmt wurden. Das Papier wird weder thematisiert noch ins Bild mit einbezogen. Es bleibt Projektionsfläche.
Neben den düsteren Drucken von Serra nehmen sich die präzise ausgearbeiteten collagierten Material-Skizzen (der Originalentwurf von 1978 und eine Remix- Version aus dem Jahr 92) zur Reichstagsverpackung durch Christo wie städteplanerische Schautafeln aus. Nichts wurde vergessen, jedes Detail zur geografischen Lage des zukünftigen Regierungssitzes ist angemerkt worden. Die Fluchtlinie des verhüllten Gebäudes im Tiergarten endet an der Jannowitz-Brücke. Das Modell macht die Bemühungen Christos deutlich, der Stadt Berlin ein Geschenk zu machen. Leider sieht der Entwurf auch schon ein bißchen danach aus.
Amerikanische Kunst, bis Ende Juli; Uhlandstraße 184; Di.–Fr. 14–18.30 Uhr; Sa. 10–14 Uhr.
Auch die Galerie Sonne nimmt am Historienspiel teil, in dessen Fahrwasser Amerikanische Kunst aus den achtziger Jahren geboten wird, die Joachimides und Rosenthal eher als kunterbunten Appendix drapiert haben. Nun bieten die nachgestellten Mittelalter-Fotos von Cindy Sherman oder die kompliziert verstrebten Spielzeughängungen von Mike Kelly dem Betrachter wenigstens etwas Begleitluft. Auf den leicht babyblau abgetönten Wänden wirken die Arbeiten wie in einem Kinderzimmer, auch wenn ihr Preis mehr auf Privatpraxis tippen läßt. Selbst die an einem Flaschenzug ausgependelten Hantelscheiben von Kelly, die einen Müllsack nebst E.T.-Puppe in Balance halten, werden mit 65.000 Dollar in der Liste angeführt, und ein großformatiger Öldruck, der Jeff Koons und Cicciolina beim entrückten Vorspiel mit einer rauschenden Meerestapete im Hintergrund zeigt, kostet 200.000 Dollar. Insofern sind die Überlegungen, mit denen Dan Cameron diese Kunst als Doppel 1986 in Europa einführte, längst von der Wirklichkeit des Marktes eingeholt worden: „Koons Arbeiten versuchen jetzt gar nicht mehr, das Neue in seiner Blasiertheit an den Pranger zu stellen, sondern es geht ihm darum, eine Nachahmung des Unnachahmlichen zu vollbringen und aufzudecken, wie es uns gelingt, durch das unsichtbare Filter der Kunst die materielle Welt zu rekontextualisieren“. Das Unnachahmliche zu vollbringen: Zu diesem Zweck der Selbstfindung in gewissen Zuständen wurden jedoch schon im vergangenen Jahrhundert Spiegel in Bettnähe angebracht, und der röhrende Hirsch blieb dem Eßzimmer vorbehalten.
Spannend werden Koons' „Fingers between legs“ (1990) erst im Zusammenspiel mit dem bereits 1984 erstellten Lauftext von Jenny Holzer, der im Nebenraum Lebensweisheiten aus Omas Nähkästchen abspult, wie beispielsweise „Körperliche Arbeit kann erfrischend und gesund sein“ oder „Moral ist für kleine Leute“. Der häppchenweise verabreichte Sermon aus Bauernschläue und Trinkersprüchen dauert eine knappe halbe Stunde an, für den Galerieraum zu lang, um der sonst im Umgang mit Massenkommunikation innewohnenden Ironie von Holzer die Intensität spontaner Wahrnehmung zu verleihen. Die Information irritiert nicht mehr, sondern stimmt wohlig im eigenen Selbstverdruß, der nun prothetisch dem Ersatz-Ich als Leuchtreklame entströmt.
Meyer Vaisman hat sich mit dem Schicksal der Objektivation seines Begehrens abgefunden, die sich im Kunstwerk letztlich durch den Tauschwert definiert. Sein Selbstportrait als Pierrot auf einen Brokatteppich gedruckt kostet mittlerweile 75.000 Dollar und spielt in sanfter Apathie mit der dünnen Wand zwischen einbildungskräftiger Mythenwelt und der flachen Psychologie von Comiczeichen. „The Wedding Portrait“ (1990) quillt von allerlei flötenspielenden Pangottheiten und wilden Vögeln über, doch im Zentrum des Bildes lichtet sich der ornamentale Reigen zu einfachen Witzfiguren in Signalfarben. Der portraitierte Vaisman laboriert als entnervter Harlequin an einer explodierenden Zigarre, von der rechten Bildhälfte her macht ihm ein blondierter Bunny schöne Augen. Der Künstler hat sich in die Plüschigkeit der Comics verloren, und man möchte nachfragen: „Who framed Meyer Vaisman?“
Bis 26.6.; Kantstraße 138; Di-Fr 11-13/ 15-18.30 Uhr; Sa 11-14 Uhr.
Zu einem Rundumschlag hat die Berliner Kunsthändlerin und Kuratorin Silvia Menzel ausgeholt. Sie zeigt im Russischen Kulturzentrum an der Friedrichstraße 176-179 Malerei und Bildmaterial vom Kunstmarktkünstler Julian Schnabel bis zum verspielten 60s- Revivalisten George Condo. Dabei fällt auf, welche erstaunlichen Zwischenschritte beim historischen Schulterschluß von Warhol auf Koons und Co. ausgelassen wurden.
Kenny Scharf bietet als Opener das Paradebeispiel für jene lässig- überdachte New Yorker Malerei der achtziger Jahre, die sowohl fernsehseriengefirmt als auch in Sachen Kunstgeschichte und Newman-Rezeption beschlagen hin- und herpendeln konnte. „24 Hours & Dot“ zeigt einen Ornamentschwall aus den unterschiedlichen Typografien der Tageszeitungen, Comic-Ikonographie und formalästhetischen Spielereien, sauber hingemalte illusionistische lila Kugeln, die ganz in der Tradition der Renaissance mit Lichtpunkten versehen aus dem Bild zu treten scheinen. Es ist die Überlagerung von Raum- und Zeichenproblemen, die hier nicht ganz akademisch in halluzinierter Kreisbewegung weitergesponnen wird. Dagegen versucht Lawrence Carroll mit seinen schmutzig bemalten Leinwandarrangements weiterhin das Verhältnis von Bildrepräsentation und Dreidimensionalität am Beispiel einer zum Schrank verleimten Leinwand zu untersuchen, die an die weiße Wand der Galerie gelehnt jedoch ins Belehrende abdriftet.
Auffällig auch, wie viele der gerade im letzten Jahr erstellten Gemälde unsicher in den Zeitspiralen der Geschichte kreisen. Michael Scott zeigt mit „No. 54“ eine schwindelige Bündelung von Op- Art-Effekten, Philip Taaffe widmet sich in seinen Druckgrafiken der archaischen Symbolwelt des mittleren Matisse und James Brown knüpft zwischen de Kooning, Schönberg und dem postmodernistischen Comiczeichner Ted McKeever zarte Bande in mauve und wiesengrün. Den politisch-investigativen KünstlerInnen der Gegenwart bleibt nur eine Koje, in der Lorna Simpson mit Kiki Smith, Nancy Spero, Andres Serrano und Gary Simmons um Aufmerksamkeit ringen muß. Ihre Auswahl zeugt mehr vom Willen zur Ausgewogenheit als daß die Arbeiten in ihren Zusammenhängen zu entschlüsseln wären. Smith läßt sich nicht auf eine schwarze Grafik reduzieren und Gary Simmons, der in Amerika ganze Ausstellungshallen mit dokumentarischen Inszenierungen zu Black Power füllt, wirkt mit fünf kleinen verwischten Zeichnungen auf grünem Kreidetafelgrund nur wie ein Schüler von Rauschenberg. Politik ist in Amerika aber schon lange keine Geschmackssache mehr.
Extravagant – The Economy of Elegance; bis 27.6.; Di-Fr 11-19 Uhr; Sa/So 12-18 Uhr.
Um einiges weiter reicht der Aus- und Überblick auf die next generation, die bis zum 27.6. im Studio 1 des Künstlerhaus Bethanien gezeigt wird. Voll und wild wie die Diskurswege zwischen L.A. und NYC wirkt die Ansammlung wissenschaftlicher Modelle und dokumentarischer Bestandsaufnahmen der Umwelt. Paul McCarthys‘ auf Video und im fröhlichen Hase-trifft-Bär-Objekt eingeschriebene sexuelle Vermischungsallegorien paktieren mit wandbespannenden Grafikserien aus der Feder von Raymond Pettibon, dessen bislang schönste Zeichnung „Self-Portrait (on LSD)“ das naturalistische Bildnis einer Künstlerhand beim Modellieren eines Acidheads mit den zen-tauglichen Sätzen wiedergibt: „to see the object as in itself it really is has been justly said to be the aim of all true tripping“. Ein Gedanke, der Rilke hätte bei der Betrachtung des Adonis kommen können.
In der von Tim Neuger organisierten Gruppenschau kreisen die Verhältnisse zur Aussenwelt mehr denn je um das Hirn als Motor und Maschine der wahrnehmenden Reflektion. Die Forschungsprojekte von Michael Joaquin Grey etwa sind in den Grenzbereichen der Quantenphysik angesiedelt, indem er versucht, Lichtwellen zu generieren oder in „The Drip“ den Sekundenbruchteil eines eintauchenden Milchtropfens als Silikon-Abguß plastisch festzuhalten. Was zunächst nach Fantasy klingt, erweist sich als kompliziertes Netz von Wissenschaftsmustern, die unterschwellig ins Leben eindringen, auch wenn in der Kunst noch massenweise von der blauen Blume geträumt wird. Künstler wie Mark Dion oder Michael Joo halten mit der Erforschung der Gegebenheiten dagegen. Zu gleichen Teilen Archivar und Archäologe hat Dion alle verfügbaren Lebensmittel aus seinem Viertel in einem schimmelnden Speisekammerregal plaziert, als Kontrapunkt zum kreativen Materialienfundus der konzeptuellen, doch aseptischen Spurensucher. Der so festgehaltene Alltag wird darin zum verfallenden Zerrbild einer Natur in der Krise, weit von den Idyllen der Land-Artisten aus den siebziger Jahren entfernt, dafür aber den verfaulenden Sammlungen Micha Brändels nahe.
Joo bearbeitet die Geschichte ähnlich: Für „Huntsmaster“ (1993) hat er in einem Hirschgeweih aus Plexiglas eine Natriumchloridverbindung zur linken mit Ammoniak auf der rechten Seite ausbalanciert. Ihre Vermischung würde Chlorgas freisetzen,...der Jäger bleibt ein Meister aus Deutschland. Mit der amerikanischen Geschichte verfährt Joo nicht anders. Als Halb-Asiate entwickelt er Einblicke in die wehleidigen und gängigen Kriegserinnerungen an Vietnam, die den Zynismus all der angeknacksten Strukturen einer von Weltordnungen träumenden Nation bloßlegt. Bei ihm sind Moskitofallen mit der Aufschrift von Tropenkrankheiten und depressiven Zuständen wie dem „Saigon- Blues“ übriggeblieben. Für alles hat man mittlerweile Pulver, Sprays und Psychopharmaka erfunden, deren Verpackungen er als Sockel nutzt. Die Auswirkungen von Agent Orange und Napalm heilt indes noch kein Medikament. Neugers' Auswahl amerikanischer Künstler und Künstlerinnen zeigt, was in der opulenten Großkulturgeschichte vergessen wurde: jede Menge Verdrängtes. Da tut sich dann doch eine Kluft am wolkenlosen Himmel auf.
Mariannenplatz 2; Di-So 14-19 Uhr.
Harald Fricke
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