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■ Aids-Politik auf britischBerufsverbot als Beruhigungspille

Wer wundert sich da noch? Es hat sich doch seit Menschengedenken nicht geändert. Wo immer sich eine Seuche breitmachte, reagierte man gleich: Verleugnung spielte eine entscheidende Rolle. Im 19. Jahrhundert beispielsweise, als die Syphilis die Mittelschichten erreichte stand für die Gesellschaft fest, daß sich die Krankheit nicht durch sexuellen, sondern durch sozialen Kontakt überträgt. Wie fast alle Epidemien in der Vergangenheit wurde auch Aids erst verleugnet, dann – als das nicht mehr ging – schließlich einer eingrenzbaren Gruppe von Sündenböcken zugeschrieben: Homosexuelle, Prostituierte, Drogenabhängige. Als in England publik wurde, daß Aids auch den National Health Service, das Gesundheitssystem, erreicht hat, bekam das Schutzschild erste Risse. Mit der aufwendigen Entlarvung einer Reihe von aidskranken MedizinerInnen säten die Medien Panik in der Bevölkerung, die sich nachher – wenig verwunderlich – als unsinnig herausstellte. Doch so laut das Rauschen im Blätterwald über die Enthüllung der vermeintlichen Skandale, so ausgedehnt ist nun das Schweigen darüber, daß nicht ein einziger der Hunderte von Aids-Tests, die hysterische PatientInnen sofort machen ließen, positiv war. Die britische Regierung reagierte mit neuen Richtlinien für medizinisches Personal. Indirekt implizieren sie nicht nur den Zwangstest für alle MedizinerInnen, die den Verdacht haben aufkommen lassen, HIV-infiziert zu sein, sondern faktisch auch ein Berufsverbot für bestimmte Gruppen. Wer positiv ist, darf fortan keine Eingriffe in den menschlichen Körper mehr vornehmen.

Mit welcher Begründung? Bis heute gibt es weltweit einen einzigen bekannten Fall, in dem ein Arzt, ein Zahnarzt aus den USA, eine Patientin infizierte – und auch hier konnten Zweifel niemals ausgeräumt werden. Doch nachdem sich die stigmatisierte Krankheit schon nicht wie gewünscht in den vorgezeichneten Grenzen breitmacht, braucht die Bevölkerung ganz klar einen Tranquilizer, der ihr das Gefühl gibt, die Moral sei wieder hergestellt. Welche Berufsgruppe wird wohl zum nächsten Bauernopfer gekürt? BäckerInnen, MetzgerInnen, KöchInnen?

Was wir brauchen, ist kein Amoklauf, ist nicht das Nachäffen jahrhundertealter Verhaltensmuster und Fehler. Was wir brauchen, ist eine angemessene Verantwortung gegenüber Aids, ein Verhalten, das rational und gemäßigter ist – kurzum erwachsen. Bernd Lange-Cordes

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