Wand und Boden: Den fachspezifischen Problemen zugewandt
■ Kunst in Berlin jetzt: Malerei, Objekte, Architekturen, Archive
Der Sommer des politischen Aufbegehrens fällt kunstproduktionstechnisch gesehen wahrscheinlich aus. Die Maler und Malerinnen der Galerie Gebauer & Günther jedenfalls haben alle pc- Debatten von vornherein beiseite gelassen und sich statt dessen wieder den fachspezifischen Problemen zugewendet, was im Kunstverständnis eines Wiesengrund Adorno durchaus die wahre Politisierung der Kunst ausmacht: Nur das Ganze ebnet dem Willen der Teile den Weg. So verwundert es kaum, daß sich von fünf Ausstellungsstücken vier mit Fragestellungen zur monochromen Malerei beschäftigen.
Einzig Imi Knoebel spielt die Kontrastwirkungen aus, die sich innerhalb eines Ensembles aus farbig bemalten Alu-Streifen ergeben.
Genausowenig wollen aber weder Ian Davenport, noch A.K. Doven, Helmut Federle oder Jussi Niva ihre Arbeit als Apercu der Diskussion um mehr oder weniger RotGelbBlau verstanden wissen. Bei Davenport kommt der breit auf die Leinwand gegossenen grauen Farbe die Aufgabe eines Vermittlers zwischen Malakt und Bildgrund zu. Doch die Technik hat ihre Tücken: Unter der Spannkraft des Keilrahmens platzt die überdicke Farbe an vielen Stellen auseinander. Die Spuren im Ganzen werden von Rissen im Kleinen unterwandert.
Bis 16.6., Fuelstr.5, Mi-Sa 13-19Uhr.
Die Kette der Globetrotter rund um die amerikanische Kunst will nicht abreißen. Ellen Krüger hat im transatlantischen Wechselspiel ihre Bühnendekorationen aus New York vom 24.-27. Juni mit nach Berlin ins Hebbel-Theater gebracht, und die Galerie T&A- Edition zeigt parallel dazu Objekte der Wahlamerikanerin aus dem Nordrhein-Westfälischen. Auf den ersten Blick ist die Ähnlichkeit mit den amorphen Installationen von Eva Hesse verblüffend. Krüger hat drei überdimensionale Zöpfe aus in sich gewundenen Plastikfolien angefertigt, die wie mächtige Säulen den Raum zu stützen scheinen, obwohl sie nur mit einigen Nadeln an der Galeriedecke befestigt sind. Einfach und zugleich enorm spannungsgeladen lebt der architektonische Eingriff von der Leichtigkeit, mit der die scheinbare Tragfähigkeit angesichts der Statik wieder aufgehoben wird. Dieses paradoxe Verhältnis liegt auch der Installation „202 plastic bags“ zugrunde. Unzählige Einkaufstüten sind wie ein Fallschirm an Fäden aufgespannt worden, die in einem mächtigen Knoten oben an der Decke zusammenlaufen. Die massive Befestigung steht zum Volumen des daran aufgehängten Materials in entgegengesetzter Beziehung. Als könnte Krüger das archimedische Prinzip auf den Kopf stellen, wird die Gravitation umgekehrt, so daß der Schwerpunkt sich nach der Perspektive richtet.
Der Zopf als Säule ist jedoch mehr als nur euklidischer Platzhalter. Kulturgeschichtlich haben früher die Männer ihren Haarschopf geflochten getragen, er war ein Symbol der gebändigten Natur, ein Zeichen der Stärke. Auch danach fragt Ellen Krüger mit ihrer Arbeit: Wann (und warum) ist der Zopf den Frauen in den Schoß gefallen?
Bis 2.7., Wallstr.60; Di-Fr 15-18Uhr, Sa 12-16 Uhr
Von der Schein-Architektur der amerikanischen Westküste beeindruckt, hat sich Monica Bonvicini in der Galerie Likörfabrik daran gemacht, den kunsthistouristischen Umgang mit der vermeintlichen Aura des Scheunenviertels widerzuspiegeln. Dabei ist eine karge weiße Gipsmauer herausgekommen, die sie in den designierten Kunstraum hat einziehen lassen. Die Italienerin arbeitet mit Rigips und Gipsblöcken als billigem und schnell verwertbarem Material. In Los Angeles werden damit die Häuser der Armen gebaut, die sich auf den ersten Blick nicht von denen der Reichen unterscheiden. Gerade deshalb aber sagt das Material eine Menge über die vertuschten gesellschaftlichen Zusammenhänge aus, hinter denen sich andere Fragestellungen verbergen: An welchem Punkt überschreitet Ästhetik die Schwelle der Funktionalität und bestimmt soziale Wirklichkeit? Nun gesellt sich die Kunsthalle auf der Oranienburger Kulturmeile dazu: „Wie nimmt man Räume und Situationen wahr, die sich für selbstverständlich erklärt haben?“, so Bonvincini. Der Likörfabrik selbst ergeht es nicht anders. Als heruntergewirtschafteter Arbeitsraum hat Bonvincini den rohen Zustand mit der Zusatzmauer verdoppelt, um die Idyllisierung der stereotypisch zelebrierten Kaputtheit des Ostens zu vermeiden, kein Verfallsmythos mehr. Die Mauer selbst wird nach Beendigung der Ausstellung wieder abgerissen. Das geschäftige Bildungswesen kann sich eben keinen Verfall leisten.
Verbrauchte Nostalgie, bis 26.6., Auguststr. 91, Mi-So 15-18 Uhr.
Beim Besuch in der Galerie Barbara Weiss scheiden sich die Geister über einer Installation der Berliner Künstlerin Maria Eichhorn. Da ist nicht nichts, aber auch nichts anderes, was als Kunstgegenstand wahrgenommen werden möchte: Im Vorderraum stehen Tisch und Bank, liegen DIN-A4-Papiere und unbefleckte Notizbücher aus, im hinteren Zimmer reihen sich Kartons und Kataloge in einem Regal auf. Maria Eichhorn hat ein Archiv ihrer künstlerischen Vergangenheit angelegt, um Auskünfte über den eigenen Werdegang im Betrieb zu geben. Eine Art innere Retrospektive, ein verschlossenes Öffnen. Die Künstlerin zeigt Aufschreibesysteme, die ihren Alltag bestimmen. Wer sich an die Ordner herantraut, wird darin sauber sortierte Notizen, Skizzen und Projektentwürfe finden und den Bücherstapel als Landkarte der Inspiration lesen können, etwa Edmond Jabés poetischen Zirkel „Die Schrift der Wüste“. Daß vom Nebenzimmer durch die offene Balkontür der Straßenlärm von der Potse eindringt, ist Absicht. Das Reich der erhabenen Gedanken wird ständig gestört. Hat man sich erst einmal an die reduzierte Kunstlandschaft gewöhnt, finden sich noch mehr ironische Verweise. Am Pult mit der gläsernen Deckplatte kann man bis auf den Grund der Arbeit schauen, doch der ist leer, wie der Blick aus dem Fenster, wenn man nachdenkt. Es gibt Dinge, die sich der Darstellung entziehen, nicht aber der Wahrnehmung. In diesem Punkt ist Maria Eichhorn kompromißlos objektiv.
Bis 26.6., Potsdamer Str. 93, Di-Fr 10-18 Uhr; Sa 10-14 Uhr. Harald Fricke
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