: Bloß nicht anpusten!
■ Die Wespen kommen. Keine Panik: Tödlich sind erst mehrere hundert Stiche
Was ist nur mit den Wespen los – ziemlich orientierungslos donnern sie derzeit den Menschen gegen Stirn und Schulter. Überarbeitet? Möglich, schließlich schleppen sie unentwegt Wassertropfen zu den Nestern, verstreichen sie auf den Zellen, kuppeln sodann die Flügel aus und lassen die Flugmuskeln im Leerlauf dermaßen schwirren, daß das Wasser verdunstet und die Brut vor dem Hitzetod bewahrt wird. Der droht ab 30 Grad Nesttemperatur.
Aber deswegen in Streß? „Ach was“, sagt Karl Hahne vom Naturschutzbund Deutschland, Ortsgruppe Schwanewede und Umgebung, „die Hitze löst bei Insekten gar nichts aus, in der Sahara gibt's schließlich auch Wespen“. Aggressiv, und hier ist Hahne bereits ganz in der Rolle des Wespenverteidigers, aggressiv sind sowieso nur die Menschen, die unnötig um sich schlagen, kaum daß mal zwei Wespen gemächlich vorbeifliegen. Die Hornisse zum Beispiel sei eigentlich gutmütig, etwa so wie ein Bernhardiner, während die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe eben „etwas lebendiger“ seien, etwa so wie ein Schäferhund.
Aber auch diese Wespenarten stechen nur dann, wenn sie gedrückt werden oder man ihrem Nest zu nahe kommt. Also bitte: Lassen Sie die Wespe in Ruhe wieder aus dem Hosenbein krabbeln. Schütteln Sie sie nicht ab, wenn sie sich auf ihrer Hand niedergelassen hat – sie will nur eben verschnaufen. Vor allem: Pusten Sie das Tier nicht an. Und vermeiden Sie hektische Bewegungen in Nestnähe. Sowieso: decken Sie süße Speisen sofort wieder ab, überprüfen Sie jeden Kuchenbissen ... All das hat offenbar der Pressesprecher der Bausenatorin, Rainer Imholze, nicht berücksichtigt: der wurde vorgestern von einer Wespe in den Rachen gestochen und kam ins Krankenhaus.
Wespenstiche und damit auch die Hornissenstiche sollen, so die Wespenfachlieteratur, weniger gefährlich sein als oft behauptet – außer bei den sogenannten „besonders empfindlichen Personen“, bei denen der Stich heftige allergische Reaktionen bis hin zu akuter Atemnot auslöst. Ansonsten sei es einfach eine Mär, daß drei Hornissenstiche genügten, um einen Menschen zu töten, und sieben, um ein Pferd niederzustrecken. Es müßten schon mehrere hundert Stiche sein. In Tests haben ForscherInnen herausgefunden, daß ein Rattenmännchen die Stiche von 60 Hornissen ohne bleibende Schäden überlebt. Hornissenstiche sind dabei um nichts gefährlicher als Stiche von Bienen und Wespen. Daß all diese Stiche sehr schmerzhaft sind, bestreiten allerdings auch NaturschützerInnen nicht. Ist es denn doch passiert: Den Stich mit Eis oder Alkohol kühlen beziehungsweise mit roher Zwiebel oder Zitronensaft einreiben.
Karl Hahne, der Naturschützer, ist in rund 50 Jahren erst dreimal von einer Wespe gestochen worden – und noch nie von einer Hornisse. Obwohl er die 32 Hornissenvölker zwischen Bremen und Bremerhaven „betreut“. Wobei er weniger die Hornissen betreut als ihre unfreiwilligen GastgeberInnen, die GartenhausbesitzerInnen zum Beispiel. Nein, beruhigt Hahne die, das Hornissenvolk kommt nächstes Jahr nicht wieder. Die Völker der Hornissen und der anderen Wespenarten sterben nämlich im Herbst, nur die Königin überwintert – weil sie aber keine Erinnerung an ihren Geburtsort hat, baut sie ihr nächstes Nest woanders auf.
Wer partout kein Nest im Haus dulden will, sollte sich früh zum Beispiel an den Umweltsenator, Abteilung Biotop- und Artenschutz, wenden: Im Mai nämlich, wenn die Königin das Nest baut, dann ihre erste ArbeiterInnenbrut pflegt, kann man ein Nest noch versetzen. Meist allerdings bewegt Henrich Klugkist, der behördliche Insektenspezi, die Leute dazu, das Nest für diesen Sommer zu behalten. Wo sollen die Tiere auch sonst hin? Auen mit den für den Nestbau wichtigen Weichhölzern Pappel und Weide gibt's nur noch wenige. Weichen die Tiere eben auf alte Fahrradschuppen aus.
Vor der Beseitigung eines Hornissennestes muß der Umweltsenator um Genehmigung gefragt werden: Hornissen sind seit 1987 besonders geschützt. Auch das ist ein Grund, warum seit zwei Jahren die Bremer Feuerwehr nur noch Wespennester in Alten- oder Kindertagesstätten beseitigt.
Die BewohnerInnen der freihängenden Nester allerdings sind gar nicht die lästigen TischbesucherInnen. Lästige Leckermäuler sind nur die Gemeine Wespe und die Deutsche Wespe, und die bauen ganz versteckt, zum Beispiel in der Erde, ihre Nester. Meist trifft also die Nestvernichtung die Falschen: Die, die ausschließlich Nektar und Pollen sowie im Flug erbeutete Insekten fressen. Also: Die Wespen auf dem Pflaumenkuchen und das freihängende Nest im Garten oder unterm Dach haben nichts miteinander zu tun. cis
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