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Wand und BodenDie Natur des Trash

■ Kunst in Berlin jetzt: Tull, Begerow, Art Club 2000

Sorgsam aufgearbeitet, fein gerahmt, liebevoll aquarelliert: Kinder. Dabei sind Dani Tulls Fantasien gar nicht mal abwegig. Ein nackter Knirps schubst lachend eine Henne vor seinem Schwänzlein her und lacht. Ein vielleicht fünfjähriges Mädchen läßt im Garten ihr Kätzchen unterm gelüpften Ausgehkleid schnuppern. Was hier die Süße der Kindheit im heiteren Reigen vorführt, ist für den Analytiker analste Schwerstarbeit: Ein kleiner Junge bläst an einer Kaugummiblase aus Gedärmen, obenauf schweben als krönende Früchte Erdbeere und Zwiebel. Das sieht alles so aus, als habe jemand sich an den Illustrationen aus Kinderbüchern rächen wollen, deren Geschichten ihm einmal Alpträume verursachten. Das Wunderland von Alice war nur für Erwachsene ein Paradies, bei Tull liegen halb verdeckte Leichen im ungemähten Gras vor der strohbedeckten Hütte. Oder Scheißhaufen. Geschickt wird mit dem Zeichenreich Mike Kelleys hantiert, die Kotsäule zur Ikone umgedeutet. Würste tanzen um präpubertäre Prototypen wie Heidi und Tyke. Gerade in der frohen Leichtigkeit aber, die sich im Einklang mit dem perversen Objekt auch der Unheimlichkeit des Dargestellten anvertraut, liegt eine Abkehr vom Catholic Taste: Tull betreibt keinen Exorzismus an der Biografie, sondern sucht nach Poesie. „East & West (Love Canal)“ etwa kombiniert Zuckerbäckerhäuschen, Wiesen – und eben einen Zaun, der das Bild vom Glück abtrennt. Eine Allegorie, wie für das Leben in Oklahoma gemacht. Leider sieht der Künstler es dann ganz anders. Er haßt Kinder, will unwiederbringliche Zeichen setzen und malt aus einem Wunsch nach mehr Distanz. Sein Geld verdient er mit Illustrationen für Kinderbücher. Das stimmt dann doch traurig.

„Der Pumperkinder“, bis 29. 9., Mo–Fr 14–19 Uhr, Sa 11–15 Uhr, Wewerka-Galerie, Potsdamer Straße 55.

Der Titel „Dogma“ läßt Schlimmes befürchten. Annette Begerow stellt indes recht anmutige Siebdrucke aus. In einem Mammutakt hat sie drei graue Schichten übereinander direkt auf eine großflächige Wand in der Galerie Barbara Weiss gedruckt, so daß sich ein kaleidoskopisch-ornamentales Geflecht aus winzigen Rauten ergibt. Trotz der unendlich verfeinerten und zugleich überlagernden Muster bleiben als strenge geometrische Leitlinien drei sich zum Zentrum hin verjüngende Ringe erhalten. Eine Meditation in Sachen Zellchaos, deren abstrakter Naturalismus ebenso bildhaft erscheint wie Apfelmännchen und Mandelbrotbäume für komplexere Theorie- und Zahlenspiele. So bildet auch der zart nuancierte Druck einer fahlen Nachtrose mit einem Tropfen Tau auf den Blütenblättern die logische Ergänzung zur mathematischen Konstruktion. Das Bild ist in so feine Punkte gerastert, daß man es als ein Medium wahrnehmen kann. Malen ist ein Vorgang, der im Nahen fernsieht. Auch in nebensächlichen Details bemüht sich Begerow um ganzheitliche Konsequenz. Vor dem Wandbild liegen zwei grün bezogene Sitzkissen, dazu läuft Musik, die sie während ihrer nächtlichen Arbeitssessions in der Galerie gehört hat. Nichts geht verloren. Aus irgendeinem Grund hat sie dann noch die Fenster des vorderen Raumes zugemauert, damit man von keiner Außenwelt abgelenkt wird. Zuletzt mißtraut Kunst der Natur. Damit aber kippt auch das Bild.

Bis 29. 10., Mo–Fr 12–18 Uhr, Sa 11–14 Uhr; Potsdamer Straße 93.

Alle waren gespannt auf Art Club 2000. Ihre Ankunft wurde mit Flugzetteln allerorten vorbereitet, schon am Abend nach der Vernissage in der allgirls gallery wollte die Gruppe einen Vortrag über ihre Arbeiten halten, erklären, wie es sich mit den Issues im Betriebssystem verhalte. Ein Kunstvereinsvorsitzender telefonierte Tage zuvor schon aufgeregt umher, um auf das Ereignis aufmerksam zu machen. Er hatte zwar nur über Dritte von der Ausstellung gehört, und Genaueres wisse man auch nicht, aber dies hier nun sei jung und wild und frisch aus Amerika. Das hört sich doch ganz gut an: Die Generation X als Künstlerkollektiv, Reality bites und so weiter. Was dann kam, war nicht mehr als ein Blick auf Kurts Gebain. Nirvana im Dauerzustand, Konzept- Grunge. Im einen Raum hängen ein paar inszenierte Fotos neben einer Vitrine mit noch mehr inszenierten Fotos: der Art- Club mal als abgestochenes OP- Personal (Goya in Zeiten von Biotechnologie?), oder in Techno-Klamotten als grimmige Vorstadt-Kids. Das Gruppen- Foto in einer Bibliothek ist wegen der ungestümen Peanutshaftigkeit ganz niedlich, ein Bild mit Tiermasken beim Puzzlespielen sehr schön. Den anderen Raum hat die Gruppe von insgesamt sieben recht emanzipiert auftretenden Kunsthochschülern in sehr schön deckenden Farben bemalt – sieben Töne für sieben Art-Club-Mitglieder, bis auf das dominante Blau und Gelb basisdemokratisch abwechselnd konvex-konkav und in Schockfarben gehalten. Dazwischen dann ein Firmenlogo „itsy bitsy teeny weeny“ und ein handschriftliches „C'mon“, das ein bißchen an Picassos Signatur erinnert und bestimmt ganz anders gemeint ist. Vom Band kam zur Eröffnung Trash-Rock der radikalen Girlism-Band L 7, die in etwa „Stellt euch vor, wir wären tot“ sangen. Der Satz geisterte später noch als Motto durch angeregte Diskussionen mit einzelnen Art-Clubbern, während andere in Gedanken nach den Namen der sieben Zwerge kramten: Waren's Grumpy, Stumpy und Thumpy? Wer weiß ... Ach ja, auf dem Fußboden standen zwei Trabis vom Trödelmarkt am Brandenburger Tor, mit der Aufschrift „Art Club 2000“ versehen und als Kunst getarnt, die man für 220 Mark hätte erstehen können. Art sucks, macht aber auch Spaß.

Bis 29. 9., Mi–So 16–19 Uhr, Kleine Hamburger Straße 16 Harald Fricke

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