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Schluß mit Gratis-Klimaschutz

Die Zeit der schönen Statistiken ist vorbei: In Berlin steigen die CO2-Emissionen wieder / Trendwende ist auch in der Bundesrepublik zu erwarten  ■ Von Felix Berth

Berlin (taz) – Angela Merkel hatte Wichtigeres zu tun. Während die Bundestagsabgeordneten über die Bedrohung des Weltklimas debattierten und drastisches Gegensteuern forderten, traf sich die Umweltministerin mit den Chefs des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). Natürlich gehe es dabei um Klimaschutzmaßnahmen, ließ ihr Fraktionskollege Hans Klein den empörten Parlamentariern ausrichten.

Die BDI-Herren werden gerne mit Angela Merkel geplaudert haben. Denn noch verkündet ihr Umweltministerium immer wieder: In der Bundesrepublik wird von Jahr zu Jahr weniger Energie verbraucht, und entsprechend weniger vom Klimakiller CO2 steigt in die Atmosphäre auf. Doch die Zeit der schönen Rechnungen ist vorbei. In der Schublade von Berlins Umweltsenator Volker Hassemer liegt ein Gutachten, das zeigt, daß in der Hauptstadt die Trendwende bereits stattgefunden hat: Hier ist der Ausstoß von CO2 nach einem Jahrzehnt wieder angestiegen.

Auch wenn die Zahlen kaum vorstellbare Dimensionen erreichen, lohnt sich ein genauer Blick auf die Berliner Statistik, die Felix Christian Matthes vom Öko-Institut zusammengestellt hat: Das Jahr mit dem höchsten CO2-Ausstoß im letzten Jahrzehnt war 1987. Damals wurden in ganz Berlin fast 33 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen. Später ging der Ausstoß zurück und erreichte 1992 und 1993 die Talsohle: 28,8 Millionen Tonnen.

Für die ersten sechs Monate des vergangenen Jahres liegt nun eine neue, recht präzise Angabe vor. Danach wurden von Januar bis Juni in Berlin 14,4 Millionen Tonnen CO2 emittiert. Hochgerechnet auf das ganze Jahr käme man also wieder auf die 28,8 Millionen Tonnen der beiden Vorjahre. Doch üblicherweise steigt der Energieverbrauch in der zweiten Jahreshälfte, so daß 1994 mit einem höheren Ergebnis zu rechnen ist. „Außerdem wurden für den Treibstoffverbrauch der Autos sehr vorsichtige Schätzungen zugrundegelegt“, sagt Matthes.

Der Klimafachmann vom Öko- Institut erwartet bei der momentanen Politik in Berlin nur noch eine kleine Verbesserung im nächsten Jahr, sobald das Heizkraftwerk Mitte nach der Modernisierung sparsamer läuft. „Doch insgesamt kann das niemals reichen, um das 25-Prozent-Minderungsziel bis zum Jahr 2005 zu erreichen.“

Sicher ist diese Trendwende in Berlin nicht einfach aufs ganze Land übertragbar. Der Wiedervereinigungsboom setzte in der Hauptstadt früher ein, ebenso die folgende Rezession und der jetzt beginnende Aufschwung. Trotzdem droht der gesamten Republik eine ähnliche Entwicklung wie der Ost-West-Stadt Berlin, nur eben etwas später: „Was sich in Berlin abzeichnet, ist für den Rest der Republik eine reale Gefahr“, meint Reinhard Loske, Klimaexperte beim Wuppertal-Institut. Zwar sei eine ähnliche Entwicklung bundesweit noch nicht für 1994 zu ersehen, doch wahrscheinlich für dieses oder das nächste Jahr.

Die Phase der schönen CO2- Statistiken, mit denen die Deutschen auf diversen Konferenzen prahlen konnten, ist also offensichtlich zu Ende. Die wohlklingenden Rechnungen waren nur möglich, weil in den neuen Bundesländern eine Fabrik nach der anderen geschlossen wurde. „Dieser Gratiseffekt im Osten ist nun offensichtlich vorüber“, sagt Felix Christian Matthes. Wie die Trendwende in Berlin zeigt, müsse Klimaschutz jetzt „hart erarbeitet werden“ – wie in anderen Ländern auch.

Doch davon ist in Deutschland wenig zu spüren. Reinhard Loske kritisiert den Stillstand der Politik bei zentralen Problemen: „Die Entwicklung im Straßenverkehr hat eine ungeheure Dynamik, und ich sehe nicht, daß dieser Trend gebremst wird.“ Bei Heizungen und Wärmedämmungen gebe es zwar seit diesem Jahr Mindeststandards, doch sie gelten nur für die kleine Zahl der Neubauten.

Außerdem entstehen in Ostdeutschland demnächst wahrscheinlich riesige neue Kraftwerke. Allein in der Lausitz und im Raum Leipzig werden gerade fünf neue Braunkohlekraftwerke geplant: „Wenn die gebaut werden, stoßen sie schätzungsweise 75 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr aus“, prognostiziert das Öko-Institut. Das wäre mehr als das Doppelte der gesamten Emissionen Berlins oder, anders gerechnet, etwa acht Prozent des CO2-Ausstoßes der Bundesrepublik.

Denkbar ist, daß sich der CO2- Ausstoß hierzulande so entwickelt wie in den Niederlanden. Dort gab es keinen Gratiseffekt dank Wiedervereinigung, und entsprechend klettern die CO2-Emissionen: „Wir stellen bei einer ähnlichen Industriestruktur fest, daß die Emissionen zur Zeit pro Jahr um zwei Prozent steigen“, sagt Reinhard Loske. Falls die Politik nicht gegensteuert, dürfte Deutschland diesem schlechten Vorbild folgen. Dann wäre das 25-Prozent-Ziel, das Helmut Kohl bis zum Jahr 2005 erreichen will, durchaus realistisch. Nur nicht als CO2-Minderung, sondern als CO2-Steigerung.

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