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Kinder an die Macht?

■ Heute tagt im Abgeordnetenhaus das Kinderparlament / Die Kinder dürfen zwar Erwachsene und Parlamentarier spielen, aber entscheiden können sie nichts / Geplant ist nur eine Fragestunde

Wie ist es möglich, daß Kindern in unserer demokratischen Gesellschaft noch immer einfache Grundrechte wie Mitbestimmung und Beteiligung an Entscheidungen verwehrt bleiben? Das Abgeordnetenhaus wird im März nach zweijähriger Debatte über ein neues Ausführungsgesetz zum Kinder- und Jugendhilfegesetz entscheiden.

„Neu an der Regelung ist lediglich, daß Kinder jetzt auch in Planungen einbezogen werden müssen, bei Entscheidungen werden sie es ohnehin schon“, erklärt Hans-Jürgen Bethke von der Senatsverwaltung für Jugend und Familie. Im Gesetz werde außerdem allen Bezirken empfohlen, ein Forum für Kinderinteressen einzurichten. Die Finanzierung sei jedoch noch nicht geklärt.

„Interessant an diesem Gesetz ist, daß Berlin als erstes Bundesland die Idee der Partizipation von Kindern an der Politik aufnimmt“, sagte der ehemalige Jugendsenator Thomas Krüger. Allerdings bleibe die letzte Fassung weit hinter dem zurück, was er unter Partizipation verstehe. Auch Elke Fasler, Mitarbeiterin im Büro „Kids beraten den Senat“, ist enttäuscht: „Im Verlauf der Debatten sind so viele gute Ideen auf der Strecke geblieben.“ Ihr Büro hat jahrelang Jugendsenator Krüger beraten; daß Kinder mitbestimmen, war hier bereits eine Selbstverständlichkeit. „Einmal im Monat hatten die Kids einen festen Besprechungstermin mit dem Senator.“

Trotzdem machten die Kinder zahlreiche negative Erfahrungen. Die elfjährige Hedda ist nach vier Jahren Politikberatung ein wenig desillusioniert. Zu oft hat sie erlebt, daß Politiker ihr etwas zusicherten, es aber dann gar nicht umsetzten. Zusammen mit ihrem Bruder Argoe lebt Hedda direkt am Kottbusser Tor. Auf dem Spielplatz haben die Kinder schon häufig Heroinspritzen gefunden. Nachdem eine Freundin in eine Spritze getreten war und zum Arzt mußte, hatten die beiden die Nase voll. Sie beantragten beim Bezirksamt einen Raum für Drogenabhängige. „Statt dessen haben sie uns einen Klubraum gegeben“, erzählt der dreizehnjährige Argoe.

Unabhängig, aber unwirksam scheint das Kidsbüro zu arbeiten. Zwar beraten die Kinder nun alle sechs Wochen den Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz, Volker Hassemer, doch die Zeit der großen Projekte ist vorbei. „Unsere letzte große Sache war der Tag, an dem viele Kinder von Senator zu Senator gefahren sind, um unbequeme Fragen zu stellen. Das war im Juni letzten Jahres“, sagt Fasler.

Argoe ist inzwischen dazu übergegangen, eigene Ideen zu entwickeln. „Ich will einen Austausch zwischen Neonazis und Ausländern organisieren. In meiner Schule will ich damit anfangen.“ Argoe ist oft selbst Ziel rassistischer Vorurteile und von Gewalt. „Ich spüre so sehr den Haß gegen mich, weil ich schwarz bin“, erzählt er. Sein Vorbild ist Martin Luther King.

Auch die elfjährige Pegah hat ihre eigene Vorstellung von Kinderrechten: „Es sollte für Kinder so etwas wie Sozialkarten geben. Damit sie sich ihr eigenes Geld abheben können.“ Wenn das nicht geht, sagt sie, sollten Kinder wenigstens BVG-Karten bezahlt bekommen, damit sie sich wie Erwachsene frei bewegen können.

Lange Zeit haben sich die Kids, wie 14 andere Arbeitsgruppen, auf das heute stattfindende Kinderparlament vorbereitet. Veranstalter ist der Senator für Wirtschaft und Technologie, Norbert Meisner. Zwei Stunden lang sollen Kinder und Jugendliche zwischen zehn und zwanzig Jahren die Möglichkeit bekommen, den Senator und die entwicklungspolitischen Sprecher verschiedener Parteien zu befragen. „Bisher haben sich die Themen Umwelt, Menschen- und Kinderrechte, Wirtschaft und Krieg herauskristallisiert“, sagt Organisator Peter Gustavus.

Der Begriff Parlament trifft auf diese Veranstaltung allerdings nicht zu. Die Kids haben noch nicht einmal beratende Funktion. Sie dürfen zwar Erwachsensein spielen und wie echte Parlamentarier im Abgeordnetenhaus sitzen, doch mehr als eine Fragestunde ist nicht geplant. Eine Jugendgruppe hat daraus Konsequenzen gezogen: „Da sie befürchteten, daß die Veranstaltung über ein Medienspektakel nicht hinausgeht, haben sie sich wieder zurückgezogen“, erzählt Gustavus.

Die Befürchtung einer Alibiveranstaltung ist nicht aus der Luft gegriffen, da bisher noch nicht einmal ein Nachtreffen von Kindern und Politikern vorgesehen ist. „Das ist traurig, da haben wir eine andere Empfehlung gegeben. Es ist wichtig, daß die Themen weiterverfolgt werden“, sagt Elke Fasler. Hedda vom Kidsbüro dürfte auch an diesem Tag recht behalten mit ihrer Einschätzung der großen Politik: „Wenn ein Kind spricht, hören die Politiker zu, aber ernst nehmen sie es nicht.“ Stefanie Ehnes

Fotos: Olaf Kosert

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