Wand und Boden: Der zur Kunst erklärte Schleichweg
■ Kunst in Berlin jetzt: Thaddeus Strode, Christine Hill, I is another, Larry Krone, Laura Kikauka
Buddhistische Comic-Strips auf Leinwand und romantisch schmelzendes Eis aus Plastikfolie: Thaddeus Strode muß man sich wahrscheinlich als einen komplett durch high, low und abstract culture geschulten Californier der dritten Generation vorstellen – nach Ruscha, Baldessary, Kelley und Pettibon verarbeitet der Post- Konzeptualist aus Los Angeles alles, was sich zwischen „Helter“ und „Skelter“ ansiedeln läßt. Auf „Black“ füllt ein amorph und sehr verschwollen gezeichneter Bauch fast die gesamte Bildfläche aus, nur an den Rändern ist noch etwas Platz für ein paar lose Zungen und Ohren, die das Leibesknäuel einrahmen. Strode wurde 1964 in Santa Monica geboren und ist mit der 1990er Köln Show in Europa angekommen, als immer mehr Künstler damit begannen, Cross- Over-Techniken im Bereich von Körper- und Selbstwahrnehmung anzuwenden. In einem Video sieht man ihn zur Musik von den Upsetters, der Rocksteady-Band von Lee Perry, ungelenk, aber inbrünstig auf einer Holzpalette tanzen. Der Tanz im Quadrat ist einer Performance von Bruce Nauman nachempfunden, wobei es Strode immer wieder über das Feld hinausdrängt. Auch in seiner Malerei spielt Überwindung eine wichtige Rolle, nur zielt sie hier mehr ins Transzendentale. In klassischer Beatnik-Manier sieht man Strode als Zombie zu Halloween an eine Türe pochen, hinter der sich „the other side“ verbirgt. Trotz Doors- und Buddha-Lektüre sind die Bilder frisch und locker gemalt, der Farbgrund zwar in Modertönen, aber transparent zusammengestrichen.
Bis 22. 4., Di-Sa 11-18 Uhr, neugerriemschneider, Goethestr. 73.
Als Einladungskarte gab es einen „Artslut“-Terminkalender, und in der Tat sieht man Christine Hill faxen, rotieren und allerhand Staub aufwühlen, während die Galerie leer bleibt. Verwirrt stellen Besucher fest, daß dort diverse mit Dias zugestopfte Koffer, Kleinkram und Stempel auf Tischen herumliegen, nur keine Kunst. Auch in die Kunst-Werke hat sie Massen einfacher Farbabzüge, Fotos von den Partyfreunden des vergangenen Jahres, über die Wand verteilt. Statt dessen nutzt die in Berlin hängengebliebene Amerikanerin den Raum von Eigen + Art bis zum 6. Mai als Büro. Natürlich haben die Verwaltungshäufchen ein Konzept, sind Dokumente einer „One Person Show“, die vom fröhlichen Management handelt. Auf dem zur Kunst erklärten Schleichweg des Betriebssystems soll bei Hills Arbeit am Ende eine „Volksboutique“ herauskommen, die im Juni an der Oranienburger Straße eröffnet. Vom Galerieraum aus plant und organisiert die Künstlerin fürs erste, und vor allem werden hier etwa 31/2 Tonnen Altkleider gelagert, die den Grundstock ihrer Boutique bilden. Eine Idee setzt sich durch: Nach Boltanskis Kleiderbergen für Bedürftige in der Londoner Serpentine-Gallery und den hippen Outfit-Tausch- Aktionen des Wieners Friedl, will Hills Volksboutique nicht sozial oder schick, sondern ganz und gar Straße sein. Eine Designerin arbeitet zur Zeit noch an einer T-Shirt-Kollektion für Techno- Kids, die 20 Prozent von dem kosten soll, was in Modeshops für derlei billig bedruckte Ausgeh- Produkte verlangt wird. Mal sehen, wann sich die Konkurrenz einmischt.
Di-Fr 14-19, Sa 11-14 Uhr, Eigen + Art, Auguststraße 26, und Di-So 15-18 Uhr, Kunst-Werke, Auguststraße 69.
„I is another“ sollte das Finale der Ausstellungsreihe des „Institute for theore(c)tical painting“ in der Likörfabrik werden. Es sieht aber noch immer genauso angenehm antiakademisch aus wie bei den ersten Kinderzeichnungen von Geburtstagskuchen. Diesmal haben Künstler aus mehreren Nationen mitgespielt, die in Berlin festsitzen – eine Art Exilanten- Treff, der sich als Traumschiff entpuppt, wenn man den Aktenordner voll Konzeptpapiere durchgelesen hat. Jedes Ich ist ein anderes, so die Ausgangsposition. Daraufhin wurden neun fiktive Biografien angefertigt. Transsexuelle Kaukasierinnen vor der Operation und zu Polit-Lesben konvertierte Heteros, die ein wenig zu artikuliert ihre Verfehlungen aus dem Alltag schildern; oder eine Künstlerin, die bei aller frühmorgendlichen Geschlechter-Konstruktion doch verbindliche Künstler-Individuen wie Oskar Schlemmer und Maya Deren bewundert. Die herbeiphantasierten Identitäten hätten gut in einen Pocket-Reader gepaßt. Dazu kommen aber noch furchtbar kleinteilige Bilder, etwa Black Bettys „Afro-Disco“ als bunter Siebdruck-Kitsch, blau zugetünchte Traumdeutungsmalerei oder isländische Reime auf Fotoszenen aus dem Kindergarten. Nur Rupert bleibt Rupert und zeigt fotokopierte Schmerbäuche neben dicken Nippeln, die als Art- Sex in progress Männer wie Frauen animieren sollen.
Bis 6. 5., Di-So 15-17.45 Uhr, Auguststraße 91.
Besagter Rupert heißt mit Nachnamen Goldsworthy und ist neben seiner künstlerischen Tätigkeit wie viele KollegInnen Galeriebetreiber. An der Brunnenstraße hat er die Räume von Vincenz Sala übernommen, der nach sieben Jahren Aufbauarbeit und Schützenhilfe – etwa für den Kritiker/Kurator Marius Babias, der damals noch an der Potsdamer Straße Maria Eichhorn, Christoph Hildebrand und Andreas Ginkel als frische HdK-Abgänger ausstellte (Never mind the eighties!) – ins gemütlichere Brüssel übergesiedelt ist. Goldsworthys Debüt ist eine melancholisch-verzwackte Angelegenheit: Larry Krone bastelt minimale Objektbilder aus Haaren, Laura Kikauka stellt an die hundert Strumpfhosenpackungen aus. Neben der Nylons-Sammlung ist ein obskures Gerät aufgebaut, das beim Betreten eines ollen Flohmarktteppichs Dinner-Musik vom Tape-Recorder plärren läßt, zu der zwei an Stangen befestigte Waden aus Pappe im Takt schunkeln. Es ist eine der vielen Interaktivitäts-Maschinen, die Kikauka bislang entworfen hat. Der Konzept-Kybernetiker Stephen Willats dürfte die Kanadierin für soviel Nonchalance beneiden. Krones Haarteile dagegen wollen von der Liebe erzählen. Man wacht nebeneinander auf, der eine benutzt das Bad und läßt dem anderen Nester im Duschabfluß zurück. Eigentlich eine eklige Sache, doch bei Krone wird daraus in kleine Glasrahmen geklemmt ein zärtliches Ersatz-Objekt. Manchmal hat er die Haare zu Buchstaben eingegerollt, die Songzeilen aus schwermütigen Liedern ergeben – nicht so abgeschmackt wie Abschiedsbriefe, die mit Lippenstift auf den Badezimmerspiegel geschrieben sind. Angeblich waren es Larrys eigene: Heute trägt er Kurzhaar, an der Stirn lichtet es sich deutlich.
Bis 29. 4., Do, Fr 14-19, Sa 12-15 Uhr, Brunnenstraße 44. Harald Fricke
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