: Nichts geht über die gute Tat!
Die grüne Avantgarde und der Weihrauch der Ökokampagnen: Leute, die freiwillig Bäume pflanzen, haben ein Motiv. Sie wollen die Umweltzerstörung nicht länger hinnehmen ■ Von Christel Burghoff
„Co2-Immissionen wird es in jedem Fall geben. Auch wenn wir noch soviel einsparen – irgendwo ist doch Schluß“, rechnet Karl Peter Hasenkamp, Gründer des Vereins „Prima Klima“, vor. „Alles, was nicht eingespart werden kann, genau das ist das Problem. Das kann man jedoch mit Bäumen kompensieren!“ NormalverbraucherInnen empfiehlt Hasenkamp, ein bis zwei Hektar Wald wachsen zu lassen. Das kostet mindestens 2.000 Mark. Das Geld kann man spenden. Für die Landesbank Sachsen wachsen schon zwei Quadratkilometer Wald!
Leute, die freiwillig Bäume pflanzen, haben ein Motiv. Sie wollen etwas Gutes tun. Für uns und unsere Umwelt. Nur logisch, daß in den Baum investiert wird. Wald sei für die Menschheit eine Art Lebensversicherung, meinen Umweltschützer. Und nicht nur das. Bäume sind lukrativ: Sie machen ästhetisch etwas her, sie schlucken CO2, sie sind ein absolut notwendiger Rohstoff. Landauf, landab wird längst gepflanzt. Nicht nur von Förstern. Freiwillige organisieren Aktionen, sie reparieren und verschönern die Landschaft. Am Baum entzünden sich geschäftstüchtige Ideen.
Wie die Organisation von Umweltreisen. Jörg Drews, Reiseveranstalter, hat sich auf Costa Rica spezialisiert. Bei Licht besehen sind das extrem umweltschädliche Touren. Doch Drews ist vom „Prima Klima“-Konzept Hasenkamps überzeugt. Dieser hat ihm die ökologische Rechnung aufgemacht: Die Umweltbelastung pro Langstreckenflug nach Costa Rica entspricht etwa 14 Jahre Autofahren. Oder, anders gesagt, 50 bis 100 Bäumen. Denn so viele Bäume läßt der Reiseveranstalter pro Flug pflanzen. Das Pflanzgebiet liegt in Brasilien, tief im Süden an der Küste und auf privaten Flächen. Meist deutschstämmige Bürger engagieren sich hier für die Rettung des Tropenwalds und die Wiederherstellung naturnaher Wälder. Papageien und Tukane, Langschwanzkatzen und Ozelote, Brüllaffen und Nasenbären sind in diesen Regionen zu Hause. Damit dies so bleibt, spendet Veranstalter Drews „einen großen Teil des Gewinns“.
Diese „Umweltreisen“ rechtfertigen sich geradezu von selbst. Was für Drews gut ist, kann der Umwelt nicht schaden. Es riecht zwar nach Bigotterie. Doch Gott bewahre! Wenn schon ein Etikett, dann besser „Charity“. Ein Begriff aus dem Repertoire des Trendforschers Matthias Horx, der damit die altbekannte Wohltätigkeit meint, ein Konzept aus Vorsozialstaatszeiten, als reiche Menschen die Armen mit Almosen versorgten. Unter ökologischen Vorzeichen erlebt es eine neue Renaissance.
Natürlich glaubt man dem Reiseveranstalter Drews gern, daß er ein Naturfan ist. Dieser kenne die Region in- und auswendig, beteuert Wolfgang Gärtner von „Oro Verde“. Die gemeinnützige Organisation betreut von Deutschland aus das Brasilien-Projekt. Drews hofft auf Nachahmer aus der Tourismusbranche.
Das Elend der wohlmeinenden Baumpflanzer: Ihre Aktivitäten haben sich noch längst nicht herumgesprochen – im Gegensatz zum Waldsterben und dem weltweiten Kahlschlag. Doch Aufforstungen werden nicht generell begrüßt: Wenn sie keiner nachhaltigen Nutzung dienen, wenn es ungeeignete Standorte oder keine standortgerechten Bäume sind, dann machen sie keinen Sinn. Der klassische Försterwald ist ohnehin in der Kritik. Und über touristische Alibibäume sind Umweltorganisationen wie die „Umweltstiftung WWF“ oder „Robin Wood“ nicht gerade begeistert. Die großen Naturschutz- und Touristenverbände haben eigene Programme.
Seit über zehn Jahren ist der „Deutsche Alpenverein“ (DAV) immer wieder dabei, wenn bayerische Forstämter die Hochlagen bepflanzen. Bislang sind es fast 200.000 Bäume. Die Alpenvereinsjugend arbeitet auf eigens eingerichteten Umweltbaustellen. Der „Summit Club“, touristischer Ableger des DAV, hat sich in Nepal verdient gemacht. Und die „Naturfreunde“ haben letztes Jahr sogar einen ganzen Wald angelegt – in Israel. Auch „Oro Verde“ zieht es in die Ferne. Diese Stiftung, die auf den Einsatz des Präsidenten des „Naturschutzbundes Deutschland (Nabu) zurückgeht, hat sich den tropischen Wäldern verschrieben. Die Wiedergutmachungsgruppen denken und arbeiten international.
Roland Braun dagegen ist in der Heimat verwurzelt. Er lebt im Allgäu und ist Einzelkämpfer. Dank seines Engagements wurde jahrelang aufgeräumt („Aktion saubere Bergwelt“), jetzt bepflanzt er mit freiwilligen Helfern die geputzten Berge. Wenn Ende April die neuen Aktionen gegen das Waldsterben anlaufen, werden einige zehntausend junge Bäumchen mehr den Giften in der guten Bergluft trotzen wollen. Dafür geht Brauns Freizeit drauf. Doch „der Wald braucht dringend Hilfe“, meint der Allgäuer. Der Mann ist selbst wie ein Baum, und er wächst mit seiner Aufgabe. Wie die Zahl seiner Helfer: Bergsteiger, Bundeswehrsoldaten, Firmenbelegschaften, Schulklassen, die sich um die Natur verdient machen.
Manche fangen schon in jungen Jahren an: Samen in einen Topf mit Erde geben, etwas Sand darüber, anfeuchten. Kein Problem. Schwarzerlensamen sind zwar winzig klein. Doch daraus werden viele kleine Bäume keimen. Und alle wollen ganz groß werden. Frank Thiel von der Naturfreundejugend meint, daß sie überall wachsen, wo es feucht ist. Die „Umweltdetektive“ können es im Programm der Naturfreundejugend ausprobieren. Schwarzerlenbestandene Bachläufe, bewaldete Feuchtbiotope, zugewachsene Sümpfe und Moore, begrünte Niederungen – man sieht es geradezu vor sich. Wenn Kinder pflanzen lernen, kann es zu ungehemmtem Baumwachstum kommen.
Aber noch darbt der Wald. Baumpflanzaktionen erinnern nur noch entfernt an die Hintergründe des Baumsterbens. Und es braucht andere Mittel, um die vorhandenen Bestände zu sichern. Längst könnte der nordhessische Kellerwald ein Nationalpark sein. Buchen, soviel sich das Herz jedes Baumfreundes wünscht; ein einzigartiger Baumbestand und einer der letzten, der an Germaniens grandiose Wälder erinnert. Doch seit Jahren streiten die Bürger über das Für und Wider dieses Schutzkonzeptes. Vor drei Jahren wurde das Projekt „Waldferien“ kreiert: spezielle Waldferienwochen, die, modernistisch gesprochen, „im Einklang mit der Natur stehen“. Vom „Druiden“ lernen können sollte man hier – auch, wie man Bäume pflanzt. Trotz rühriger Unterstützung durch die „Stiftung Wald in Not“ und den Verein „Ökologischer Tourismus in Europa“ (ÖTE) wurde das Pflanzprogramm für Touristen kein Renner, sondern es wurde eingestellt. Wen es jetzt ins nordhessische Waldprogramm verschlägt, der bekommt eine Kellerwald-Buche geschenkt. Wald zum Mitnehmen.
Die sanfte Mustergemeinde Hindelang steht besser da. Ihr Image ist gefestigt. Und sie betreibt Publicity ohne Ende für die Liebe zur Natur schlechthin. Von Juni bis Oktober wird im Zweiwochenrhythmus gepflanzt. Pro Tourist fünf Bäume. Und ein Förster aus Sonthofen ist immer dabei, wenn Urlauber in die Tat umsetzen, was das Programm schmeichelhaft verheißt: „Mein Baum in Hindelang“. Mit 50 Mark ist jeder Tourist dabei.
Moral-Marketing ist ein Trend, behauptet Trendforscher Horx. Wer wollte ihm widersprechen? Wo sich politisch in Umweltfragen nichts wirklich Entscheidendes bewegt, da besetzen private Interessen aller Schattierungen das Vakuum zwischen Umweltnotwendigkeiten und Sonntagsreden zum Wohle der Natur. Irgendwann treffen sich alle auf dem Markt wieder. Nicht nur Hindelang hat den Baum erfolgreich im Programm – auch Großfirmen sind dabei. „Patagonia“ beispielsweise, ein internationaler Ausstatter für Outdoor-Ausrüstung: „Mit unseren Aktivitäten richten wir in der Natur ja auch Schäden an“, erklärt die Münchner Niederlassung. Und fördert selbst Pflanzeinsätze im Harz. Auch große Unternehmen wie Kraft-Jacobs-Suchard und Micky Mouse lassen Bäume pflanzen. Die Sponsoren nutzen ihr Engagement zum Imagetransfer.
Norbert Bolz, Professor für Kommunikationsdesign an der Uni Essen, wundert sich nicht, daß es prächtig funktioniert: „Ethik ist in wirtschaftlichen Zusammenhängen einfach deshalb ein faszinierender Begriff, weil er Werte und Motive suggeriert, die nicht aufs Profitmotiv zu reduzieren sind. Ein neutraler Beobachter könnte sich zuweilen besorgt fragen, ob diese ökologisch beflaggten Firmen überhaupt noch an Gewinn denken.“ Doch keine Sorge, am klassischen Wachstumsdogma wird nicht gerüttelt – die Umweltfolgen werden durch Umweltaktionen ersetzt. Auch wenn die Rechnung mit der Kompensation nirgends aufgeht – das Sponsoring blüht. Organisationen wie „Cocos International“ haben sich dem Spenden-Management verschrieben. Unterderhand entsteht ein Reisemarkt. Weltweit können die Spender bei Projekten mitarbeiten. Auch dafür macht sich „Cocos International“ stark.
Idealisten sind köderbar, meint Professor Bolz. Idealisten haben eben immer ein schlechtes Gewissen. Was aber tun, wenn – für Gäste gänzlich unerwartet – der kleine Baum im Hotelzimmer steht? Hübsch im Topf eingestielt und mit Schleifchen verziert. Ein Willkommensgeschenk mit Kindchenappeal. Etwas Lebendiges, das wachsen und groß werden will. Kitzel für die mütterlichen Versorgungsreflexe. Soll Mensch zum Bäumchen etwa nein sagen? Es gar verkommen lassen? Oder schnöde in den Mülleimer werfen?
Rundum geht saurer Regen nieder, neue Autobahnen und ICE- Trassen zerschneiden den großen Wald. Kann der grüne Nachwuchs da Abhilfe schaffen? „Man kann das Erscheinungsbild des Globus zurückdrehen“, behauptet Karl Peter Hasenkamp.
Also Leute, pflanzt Bäume! Masssenhaft! Wenn erst die TUI, NUR, ITS, Fischer-Reisen und Öger Tours den Baum für sich entdeckt haben, dann werden wir es irgendwann einmal schaffen: die Welt, eine einig grüne Pflanzerfamilie.
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