: "Ohne Blut kein Bericht und kein Geschäft"
■ Der Webmaster und Nachrichtenchef des "Cannibal Home Channel" heißt "Machimba". Auf seiner Website unter http://www.cyberado.co.uk/CHC/ist alles über die Chaos-Tage von Hannover nachzulesen, auch
taz: Wo sind die Haare? Vor allem die bunten?
Machimba: Wir haben nie behauptet, daß wir Punks sind. Wir sind in erster Linie Journalisten. Im Durchschnitt sind die Mitarbeiter des Cannibal Home Channel einfach älter als ein Punk-Rocker, der auf irgendeiner Bahnhofstreppe sitzt. Viele waren sicher mal Punks...
...ständig Farbe, Seife, Spray: das tötet jede Haarwurzel...
...und dann noch das ständige Hochtoupieren! Journalismus ist für uns ein sehr ehrbares, sehr zeitgemäßes Handwerk. Der Cannibal Home Channel unterhält ein Netz von informellen Mitarbeitern oder auch Spitzeln, mein Job ist es, ihre Informationen in unsere Website einzubinden. Unsere Mitarbeiter im In- und Ausland geben mir per E-Mail oder Telefon ihre Nachrichten oder Texte durch, manche programmieren ihre Seiten auch schon so, daß ich sie nur noch in das Internet reinschieben muß.
So also wird die Gegenöffentlichkeit organisiert?
Darum geht es genau nicht. Wer genau ließt, wird bei uns Nachrichten und scharfe Analysen finden, aber keine Aufrufe gegen die Polizei. Wir dokumentieren wirklich jeden Schrott. Das Polizeiflugblatt zu den Chaostagen genauso wie die Verbotsverfügung und natürlich die Punk-Flugblätter. Wenn Helmut Kohl eine Rede zu dem Thema halten würde, wäre die auch bei uns drin. Wir haben extra einen Link zur Chaos-Tage-Internetseite der hannoverschen Polizei gelegt. Wir filtern keine Informationen, sondern veröffentlichen alles unzensiert.
Absolut pluralistisch also?
Super-, mega-, hyperpluralistisch. Anders als die Polizei glauben wir, daß sich im Zeitalter des Internet die Information nicht mehr kontrollieren läßt. Die Polizei hat natürlich die Adresse unseres Kanals nicht angegeben. Auch sonst ist ihre Site sehr schlecht gemacht, zu große Bilder, kein vernünftiger Umbruch, inhaltlich widersprüchlich: Die Polizei sagt, daß Punk „Freiheit“ sei, und verbietet sie dann doch.
Was macht der Kannibalenkanal besser?
Wir haben unsere Fühler am Puls der Zeit, weil wir nie Polizeibeamte gewesen sind. Wir kennen die Leute. Wir sind auf den Konzerten, wir kriegen definitiv die Sachen genau mit, die die Polizei höchstens aus Gerüchten kennt.
Ich meine technisch besser...
Wir benutzen die neuesten HTML-Standards, verwenden Frames, die einfachstes Navigieren möglich machen. Wir können ohne großen Aufwand die Seiten aktualisieren, während die Polizei-Page inklusive der Satzfehler jetzt schon drei Wochen dasteht. Wenn wir in irgendeiner Stadt sind und etwas mitbekommen, können wir eine komplette Seite innerhalb einer Stunde ins Netz schicken. Auch Videobilder können wir sofort einbinden. Das anstehende Punker- Treffen in Hannover wird deswegen zu weltweiten Infotainment- Chaos-Tagen werden. So ähnlich wie der Golfkrieg, der ja live über die Sender ging, nur eben auf Punk-Rock und Chaos-Tage bezogen: Die Polizei macht einen Info- Kanal, das Fernsehen wird berichten. Aber wir wollen die besten sein, wie CNN im Golfkrieg.
Die Rolle von CNN war allerdings keine rühmliche.
Sie entspricht aber unseren ethischen Grundsätzen, die man im Kanal nachlesen kann. Wir wollen brandheiße, aktuelle und möglichst blutige Informationen liefern. Die lassen sich nämlich am besten verkaufen. Das haben wir bei den vergangenen Chaos-Tagen geschnallt. „Punks wollen Stadt in Schutt und Asche legen“ läßt sich viel besser verkaufen als „Punks wollen Sauffete feiern“. Alle Versuche, bei der Wahrheit zu bleiben, haben nichts gebracht. Da haben nur andere Journalisten ihr Geld an der ganzen Geschichte verdient, je blutiger die Schlagzeilen, desto mehr Geld. Deswegen versuchen wir jetzt, gleich selbst diese blutigen Schlagzeilen zu produzieren. Wir orientieren uns also an der klaren journalistischen Moral, nach der eine Welt ohne Gewalt eine Scheißwelt ist. Denn ohne Blut kein Bericht und kein Geschäft. Dieser Gedankengang führt übrigens unser Chefideologe „Spiritus rector“ in seinem wegweisenden Artikel „Journalisten sind Mörder“ sehr kenntnisreich aus.
Den „Spiritus rector“ nimmt aber selbst die Polizei nicht mehr ernst, er will „die ganze Zivilisation vernichten“.
Wir haben ihm zu verdanken, daß unser Kanal zumindest finanziell klappt. Er hat die Rechner besorgt, gibt uns die Kohle für Netzzugang, Telefonanschlüsse, Fahrtkosten. Dafür hat er das Recht zu kommentieren. Der Typ scheint ein bißchen durchgeknallt. Aber solange er uns mit Geld versorgt, kann er schreiben, was er will.
Wird es den Cannibal Home Channel auch nach den Chaos- Tagen noch geben?
Die Chaos-Tage sind jetzt nur unser aktuelles Hauptthema. Daneben gibt es bei uns eine digitale Version eines Underground-Fanzines namens Zapp, das gedruckt schon ziemlich lange, seit 140 Ausgaben, erscheint. Dann sind bei uns die kompletten Unterlagen der APPD, der „Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands“, abrufbar. Diese Partei existiert bereits seit 1981, zwischenzeitlich war die Parteiarbeit allerdings mal zum Erliegen gekommen. Zur Zeit hat die APPD ungefähr vierhundert Mitglieder. Unser Kanal ist ihr sehr freundschaftlich verbunden.
Die Redaktion des CHC vermeldete im Mai, die letzte „Schlacht um Gorleben“ sei die Generalprobe für die Chaos-Tage gewesen. Diese Formulierung zitiert dann das polizeiliche Verbot der Chaos-Tage.
Da folgt die Polizei sauber recherchiertem Journalismus. Wir hatten erschreckende Äußerungen von Käpt'n Chaos aus Hamburg und einzelner Bremer Autonomer wiedergegeben und dabei klargestellt, daß eine solche „kaum greifbare Form des Protestes an Terrorismus grenzt“.
Was unternimmt die Polizei gegen den Cannibal Home Channel?
Strafrechtlich relevantes findet sich bei uns nicht. Wir berichten genauso über die Punk-Szene, wie es andere Medien auch tun. Wer uns verklagt, müßte die komplette Presse verklagen. Einmal hat allerdings die Firma Alphanet, die für die hannoversche Polizei die Internet-Seiten erstellt hat, bei unserem englischen Provider angerufen, nach den Urhebern des CHC gefragt und sogar mit Sperrung des Netzzuganges gedroht. Aber letztlich weiß auch die Polizei ganz genau, daß wir auf einer legalen Basis arbeiten.
Wie wird das kommende Wochenende in Hannover
Vielen Kids macht es einfach Spaß, sich mit einer Polizei anzulegen, die nichts in der Hand hat als ihre Verbotsverfügung.
Was heißt das?
Für die meisten heißt das, sich ihren persönlichen Platzverweis anzuholen – am besten schriftlich. Das kann man sich hinterher an die Wand hängen oder sich auf ein T-Shirt drucken lassen. Wer jetzt 15- oder 16jähriger Punk ist und noch nicht bei Chaos-Tagen war, für den gibt es nichts Wichtigeres als das kommende Wochenende. Dabeisein ist alles – Olympia auf Punk-Rock. Jürgen Voges
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