piwik no script img

■ QuerspalteMetzger in Leibchen

Man wundert sich ja manchmal, womit andere ihr Leben verbringen. Da hüpfen zum Beispiel erwachsene Menschen über Hindernisse, die ihnen jemand extra in den Weg gestellt hat. Nach hundert Metern reißt einer die Arme hoch, und die übrigen weinen. Andere setzen Masken auf und pieksen sich mit spitzen Gegenständen so schnell, daß kein Auge es erkennt. Wiederum andere stürzen sich von einem Brett ins Wasser und machen dabei merkwürdige Verrenkungen.

Die Summe dieser Absonderlichkeiten heißt Olympische Spiele. Am rätselhaftesten wird diese Veranstaltung, wenn die Stunde derer schlägt, die sie Ringer und Gewichtheber nennen. Der Mann im Fernseher sagt, daß das eine Leistungsschau der Stärksten des starken Geschlechts ist.

Dabei handelt es sich um eine äußerst unappetitliche Ansammlung von überzüchteten Metzgerssöhnen, die jemand in bunte Plastikleibchen gepreßt hat. Unten quellen fleischfarbene Wülste heraus, die dermaßen angeschwollen sind, daß sie sich als Gehwerkzeuge selbst im Weg sind und ihren Besitzern nur Trippelschritte möglich machen. Unter einem Bauch, mit dem man keinen Mann über die häusliche Türschwelle ließe, zeichnet sich ein Wurmfortsatz ab, der gemäß seiner anatomischen Lage das sein müßte, was im Biologieunterricht „primäres männliches Geschlechtsorgan“ hieß.

Diejenigen, die sie Ringer nennen, bespringen sich von hinten wie Kröten, grapschen sich zwischen die Beine und pressen sich gegenseitig auf Matten. Diejenigen, die Gewichtheber heißen, strecken ihre Ärsche aus den Leibchen, hieven eine Metallstange hoch, verzerren das Gesicht zur Grimasse und stöhnen ein orgiastisches „Huaahh“. Und obwohl sie allesamt aussehen wie das Phantomfoto vom Sexmonster auf der Bild-Titelseite, küssen die Leute sie, jubeln ihnen zu, tupfen ihnen die niedrig geratene Stirn. Am Ende hängen sie ihnen um jene Speckwulst, die bei anderen Menschen der Hals ist, ein Stück Metall am Band. Das heißt dann Medaille. Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen