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1.000 rote Karten für bunte Strähnen

■ Um die „Chaos-Tage“ der Punks zu verhindern, warf Hannovers Polizei am Wochenende alles aus der Stadt, was nicht geschniegelt aussah. Dafür gab es in Bremen Straßenschlachten zwischen Grünberockten und Autonomen

Hannover/Bremen (taz) – In Hannover fielen am Wochenende die traditionellen „Chaos-Tage“ der Punks aus. Der Polizei gelang es, die Landeshauptstadt in eine einzige Straßensperre zu verwandeln. Die angekündigte Punk-Sauffete wurde dadurch im Ansatz verhindert. Dafür wurde Bremen, das die Organisatoren der „Chaos-Tage“ als Ausweichziel angegeben hatten, zum Schauplatz von Straßenschlachten – die lieferten sich dort vor allem Autonome mit der Polizei. Mehr als 140 Personen wurden in Polizeigewahrsam genommen, eine junge Dänin wurde von einem Polizeihund in die Schulter gebissen, vier Polizisten verletzt. Die Bremer Grünen haben mittlerweile gegen die „unverhältnismäßigen Polizeimaßnahmen“ protestiert.

Auch in Hannover war die Bewegungsfreiheit aller Jugendlichen, die nicht ordentlich geschniegelt aussahen, der jeweiligen Laune der Polizisten ausgesetzt. Da endete etwa, weitab von der Innenstadt, eine Geburtstagsfeier vor dem eigenen Haus im Polizeigewahrsam. Betroffen waren 20 Hausbewohner und Gäste, eher langhaarig und wenig bunt. Da konnten 15jährige Mädchen aus dem Umland, die nur eine kleine Strähne eingefärbt hatten, nicht mehr zum CD-Kauf in die hannoversche Innenstadt fahren. Da ging ein Familienausflug abrupt zu Ende, weil die blond gefärbten Haare des mitreisenden Neffen einen polizeilichen Platzverweis wert waren. Am Hauptbahnhof reichte auch schon die Baseballkappe für eine rote Karte. Insgesamt gab es davon in Hannover weit über 1.000.

Eine Gruppe von durchgestylten Gruftis hatte einen Polizeibeamten mit Herz für die Jugend gefunden, der für weitere Kontrollen eine regelrechte „Nicht-Punk- sondern-Grufti-Bescheinigung“ ausstellte. Rigoros gesäubert wurde Hannover von allen Bunthaarigen. Auch weitab vom befürchteten Geschehen lauerten noch an jeder Straßenecke Besatzungen von Polizeibullis auf Punks und konnten dann statt dessen dem Skatspiel oder Poker frönen.

Der Bundesgrenzschutz hatte auf allen größeren Bahnhöfen des Landes ein Auge auf reisende Bunthaarige, warnte vor der Reise nach Hannover und gab dorthin Meldungen über echte oder vermeintliche Reise-Punks durch. Nach eigenen Angaben fing der BGS an Hannovers Hauptbahnhof Freitag und Samstag insgesamt 1.300 Jugendliche ab und forderte sie zur umgehenden Heimreise auf. Immer wieder mußte dabei allein das „punktypische Aussehen“ für die Prognose herhalten, daß von den Betroffenen Straftaten zu erwarten seien.

„Die Polizei hat mit diesem Einsatz immer wieder gegen die Entscheidung des hannoverschen Verwaltungsgerichts zum Chaos-Tage-Verbot verstoßen“, resümierte die grüne Landtagsabgeordnete Silke Stokar gestern. Schließlich habe das Gericht ausdrücklich festgehalten, daß Frisur und Outfit allein noch kein Grund zum polizeilichen Einsatz sein könnten. Doch das ficht Polizeipräsident, Oberbürgermeister und Stadtdirektor von Hannover nicht an. Sie äußerten sich gestern hochzufrieden mit dem Einsatz. Dem obersten Einsatzleiter hat er sogar richtig „Freude gemacht“. Jürgen Voges/kes Bericht aus Bremen Seite 4

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