: „Ohne Wasser“
■ Ein Jugendlicher berichtet von der Nacht im Polizeigewahrsam / Auf nacktem Betonboden geschlafen
Timo S. (22) (Name von der Redaktion geändert) ist einer von den 204 jungen Leuten, die am vergangenen Wochenende in Polizeigewahrsam genommen wurden. 19 Stunden verbrachte er im Knast. Wir sprachen mit ihm über seine Eindrücke.
taz: Sie waren Freitag nacht an der Sielwallkreuzung und sind in Polizeigewahrsam genommen worden. Was ist passiert?
Die Polizei hat gegen zwei Uhr die Sielwallkreuzung eingekesselt. Die Polizisten haben irgendwelche Leute hingeschubst. Ich habe mich lautstark darüber beschwert. Ich konnte nicht mehr aus dem Kessel raus. Ich habe den Bullen gesagt, daß ich aus Bremen komme und daß ich hingehen kann, wo ich will. Das war zuviel des Guten. Ich wurde abgeführt.
Warum?
Das weiß ich nicht. Man hat mir keine Gründe genannt. Wir sind dann auf die Polizeiwache in der Nähe der St.-Jürgen-Straße gebracht worden. Wir saßen mit etwa 30 Leuten in einer Zehn-Quadratmeter-Zelle. Nach etwa anderthalb Stunden haben die Bullen uns rausgeholt und uns die Klamotten abgenommen, sprich Gürtel, Portemonnaie und so – damit wir uns nicht aufhängen. Protokolliert wurde das nicht. Meinen Gürtel und das Portemonnaie habe ich zurückbekommen. Den Schmuck nicht. Das war sozusagen ein Geschenk für die Polizei.
Wie ging es weiter?
Wir sind dann in die Kaserne in die Vahr abtransportiert worden. Wir wurden fotografiert und nochmals durchsucht. Die Bullen haben meine Armbänder, meine Halsbänder und Ketten abgeschnitten. Sie haben mir nicht mal erlaubt, die Verschlüsse zu öffnen. Danach haben Sie den Schmuck in einen Beutel gepackt und wahrscheinlich weggeschmissen. Sonst wäre das Zeugs ja noch da.
Wo sind Sie dann untergebracht worden?
Wir sind dann in einer Turnhalle untergebracht worden – ohne alles. Wir saßen auf dem kalten Betonfußboden. Wir hatten keine Decken, keine Stühle, kein nichts. Wir durften teilweise zwei, drei Stunden am Stück nicht aufs Klo. Irgendwann haben einige einfach in die Halle gepinkelt. Wir haben erst nach neun Stunden Wasser gekriegt. Nach ungefähr zehn oder elf Stunden haben wir was zu essen gekriegt: Ich hatte für die ganzen 19 Stunden Knast einen Apfel und ein Mars. Das Trinken war dreckiges Leitungswasser. Die Bullen haben einfach eine Wanne reingestellt, aus der wir alle trinken mußten. Rauchen durften wir auch nicht.
Wo haben Sie geschlafen?
Auf dem Fußboden. Einigen Leuten war sogar die Jacke abgenommen worden, so daß sie im T-Shirt auf dem kalten Betonfußboden schlafen mußten. Logischerweise waren die ziemlich am Zittern. Es war eindeutig eine Katastrophe.
Wie war die Stimmung?
Die Leute hatten alle ein reines Gewissen. Wir hatten ja nichts gemacht. Deshalb hatten wir auch keine Angst, und die Stimmung war locker. Mit der Zeit sind die Leute nur immer saurer geworden. Wenn man zwei, drei Stunden nicht pinkeln darf und nichts zu essen hat, ist das schon ganz schön hart.
Hatten Sie zwischendurch die Möglichkeit, mit einem Anwalt oder einer Anwältin zu telefonieren?
Einige Leute durften telefonieren. Normalerweise steht jedem ja das Recht zu, ohne Aufsicht zwei Telefonate zu führen. Ich habe mir erzählen lassen, daß das nicht so war. Die Bullen haben die Nummer gewählt, standen neben den Telefonierenden und haben sich lautstark unterhalten. Ich weiß das aber nur aus Erzählungen. Ich selbst durfte nicht telefonieren.
Warum nicht?
Weiß ich nicht. Meine Festnahme wurde beobachtet. Die Leute haben dann einen Rechtsanwalt informiert. Der Rechtsanwalt hat in der Kaserne gegen halb drei, drei angerufen. Er hat den Cops gesagt, daß sie Bescheid sagen sollen, daß ich ihn sofort anrufen soll. Das haben die Bullen mir aber nicht gesagt.
Wann sind Sie rausgekommen?
Am Samstag abend gegen halb zehn sind wir dann zum Amtsgericht gefahren worden und wurden dem Richter vorgeführt. Ich bin dann auch sofort freigelassen worden. Es lag ja nichts vor.
Wollen Sie gegen diese Behandlung vorgehen?
Ich werde mich mit meinem Anwalt beraten. Aber eins ist doch klar: Da passiert doch sowieso nichts.
Fragen: Kerstin Schneider
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