Debatte: Dumpfer Beifall
■ Eine Antwort auf Gerald Sammet
Nun hat er's uns aber gegeben, der Herr Kulturkommentator vom zweiten Programm. All denen, die die innensenatoriellen Direktiven der vergangenen Tage kritisiert haben, ist Gerald Sammet vom sicheren Studierstübchen im hohen Bremer Norden aufs liberale Dach gestiegen und hat dortselbst auch gleich beachtliche Schäden ausgemacht. „Das Chaos in schrankenlos liberalen Köpfen reicht weit über die Leere in den Köpfen der Chaoten hinaus“, attestiert er uns.
Man kann es sich leicht machen mit dieser Kritik. Sammet will offenbar schlichte Fakten nicht zur Kenntnis nehmen. Nicht die schlimmen Haftbedingungen in der Vahr, nicht die Stadtverweise, die Dauerbelagerung des Viertels und des Bahnhofs, die permanenten Kontrollen aller Jugendlicher außerhalb der CDU-Norm. Der kritische Kritiker aus dem Funkhaus macht genau das, was er den so unscharf georteten Dummliberalen vorwirft: Er blendet einen Teil der Wirklichkeit aus, um sich die eigenen Vorurteile bruchlos selbst bestätigen zu können. Wer nicht hinguckt, wenn die Stadt von der Polizei belagert wird, der braucht auch kein mulmiges Gefühl zu kriegen. Und wer die Wahl hat zwischen angeblich existierendem liberalem Eiferertum und erfolgreichem Pragmatismus, der nimmt doch lieber den Erfolg – und kommentiert aus dem Nackenspeck des Innensenators.
Der Hintergrund dieser intellektuellen Onanie ist eine gespaltene Debatte, gespalten vom Innensenator höchstpersönlich: Wer die Senatspolitik und die Polizei angreift, macht sich zum nützlichen Idioten der Chaoten, der legt die Steine bereit, mit denen hernach die Scheiben friedlicher Bürger eingeworfen werden. Nur die Wirklichkeit ist ein kleines bissel anders.
Versetzen wir uns für einen Moment in die Rolle des Innensenators, als die Flugblätter auftauchten, daß die Chaos-Tage möglicherweise nach Bremen schwappen würden. Er hatte die Wahl zwischen Krawallrisiko und Freiheitsberaubung. (Nebenbei – das allen RomantikerInnen – hätte jede Deeskalationsidee ein Krawallrisiko beinhaltet, wie uns die vorletzte Silvesterfete im Viertel gelehrt hat. Wer sich hauen will, der haut sich.) Der Innensenator steckte in einem klassischen Konflikt zwischen den Grundrechten auf körperliche Unversehrtheit (zum Beispiel von PolizistInnen) und auf Schutz des Eigentums auf der einen Seite und den Freiheitsrechten (der Jugendlichen, die anders aussehen) auf der anderen. Daß es diesen Konflikt gibt, das will erst einmal zur Kenntnis genommen werden.
Diesen Konflikt als Konflikt zur Kenntnis nehmen, das ist es, was man als Bürger von einem Senator, einem Innensenator zumal, erwarten kann. Fakt ist: Ralf Borttscheller hat sich für die Freiheitsberaubungs-Variante entschieden, und zwar ohne zu zögern. Dieser Automatismus macht schaudern. Und zusammen mit Borttschellers stammtischreifen Reaktionen auf öffentliche Kritik – daß man Punkern schließlich kein drei-Sterne-Hotel bieten könne – kann man zu dem Schluß kommen: Borttscheller kratzt es nicht im geringsten, wenn Bunthaarige wie gesuchte VerbrecherInnen behandelt werden, nur weil sie Bunthaarige sind. Das Gespür dafür, was in Menschen vorgehen muß, wenn sie der Willkür ausgesetzt sind, geht ihm völlig ab. Ein Senator, der offenbar drittklassige Vorstellungen von Bürgerrechten hat, der kann Menschen drittklassig behandeln, ohne mit der Wimper zu zucken. Das ist Politik nach Gutsherrenart und einer Demokratie nicht würdig.
Noch mal, weil es so simpel ist, liberale KritikerInnen sammetpfötig in die Idioten-Ecke zu stellen: Es gibt kein Recht auf Chaos-Tage. Selbstverständlich ist es Aufgabe des Staates, Krawall zu vermeiden. Aber die Wahl der Mittel, die dazu eingesetzt werden, ist eine Wahl und kein Automatismus gegen diejenigen, die am wenigsten Macht in Händen halten. Es ist eine Wahl, die öffentlich begründet werden muß, und zwar vor allem gegenüber denjenigen, die unter dieser Wahl zu leiden haben. Ein Senator mit rechtsstaatlichen Grundsätzen und einem Gespür für die Verhältnismäßigkeit der Mittel hätte alle zu Unrecht schikanierten Jugendlichen zumindest um Verständnis gebeten. Eine Geste nur, aber vielleicht eine entscheidende. Ein Senator, der in seinem Handeln diese Grundsätze und dieses Gespür vermissen läßt, ist gefährlich nah an der selbstherrlichen Willkür. Und die paßt nicht zu einem demokratischen Rechtsstaat. Aber immerhin: Beifall ist ihm sicher, und sei er noch so dumpf – leider auch aus dem Funkhaus. Jochen Grabler
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