: Kriegswaffe Vergewaltigung
Eine neue Studie der UNO belegt, daß bisher in allen Kriegen gezielt vergewaltigt wurde. Doch erst nach Bosnien hat die UNO darauf reagiert ■ Aus Genf Andreas Zumach
Am 7. Mai dieses Jahres gab es einen erheblichen zivilisatorischen Fortschritt vor dem Den Haager Tribunal über die Kriegsverbrechen in Exjugoslawien: Mit dem bosnischen Serben Dušan Tadić erschien erstmals seit den Prozessen von Nürnberg und Tokio vor 51 Jahren ein mutmaßlicher Kriegsverbrecher vor den Schranken eines internationalen Gerichts. Ohne Beispiel in der Geschichte des Völkerrechts ist aber auch die Anklage wegen Vergewaltigung und sexueller Folter. Zwar mußten die drei RichterInnen diesen Punkt bereits am ersten Prozeßtag fallenlassen. Der Staatsanwalt hatte einen dementsprechenden Antrag gestellt, weil seine Hauptbelastungszeugin – das mutmaßliche Vergewaltigungsopfer – nicht mehr bereit war, live vor dem Tribunal auszusagen. Sie hatte Angst vor Repressalien gegen sich und ihre Verwandten in Bosnien durch Tadić' Freunde.
Doch damit ist das Thema sexuelle Gewalt als Kriegsverbrechen für das Tribunal keineswegs erledigt. Weitere 47 der bislang 57 angeklagten Männer (darunter 49 Serben) werden der Vergewaltigung oder sexuellen Folter beschuldigt, oder auch, diese Verbrechen angeordnet zu haben. Auch Muslime und Kroaten haben vergewaltigt, allerdings war dies nicht, wie bei den Serben, Teil einer systematischen Kampagne zur „ethnischen Säuberung“ ganzer Städte und Regionen. Das Tribunal führt seit Mitte Juli wegen dieser Vorwürfe öffentliche Anhörungen über 8 der 47 Männer durch und befragt ZeugInnen, ErmittlerInnen und Sachverständige.
Geschlechtsspezifische Kriegsverbrechen gegen Frauen und junge Mädchen sind seit dem Mittelalter nachweisbar und ein ganz „normales“, oftmals systematisch eingesetztes Mittel der Kriegführung bei zwischen- wie innerstaatlichen Konflikten. Doch erst die Vergewaltigungen muslimischer Frauen durch serbische Männer in Bosnien haben der Welt die Augen geöffnet. Erhebungen der UNO und der EU gehen dort von mindestens 20.000 Vergewaltigungen seit April 1992 aus. Daß das Thema erst jetzt ins breite Bewußtsein gerückt ist, hängt auch von unserer medienvermittelten eurozentrischen Wahrnehmung ab, die ähnliche, vom Ausmaß her oft noch schlimmere Verbrechen in Afrika und anderen Kontinenten seit Ende des Zweiten Weltkriegs weitgehend übersehen hat.
Der Fall Bosnien veranlaßte 1995 auch die UNO-Menschenrechtskommission in Genf, die US- Expertin Linda Chávez zur „Sonderberichterstatterin über systematische Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei und der Sklaverei ähnliche Praktiken während bewaffneter Konflikte“ zu berufen. Einen ersten „vorläufigen“ Report legte Chávez vor wenigen Tagen dem Unterausschuß der Menschenrechtskommission für die „Verhinderung von Diskriminierung und dem Schutz von Minderheiten“ vor, der formal für die Arbeit der Sonderberichterstatterin zuständig ist.
Diese Zuordnung erweckte den Eindruck, Frauen seien in den Augen der UNO eine schützenswerte „Minderheit“. Diesem „Mißverständnis“ begegnet die Menschenrechtskommission mit dem Hinweis, sexuelle Gewalt werde vornehmlich in innerstaatlichen Konflikten angewandt – durch die Männer der ethnischen Mehrheitsgruppe gegen die Frauen der Minderheit. In zwischenstaatlichen Kriegen sei sexuelle Gewalt seltener. Die historischen Beispiele der Sonderberichterstatterin erwecken allerdings genau den gegenteiligen Eindruck.
Zunächst beschreibt Chávez die „systematische Vergewaltigung belgischer Frauen zwecks Terrorisierung der gesamten Bevölkerung“ durch deutsche Invasionstruppen im Ersten Weltkrieg sowie den „Einsatz von Vergewaltigung durch die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg als Mittel zur totalen Erniedrigung und Zerstörung ,minderwertiger Völker‘ und der Etablierung der deutschen Herrenrasse“ in den Nachbarstaaten des Dritten Reichs. Dabei beruft sie sich auf das 1977 erschienene Buch der US-Frauenrechtlerin Susan Brownmiller, „Gegen unseren Willen: Männer, Frauen und Vergewaltigung“.
Ebenfalls im Zweiten Weltkrieg hielten sich die japanischen Besatzungstruppen in verschiedenen asiatischen Ländern rund 200.000 Sexsklavinnen und Zwangsprostituierte. Auch die „systematische Vergewaltigung“ kuwaitischer Frauen durch irakische Invasionssoldaten 1990/91 erfolgte im Rahmen eines zwischenstaatlichen Krieges. In Bosnien gab es eine Konflikt-Mischform: Sowohl eine interne Konfliktpartei (die bosnischen Serben) sowie äußere Aggressoren (die Soldaten Serbiens) setzten sexuelle Gewalt ein. Und Chávez erinnert auch an den Sezessionskrieg der ehemaligen pakistanischen Provinz Bangladesch gegen die Regierung in Karatschi im Jahre 1972. Laut einer Untersuchung der in Genf ansässigen „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (WILPF) wurden in dem neunmonatigen Krieg „über 200.000 Frauen und Mädchen von pakistanischen Soldaten vergewaltigt“.
Die Sonderberichterstatterin nennt in ihrem Report lediglich Ruanda, Haiti und Peru als eindeutige Beispiele für sexuelle Gewalt in ausschließlich internen Konflikten. In Ruanda und Haiti vergewaltigten und folterten nach Erkenntnissen der UNO und unabhängiger Menschenrechtsorganisationen Männer aller Konfliktparteien, also Armee, Milizen und kriminelle Gangs. In Peru richtet sich der Vorwurf bislang ausschließlich gegen die staatlichen Sondereinheiten zur Bekämpfung der Untergrundorganisation „Leuchtender Pfad“.
Auffällig an dem Bericht ist, daß Chávez weder die sexuellen Gewaltverbrechen der US-Soldaten in Vietnam noch der Roten Armee in Afghanistan und zum Ende des Zweiten Weltkriegs sowie der Franzosen im Algerienkrieg nicht erwähnt.
Nach den bisherigen Erkenntnissen der Sonderberichterstatterin wird „Vergewaltigung als Kriegswaffe eingesetzt“ zur „Einschüchterung, Bestrafung und Erniedrigung“ sowie zur Terrorisierung und Vertreibung der Zivilbevölkerung. „Erzwungene Schwanger- und Mutterschaften“ sind dabei „Strategien zur Erniedrigung und Auflösung ethnischer Gruppen“. Frauen werden (insbesondere bei internen Konflikten) bereits in der Vorphase bewaffneter Auseinandersetzungen von Zivilisten vergewaltigt, um sie von jeglichem Widerstand gegen die bevorstehende Militäraktion abzuschrecken. Nach Ankunft der Soldaten sind sie deren sexueller Gewalt ausgesetzt, werden getötet oder in Lager verschleppt; hier müssen Frauen oft auch gegnerischen Soldaten als Sexsklavinnen dienen und werden von diesen bedroht und gefoltert.
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