piwik no script img

Rückblick für die Zukunft

■ Er komponierte den Soundtrack zur "Legende von Paul und Paula", wurde in der DDR dann aber doch kein Star. Was macht der Filmmusiker Peter Gotthardt jetzt?

In den Zeiten der Nostalgie haben Menschen wie Peter Gotthardt einen guten Marktwert. Gotthardt ist Filmmusiker, er hat für die DEFA und das DDR-Fernsehen gearbeitet. Seinen Namen hätte man vielleicht nie wieder gehört, hätte er nicht 1973 den Soundtrack zur „Legende von Paul und Paula“ von Heiner Carow geschrieben – ein Film, der nach der Wende Balsam für verletzte Ost- und Westseelen bereithielt und kurzerhand Kultstatus erhielt.

Doch Gotthardt möchte nicht zu den lamentierenden Ostdeutschen gehören, die wehmütig an die Jahre unter Honecker und Co. zurückdenken. „Die Mauer will ich bestimmt nicht zurück“, sagt der Komponist, erinnert sich aber nicht ungern an die höhere Wertschätzung seiner Arbeit zu DDR- Zeiten: „Filmmusik wurde einfach wichtiger genommen als in Westdeutschland oder Westeuropa. Die DEFA stand in dieser Hinsicht in der großen Hollywood-Tradition und gab für ihre Produktionen vollständig durchkomponierte Stücke in Auftrag.“

Die Kultur, obwohl von den Theoretikern in den Überbau verbannt, war eine der tragenden Säulen des sozialistischen Staates. Daß die ideologiedurchtränkte Kader- bürokratie dennoch nicht vorhersehbar funktionierte, mußte Gotthardt wenige Jahre nach dem Erfolg mit „Paul und Paula“ erleben: „Irgendwann kamen einfach so gut wie keine Aufträge von der DEFA mehr. Man hatte wohl beschlossen, einen anderen Filmkomponisten zum Star aufzubauen.“ Namen mag er nicht nennen: Nachträglich noch schmutzige Wäsche zu waschen sei ihm zuwider.

„Ich war nie in der SED“, erklärt der Filmmusiker. Trotzdem wurde er nach dem Filmkarrieknick beim durchpolitisierten DDR-Fernsehen untergebracht. Er machte Musik für die legendären „Polizeiruf 110“-Krimis und schrieb den Vorspann zur Serie „Der Staatsanwalt hat das Wort“. In den 80er Jahren war er nur noch an zwei Spielfilmen beteiligt, beides biographische Arbeiten: „Ich komponierte die Musik zu den Filmen über Clara Zetkin und Käthe Kollwitz. Ich verstehe bis heute nicht, wieso man nun gerade mich mit diesen ideologischen Stoffen betraute.“ Als ihm die Behörden dann auch noch 1987 einen Reisepaß genehmigten – eigentlich war das ein Zeichen, daß die Ausreise ohne Wiederkehr durchaus erwünscht war –, wunderte sich Gotthardt noch mehr.

1990 war es mit dieser chaotischen, aber nicht ungemütlichen Ideologiewelt zu Ende. Gotthardt gehörte zu den vielen ehemals geschützten kreativen Existenzen, die sich plötzlich „marktgerecht“ verhalten sollten. „Eigentlich habe ich in meinem Leben immer versucht, nach vorne zu schauen. Aber wenn einem alles wegbricht, sieht man nach hinten“, erinnert sich Gotthardt an seinen Wende- schock. Der Mann hat Glück gehabt, „hinten“ gab es etwas: „Die Legende von Paul und Paula“, der DDR-Beitrag zur Welt der Blumenkinder. Gotthardt kramte in seinem Archiv, schnitt einige Filmdialoge zusammen und produzierte eine CD.

Allerdings mußte er sich erst noch einmal gehörig ärgern, und das auch gleich dem Text auf dem Inlet der CD anvertrauen. „Bis heute wird immer, sogar vom Verleih, behauptet, daß die Filmmusik von den Puhdys ist. Das stimmt einfach nicht. Ich habe damals die Puhdys für den Film entdeckt, die meisten der Songs geschrieben und sie dann mit der Band erarbeitet.“

Gotthardt gründete in Berlin ein Verlagshaus. Er managed den Chansonnier Henry de Winter, der im weißen Anzug und mit Handschuhen Schlager der 20er und 30er Jahre singt. Mit seinem „Tonfilmorchester Berlin“ gibt Gotthardt seit 1992 Konzerte oder begleitet de Winter, der mit einer Gotthardt-Komposition für Volker Schlöndorffs neuen Film „Der Unhold“ verpflichtet worden ist. Im Zeughaus-Kino schaut er ganz weit nach hinten und begleitet Stummfilme auf dem Klavier: „Eine ziemlich interessante Aufgabe. Da es kaum fertig komponierte Begleitmusik zu den Filmen gibt, suche ich in meinem Schellack- und Notenarchiv nach authentischem Themenmaterial.“ Während der Vorführung setzt Gotthardt die Themen in freier Improvisation um – Filmkomposition live.

„Es sind die Zeiten nicht zum Schlafen da“, hatten die Puhdys in „Paul und Paula“ gesungen und dabei vermutlich nicht an die Marktwirtschaft gedacht. Peter Gotthardt hält sich trotzdem an die Maxime und hat sein Betätigungsfeld in den letzten Jahren kräftig ausgeweitet. Der ganz große Wurf – ein Auftrag aus Babelsberg oder München für eine komplette Filmmusik – wird ihm wohl trotz seines Beitrags zur Schlöndorff-Produktion nicht mehr gelingen. Also versucht er sich statt dessen an kleineren Einzelprojekten. Wenn es einmal an Ideen mangelt, kann er immer noch sein Archiv befragen und die Easy-Listening-Kundschaft mit Ostmelodien bedienen: „Als Filmmusiker muß man eben vielseitig sein.“ Kolja Mensing

Peter Gotthardt begleitet morgen um 22 Uhr den Lubitsch-Film „Die Bergkatze“ (Zeughaus-Kino im Schlüterhof, siehe cinemataz)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen