: Die langen Nächte der Gesamtkunstwerke
■ Eine Ausstellung und ein Buch würdigen die Künstler der in den 20er Jahren umtriebigen „Hamburger Gruppe“
Tagelange Künstlerfeste, monatelang geplant, mit großem Programm, unter künstlerischer Programmatik ausgemalten Kulissen und eigens herausgegebenen Begleitbüchern waren in den Zwanziger Jahren ein Kulminationspunkt des kulturellen Lebens, in dem sich Geldadel und Künstler begegneten. Dieses Zeitphänomen war nicht auf Berlin beschränkt, auch Hamburg konnte damit glänzen.
Nicht nur die Kunstgewerbeschule am Lerchenfeld organisierte solche raumgreifenden Gesamtkunstwerke, auch die „Hamburger Gruppe“, ein heute nahezu unbekannter Zusammenschluß von Literaten.
An diese von 1925 bis 1931 bestehende Vereinigung erinnert jetzt eine Ausstellung in der Stabi. In zwei Reihen zu sechs längsgestellten Vitrinen entsteht der Eindruck einer doppelten Gräberreihe: Ein „Club der toten Dichter“ und sein Umfeld werden hier materialreich präsentiert. Das Thema vertieft zugleich eine von Rüdiger Schütt herausgegebene Essaysammlung.
Mathias Mainholz und Kai-Uwe Scholz, Rüdiger Schütt und Sabine Walter dokumentieren Aufbruch und Zerfall der Gruppe, Kulturpolitik und Klima einer Zeit zwischen völkischer Identitätssuche und stilisiertem Außenseitertum, von jubelnder Begeisterung für vagabundierende Ideale bis hin zu den resignativ in der Schublade verborgenen Texten.
So kann man mit Neugier und im distanzierten Wissen um den Verlauf der Geschichte mit jenem etwas besserwisserischen Erstaunen den zwölf Gruppenmitgliedern bei der Navigation durch schwierige Zeiten folgen. Trotz einiger Widersprüche in den Texten, die die Notwendigkeit weiterer Bearbeitung des Themas erforderlich erscheinen lassen, ist das Buch schon dadurch bemerkenswert, daß dies wissenschaftliches Neuland ist: Bisher wurde die Hamburger Gruppe nicht dokumentiert, die meisten Bücher der Autoren sind vergessen, auch wenn in den achtziger Jahren das ZDF aus Adolph Wittmaaks ab 1915 erschienenem Roman Konsul Möllers Erben, einer Geschichte nach dem Vorbild der Budden- brooks, einen siebenteiligen Fernsehfilm machte. Tatsächlich war Thomas Mann für die Gruppe ein großes Vorbild, Hans Friedrich Blunck schaffte es auch, ein Treffen zu organisieren.
Die Hamburger Gruppe war in heutiger Sprache eine PR-Truppe, sie wollte der Literatur in Hamburg Ansehen verschaffen und notleidende Kollegen wie Hermann Krieger unterstützen, der 1926 erfolglos die visionäre Kampfschrift Die Autopest veröffentlichte. Vorbild der „Hamburger Gruppe“ war die schon 1919 gegründete, bekanntere „Hamburgische Sezession“ der bildenden Künstler. Der Mangel an wirklich gemeinsamen Zielen führte aber schon Ende der zwanziger Jahre zu Auflösungserscheinungen, anders als bei der Sezession war es kein äußerer Druck, der das Ende herbeiführte. Die weiteren Lebenswege der Beteiligten stellt Kai-Uwe Scholz in ihrer extremen Unterschiedlichkeit dar: Während Blunck 1933 Präsident der Reichsschrifttumskammer wurde, ging Jahnn (ohne verfolgt zu sein) in die freiwillige Emigration nach Bornholm, Felix Hecht, der Anwalt der Hamburger Gruppe, der auch in den Räumen des elterlichen Antiquariats Abende der Gruppe veranstaltete, wurde noch 1945 in Auschwitz ermordet. Zu gegenseitiger Hilfe brachte es die ehemalige Gruppe später nicht mehr, die meisten Mitglieder sind heute vergessen.
Immerhin wurde die Hamburger Gruppe Vorbild für die 1950 von Hanns Henny Jahnn gegründete, noch heute bestehende „Freie Akademie der Künste“. Außer Jahnn waren von der alten Gruppe Carl Albert Lange, Paul Schurek und als korrespondierendes Mitglied Hans Leip (der Dichter von Lili Marleen) dabei.
Seltsamerweise verbindet beide Vereinigungen über die Zeit ein Protest gegen vermutete Zensur: genau 25 Jahre nach Hans Leips Protest gegen das geplante „Gesetz zur Bewahrung der Jugend gegen Schmutz-und Schundschriften“ richtete die Akademie einen Offenen Brief an Konrad Adenauer gegen ein erneut in Arbeit befindliches „Gesetz zum Schutz der Jugend gegen Schmutz und Schund“.
Hajo Schiff
„Bohemiens und Biedermänner – Die Hamburger Gruppe 1925 bis 1931“, Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Von- Melle-Park 3, Mo-Fr 9-19.30 (im August), im September bis 21 Uhr, Sa 10-13 Uhr, bis 14. September; Begleitbuch in der „edition fliehkraft“, 312 Seiten, 26 Mark.
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