: Ein Leben im Knast
■ Nach 14 Jahren hinter Gittern: 33jähriger überfällt Mann / „Wieder so eine dumme Geschichte“
Peter K. ist einsichtig. Es tut ihm leid. Er hat das Opfer nicht mit dem Messer verletzen wollen, beteuert er, als ihm das letzte Wort erteilt wird. Im September 1995 hat er gemeinsam mit einem Kumpel einen Mann überfallen. Er wollte Drogen, Geld oder am besten beides. Peter K. hielt dem Mann ein Messer an die Kehle. Das Opfer faßte in die Klinge – eine Sehne im linken kleinen Finger wurde durchgeschnitten. Der Mann kann den Finger bis heute nicht bewegen. Außerdem beklagt er vor Gericht den Verlust seiner Geldbörse mit 200 Mark.
Wieder so eine „dumme Geschichte“, von denen es im Leben des Peter K. viele gibt. 33 Jahre alt ist er – 14 Jahre hat er im Knast verbracht. Als ihn das Landgericht am Freitag wegen schweren Raubes und Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt, verzieht Peter K. keine Miene. Er nimmt das Urteil an – ein Jahr mehr oder weniger Gefängnis, was macht das schon, denkt er sich vielleicht.
Lange zu leben hat er ohnehin nicht mehr. Aids. Im Knast sei er heroinsüchtig geworden, erzählt Peter K. „Durch die Spritzen hab' ich Aids bekommen.“ Viel sagt der schmächtige Mann während der zweistündigen Verhandlung nicht. Doch das, was Peter K. rzählt, reicht, um ohne Übertreibung und ohne Druck auf die Tränendrüse schreiben zu können, daß er zu jenen Menschen gehört, mit denen das Leben es nicht gutgemeint hat.
Die Eltern von Peter K. trennen sich, als er noch ein Baby ist. Die Mutter will ihn nicht. Der Vater will ihn nicht. Mit 18 Monaten kommt er ins Heim. Kurz darauf wird er bei Pflegeeltern untergebracht. Doch auch die wollen ihn nicht lange bei sich haben. Mit dreieinhalb Jahren kommt er zurück zum Vater – der ihn eigentlich gar nicht haben will. Wieder kommt Peter K. zu Pflegeeltern – diesmal für fünf Jahre. Danach wird er in eine heilpädagogische Anstalt eingewiesen – ins geschlossene Haus der Jugend-psychiatrie. Er gilt als „schwerst gestört“. Peter K. wechselt von einem Heim ins nächste. Er gilt als Querulant – und irgendwann will ihn auch kein Heim mehr haben.
„Sie waren nicht zu disziplinieren“, liest der Richter aus der Akte vor. Der Angeklagte nickt. „Ich war immer bockig“. „Ich stand halt schon damals ziemlich unter Druck“. „Inwiefern?“, hakt der Richter nach. „Im Heim haben die Größeren die Kleineren mißbraucht. Die haben die losgeschickt und dann mußte man klauen oder Mutproben machen. Wenn man das nicht gemacht hat, gab's n' Arschvoll.“
„Aber später gehörten Sie doch auch zu den Größeren“, wendet der Richter ein. „Nö, ich gehörte nie zu den Größeren“, gibt Peter K. zurück. Während er über seine Vergangenheit spricht, erwähnt er beiläufig einen Heimleiter. „Der war ja bisexuell. Den hab' ich dann ja auch angezeigt.“
Das Drama seiner Kindheit faßt Peter K. in nüchterne Worte. Es ist, als erzähle er die Geschichte eines anderen. Sein Gesichtsausdruck, eine bleiche, fast regungslose Maske, hält die Gefühle offenbar gut in Schach. Nur ein einziges Mal – in der Verhandlungspause – huscht ein Lächeln über sein Gesicht. Er wirft einen kurzen Blick nach links und nach rechts, beugt sich vor und pustet kräftig ins Mikrophon. Ein kurzes Pfeifen ertönt. „Oh“, rutscht es ihm raus. Blitzschnell lehnt Peter K. sich zurück. Demonstrativ schaut er an die Decke und lächelt – so, als wäre nichts gewesen.
Die Richter betreten den Raum – sofort setzt sich K. aufrecht hin. Als er kurz darauf weiter aus seinem Leben erzählt, hat sein Gesicht wieder diesen gleichgültigen Ausdruck angenommen. Nach dem Hauptschulabschluß beginnt Peter K. eine Lehre als Maurer. Mit 17 geht er wegen gemeinschaftlichen Diebstahls und Nötigung das erste Mal in den Knast. Zwei Jahre Jugendstrafe. Seitdem hat er keine zwei Jahre in Freiheit verbracht. „Haben Sie jemals gearbeitet, wenn Sie draußen waren“, will der Richter wissen. Der Angeklagte schüttelt den Kopf. „Ich war ja kaum draußen.“ Diebstahl, Raub, schwere Körperverletzung, räuberische Erpressung, Nötigung, Sachbeschädigung – das Vorstrafenregister des Peter K. ist fast so dick wie „ein kleines Buch“, bemerkt der vorsitzende Richter. Und auch er, der Beisitzer und die beiden Schöffen können „keine günstige Prognose“ für das künftige Leben des Peter K. erkennen. Sie verurteilen ihn zu einem Jahr und zehn Monaten ohne Bewährung.
Wenn er raus kommt, das heißt, wenn er dann noch lebt, will Peter K. in eine Wohnung der Aids-Hilfe ziehen. Seit einiger Zeit bekommt er regelmäßig Besuch von deren Mitarbeitern. „Eine positive Entwicklung der Persönlichkeit“ haben sie bei ihm beobachtet. Deshalb will ihm die Aids-Hilfe auch eine Wohnung in ihrem Projekt „Betreutes Wohnen“ vermitteln. Das hat die Organisation dem Gericht auch geschrieben.
Die wollen Peter K. Und das hat er schriftlich.
Kerstin Schneider
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