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Seid Sand, nicht Öl

■ Parabeln auf das Dritte Reich: Etwas unkommentiert sendet der Deutschlandfunk noch einmal Günter Eichs Hörspiele

Ein Mann kommt nach Hause und wird erleichtert von der Frau begrüßt: Das Essen sei bald fertig. Müde und tonlos lehnt er ab. Normale Szene einer abgehangenen Ehe? Wohl eher nicht. Denn als er unheilvoll verkündet, daß er sie nie mehr küssen wird, schwingt der bis dahin latente Hitchcock-Touch nach vorn. Unheimlich, getrieben und mit kalter Sicherheit erklärt der Mann, daß alle sterben müssen. Warum, erfährt man erst zum Schluß: Termiten haben die Stadt überfallen, um alles – Menschen inklusive – auszuhöhlen.

Die fünf (Alp)Traum-Sequenzen Günter Eichs sind von der schweren Sorte, die selbst am Tag kaum abgeschüttelt werden. In ihnen lauert ein surreal-konkretes Grauen, das nicht veraltet und selbst heute noch minutenlange Gänsehaut auslöst.

Wann spielt ihr endlich wieder Tanzmusik

Auch wenn Eichs erzählerische Mittel drastisch sind ( „Blut geschlachteter Kinder“), war das wohl nur der vordergründige Anlaß für die Wut der HörerInnen anno 1951. Viel schlimmer muß es gewesen sein, daß sich die „Träume“ als Parabel auf die Nazigreuel verstehen ließen. Man konnte nicht ins Mißverständnis fliehen, hier würde schwarz-groteske l'art pour l'art gefeiert. Zu eindeutig ist die Mahnung in Eichs lyrischem Nachwort: „Seid Sand, nicht Öl im Getriebe der Welt.“

Eich provozierte, was im Aufbau-Deutschland niemand hören wollte: die großflächig verdrängte Scham der Deutschen über ihre Schuld am Hitlerstaat. Kein Zufall also, daß der größte deutsche Radioskandal anläßlich dieses Hörspiels vom Zaun brach. „Abstellen!“ bellten sie ins Hörertelefon, und „Polizei!“. Wann endlich wieder Tanzmusik zu hören sei und ob man Eich nicht einsperren könnte.

Zweifellos gehört dieser NWDR-Mitschnitt zu den Highlights aus dem Radioarchiv. Er bietet einen scharfen Kurzeinblick in die Kulturlandschaft der frühen Nachkriegszeit: Naiv gespreiztes und empörtes Pochen auf das Hörerrecht, fürs Geld auch nett bedient zu werden, sind ja auch heute keine Unbekannten. Allerdings ebensowenig die arrogante Haltung der Kulturmacher: Buchstäblich am längeren Hebel sitzend, ließen sie die aufgebrachten Leute entweder ins Leere quatschen oder freuten sich jovial über ihre unerschütterliche Position...

Eichs Kritiker werden als Enthüller abgetan

Weniger skandalös, aber nicht minder eindrucksvoll als „Träume“ sind die existientialistischen Geschichten um „Die Schweine“ Alpha, Delta und Gamma sowie die philosophische Suche des sprechenden Raben „Sabeth“ nach seinem verlorenen Paradies in wissender Sprachlosigkeit. Diese Hörspiele machen lebendig, was viele höchstens aus dem Deutschbuch kennen: Günter Eich als anerkannten „Magier“ der Hörspielkunst.

Natürlich ist es mehr als Nostalgie, das originale „Eich“-Maß dieser Kunstform immer wieder vorzuführen. Doch hätte ein kleines Editorial zur komplexen Persönlichkeit des Menschen Eich ganz gutgetan. Seit 1979 flammt die Kontroverse um seine Rolle im Rundfunk des Dritten Reichs immer wieder auf, verläuft jedoch nach hitzigen Feuilletongefechten sehr unbefriedigend im Sand.

Zwar begleitet Eich-Mitherausgeber Karl Karst die Hörspiel-Woche mit kenntnisreichen Essays zur Poetik und Tiersymbolik seines verehrten Autors. Er fand aber zwischen soliden und manchmal hymnischen Ausführungen, den O-Tönen aus Eich-Reden und -Lesungen keinen Platz, Eichs Schweigen über seine Vergangenheit – und wenn auch nur in Klammern gesetzt – nüchtern zu thematisieren. Statt dessen lobt Karst Eichs „biographische Zurückhaltung“ als vorbildhaft in einer exhibitionistischen Medienwelt.

Ohne zu sagen, was genau der große Moralist verschweigt. Die manchmal durchaus vorschnell eifernden Kritiker Eichs werden verächtlich als „Enthüller“ abgetan. Eine Haltung, die angesichts des leider immer wieder aktuellen Langzeitproblems – das Arbeiten großer AutorInnen unter einem Unrechtsregime – auch nicht viel weiterführt. Gaby Haertel

„Gespräch der Schweine/Mildred und John“: 13. August, 20.10 Uhr; „Sabeth“: 17. August, 20.05 Uhr; Träume“ (3-5) und „Radioskandal 1952“: 17. August, 0.05 Uhr

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