piwik no script img

Lehrstellen – die Lüge

■ Berufliche Bildung steckt in einer schweren Krise

Die FDP, wir reiben uns verwundert die Augen, fordert ein zusätzliches „Maßnahmenpaket“ für Lehrstellen im Osten. Wie kommt's, daß die auf neoliberaler Westerwelle reitende Partei so unverschämt nach Subventionen ruft? Das Azubiproblem, es läßt sich beim besten Willen nicht mehr leugnen. Weder in Ost noch in West. Galten die Hiobsbotschaften über Tausende unversorgter SchulabgängerInnen nach der Wiedervereinigung stets den neuen Ländern, so ist die Krise nun auch im Westen angelangt.

Da müssen Vorschläge her. Lustige Ideen werden da abgesondert, die sich auf eine Formel bringen lassen: weniger, schneller, kürzer. Die Arbeitgeber meinen, weniger Lehrgeld schaffe mehr Lehrherren. Sachsens Bildungsminister empörte sich jüngst, die AbiturientInnen sollten schneller auf die Unis gehen und nicht erst auf einer Lehrstelle zwischenparken. Schließlich gibt es Pläne, die Lehrjahre einfach zu kürzen.

Das scheint die Logik all der verqueren Vorschläge zu sein: Sie stellen ein modernes Krümpersystem dar, nichts weiter. Es meint ein System aus dem alten Preußen, bei dem der König Rekruten eilig ausbilden ließ. Es ging also vornehmlich um Kanonenfutter. Heute geht es, egal welchen bildungspolitischen Vorschlag man betrachtet, nur noch um eins: schnell wieder raus – aus der Schule, von der Lehrstelle, vom Studienplatz.

Die Vorschläge sind so untauglich wie ideologisch. Sie sollen die Lehrstellenlüge kaschieren. Nichts anderes verabredet der Kanzler Jahr für Jahr mit der Wirtschaft. Tausende Jugendlicher blieben seitdem ohne Lehrherren. Nur statistisch tauchte das Problem nicht mehr auf.

Kein 15jähriger tapert fünfmal zum Arbeitsamt oder in die schulische Ersatzmaßnahme, um sich dort lediglich ein müdes Kopfschütteln abzuholen. Der Strukturfehler des dualen Systems ist bekannt. Die Lehrherren bilden aus – und die Ausbildungsverweigerer greifen die Facharbeiter ab, ohne eine müde Mark in sie investiert zu haben. Eine boomende AG Deutschland konnte vor diesem Zusammenhang die Augen verschließen.

Die Bundesrepublik in der Sozialstaatskrise kann sich das nicht leisten. Sie muß diejenigen über eine Umlage zur Kasse bitten, die nicht ausbilden. Christian Füller

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen