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■ Vorschlag„Verraten und verkauft“ in der Neuköllner Oper

In der Pause habe ich, dem Thema gemäß, mein Ohr am Volk. „Ganz schön heiß da drinnen“, sagt eine Frau zum Getränkeverkäufer, „das kurbelt ihren Laden bestimmt an.“ Ein wichtiger Herr verwickelt Peter Lund, der sich ebenfalls unters Publikum gemischt hatte, in ein wichtiges Gespräch: „War die Geschichte aus dem Mittelalter echt?“ „Nein“, sagt Lund, „ausgedacht.“ Und darüber scheint der Herr ein klein wenig enttäuscht.

Die Neuköllner Oper hat einen neuen Spielort eingeweiht: Oper in der Garderobe. Daß eine Garderobe nirgends besonders groß ist, leuchtet ein, und heiß ist es „da drinnen“ in der Tat. Doch an Szenen, die von geflüsterten Verleumdungen handeln, kann man gar nicht nah genug dran sitzen. „Verraten und Verkauft, eine musikalische Charakterschwäche“ nennen Niclas Ramdohr (Musik) und Peter Lund (Buch und Regie) ihr erstes Garderobenstück. Die mehr oder weniger wahren Geschichten gehen über die Bühne, kunstvoll geschnitten und geschachtelt, Schicksale, dem Leben abgelauscht. Eine Bäuerin liefert ihren Mann den Hexenprozessen aus (ausgedacht, wir wissen). Eine Journalistin bespitzelt als IM ihre beste Freundin (das soll schon eher mal vorgekommen sein). Doch daß der Pianist Karlrobert Kreiten von einer Freundin seiner Mutter an die Nazis verraten wird, das ist dann leider eine authentische Geschichte. Zwischen diesen verschiedenen Ebenen, zwischen Klamauk und bitterem Ernst, laviert der Abend hin und her. Meisterhaft fährt Lund wurstige Dialoge und scharfe Geschütze auf, wechselt Ort, Zeit und Geschehen. Dabei fungiert die süffige Musik (der Komponist am Klavier) als Motor der Verwandlungen, springt durch ein klingelndes Motiv in eine andere Zeit, schneidet in stilistischer Vielfalt gegeneinander, was nicht zusammengehört. Getragen werden diese Brüche im Geschehen jedoch von den drei Sängerinnen (Rosa Enskat, Alina Lieske, Sabine Schwarzlose). Die machen manchmal das, was ein Gesanglehrer „die Stimme ruinieren“ nennen würde, wirbeln aber durch ihre zwölf verschiedenen Rollen mit einer Spannung und Virtuosität, daß einem schwindelt. Man kann der Neuköllner Oper eines wünschen: volle Garderobe. Christine Hohmeyer

Neuköllner Oper: „Verraten und verkauft“ 21 Uhr, Karl-Marx-Straße 130/131

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