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Eine linke Karriere in roter und schwarzer Zeit

KZ-Häftling, FDJ-Funktionär, Verfassungsschutz-Kollaborateur: Heinz Lippmann. Ein deutsch-deutsches Leben im repressiven Muff der 50er und 60er Jahre, aufgeschrieben von einem FDJ-Funktionär der 80er Jahre  ■ Von Falco Werkentin

„Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ – diese berühmte Adorno-Sentenz drängt sich auf, liest man die Biographie über Heinz Lippmann. Dem jungen Mann aus begüterter Familie, deutsch-national erzogen, 1934 für kurze Zeit noch Mitglied der Hitler-Jugend, widerfährt plötzlich das Schicksal von Millionen. Der Rassenwahn wirft ihn aus dem vorgezeichneten bürgerlichen Lebensweg, führt ihn durch verschiedene Konzentrationslager, die er nur überlebt, weil kommunistische Kapos ihn in Buchenwald unter ihre Obhut nehmen.

Nahezu zwangsläufig wird er zum Kommunisten, der nach der Befreiung Buchenwalds schnell zum Funktionär aufsteigt. In Thüringen baut er zunächst maßgeblich die FDJ mit auf, bis er 1949 in die Berliner FDJ-Zentrale als Sekretär berufen wird, wo er die Westarbeit der FDJ anleitet und organisiert. Im Juli 1951 ernennt ihn die Partei zum Stellvertreter Erich Honeckers, des damaligen 1. Sekretärs des Zentralrats der FDJ. Die Verhaftung seines Kollegen im Zentralrat, Peter Heilmann, im März 1951, der Sturz des Politbüromitglieds Franz Dahlem, der zu seinen Förderern zählt und viele ähnliche Schicksale ihm vertrauter Genossen verunsichern Lippmann. Ein Anruf aus der Zentralen Parteikontrollkommission am 29. September 1953, der erkennen läßt, daß nun auch ihn ein gleiches Schicksal treffen könnte, veranlaßt Lippmann, Hals über Kopf in die Bundesrepublik zu fliehen. Der Zufall will es, daß ihm ein ahnungsloser Schatzmeister an diesem Tag 300.000 Westmark für die FDJ- Westarbeit übergibt. Mit dem Betrag setzt sich der in der Bundesrepublik steckbrieflich gesuchte Funktionär nach Hamburg ab. Fortan kursiert das Bild vom „Kassenräuber Lippmann“.

Versuche, mit diesem Geld eine bürgerliche Existenz aufzubauen, scheitern. Nachdem ihn die bundesdeutschen Strafverfolgungsbehörden ausfindig machten, wird Lippmann Kronzeuge im Karlsruher KPD-Verbotsverfahren, indes bemüht, seine früheren Genossen nicht unmittelbar zu belasten. In der Bundesrepublik kommt Lippmann bald in regen Kontakt mit anderen ehemaligen kommunistischen Funktionären und Republikflüchtigen. Wie viele von ihnen sucht er nach einem „Dritten Weg“ – nach einem Sozialismus ohne stalinistische Verzerrungen.

Finanziert vom Bundesamt für Verfassungsschutz ist Lippmann zwischen 1959 und 1964 verantwortlicher Redakteur der Zeitschrift Dritter Weg – abgewickelt wird der Deal über Günther Nollau, einem Sozialdemokraten und SBZ-Flüchtling, zu dieser Zeit für die Beobachtung und den Kampf gegen die KPD/SED zuständig. Nie verrät Lippmann seinen Autoren die Geldquelle. Aus der Perspektive Nollaus war die Zeitschrift ein Instrument aktiver „Desinformation“ seitens des Verfassungsschutzes. Viele Autoren der Publikation, wie etwa der später großes Renommee erringende DDR-Forscher Hermann Weber oder Gerhard Zwerenz, heute PDS-Bundestagsabgeordneter, geben sich dagegen der Illusion hin, auf diesem Wege tatsächlich einen antistalinistischen „Dritten Weg“ befördern zu können. Verteilt wird das Blatt an SED- und KPD-Funktionäre.

Zwar hatte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR frühe Versuche, Lippmann zu entführen, nach einiger Zeit aufgegeben, doch es bleibt Lippmann auf der Spur. Nach und nach ist Lippmann von einem ganzen Netz von Protagonisten des „Dritten Weges“ umgeben, die sich nach Öffnung der DDR-Archive als Stasi- Zuträger erwiesen haben. Sei es sein alter Freund aus dem FDJ- Zentralrat, Peter Heilmann, der nach der Haftentlassung nach West-Berlin ging und hier Studienleiter an der Evangelischen Akademie wurde. Sei es der ebenfalls aus der DDR geflohene Dietrich Staritz, später ein renommierter DDR-Forscher. Seien es linke Journalisten wie Michael Gromnica oder der Extra-Dienst-Redakteur Walter Barthel, der sich seine Spitzelei vom MfS gut honorieren ließ. Diese Spitzel garantierten, daß die Stasi bestens über den Dritten Weg informiert war. Insofern gibt die vorliegende Biographie, geschrieben von Michael Herms, auch Einblick in die „linke Geschichte“ West-Berlins. Nachdem der Verfassungsschutz 1964 den Dritten Weg einstellte, arbeitet Lippmann als freier Journalist, bis er zuletzt eine Anstellung beim „Gesamtdeutschen Institut“ findet. Seine 1971 erschienene Honecker-Biographie, die auch ins Englische übersetzt wurde, erhält viel Lob. Als Lippmann 52jährig am 16. August 1974 in Bonn zu Grabe getragen wird, geben ihm langjährige Freunde, Verfassungsschützer und Stasi-Spitzel das letzte Geleit.

Es fällt schwer, eine so widersprüchliche Biographie angemessen zu bewerten. Um so hilfreicher ist das von tiefer Freundschaft getragene Vorwort von Hermann Weber, in jungen Jahren selbst kommunistischer Funktionär. Weber leitet seinen Text mit Zeilen von Bertolt Brecht ein: „Gedenkt, wenn ihr von unseren Schwächen sprecht, auch der finsteren Zeiten.“ Michael Herms, der Autor dieser Biographie, wie einst Lippmann hauptamtlicher FDJ-Funktionär in den 80er Jahren, hat eine redliche Studie vorgelegt, doch fehlt ihr darstellerisch eine den Text organisierende, leitende Fragestellung, fehlt die Reflexion darüber, was diese Biographie so exemplarisch macht für die Lippmann-Generation. Zudem hätte die Darstellung gewiß gewonnen, wenn nicht nur ein Bild von den stalinistischen Praktiken der DDR in den frühen 50er Jahren gezeichnet worden wäre, sondern auch eine Skizze des restaurativen Klimas der Bundesrepublik der 50er und 60er Jahre. Denn erst dieser ergänzende Blick öffnet eine analytische Perspektive jenseits moralischer Verurteilungen und bietet somit die Chance, zu begreifen.

Schließlich – dem Autor gewiß nicht vorzuwerfen – leidet die Biographie an einem Mangel, den sie mit vielen anderen aktuellen Arbeiten teilt, wenn es um deutsch- deutsche Themen geht. Es fehlen die bundesdeutschen Quellen. Im Kontext dieser Arbeit konkret gefragt: Hat Staritz, wie er selbst nach seiner Enttarnung als MfS-IM erklärte, tatsächlich auch für den Verfassungsschutz gespitzelt? Welches interne Bild von Lippmann hatte der bundesdeutsche Verfassungsschutz? Kurz: Es wird Zeit, daß auch bundesdeutsche Dienste „die Hosen runter lassen“ und ihre Archive für die Forschung öffnen.

Michael Herms: „Heinz Lippmann – Portrait eines Stellvertreters“. dietz berlin 1996, 320 Seiten, 39,80 DM.

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