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Süd-Koreas Regierung will jetzt Nachsicht üben

■ Universitätsbesetzer hungern für die Wiedervereinigung mit dem Norden

Tokio (taz) – Die Gruppe von Eltern, die sich am Sonntag auf das Gelände der Yonsei-Universität im Zentrum der südkoreanischen Hauptstadt Seoul wagte, hatte nichts Böses im Sinn: „Laßt mich meinem Sohn Wasser und Essen bringen“, rief eine Mutter, als Polzisten im Kampfanzug sie zurückdrängten. „Du und deine Kinder sind unsere Gegner“, entgegnete ihr ein Polizist.

Derart feindselige Dialoge auf offener Straße sind in Süd-Korea in den letzten Jahren selten geworden. Doch plötzlich ist das Feuer der Revolte wieder aufgeflammt. Seit Tagen demonstrieren Tausende von Studenten genau dort, wo sie im Sommer 1987 den Sieg der Demokratie über die Diktatur erstritten. Gestern waren es immer noch zweitausend Studenten, darunter mindestens die Hälfte Frauen, die dem Ansturm der Polizei im Inneren der Universitätsgebäude standhielten. Ebenso viele Demonstranten wurden bereits festgenommen, ohne daß dies eine abschreckende Wirkung gezeigt hätte. „Bitte gebt uns Essen und Medikamente“, forderten die Studenten mit Megaphonen. „Uns fehlen Medikamente, um die Verletzten zu behandeln.“

Publikumswirksamer läßt sich die Selbstdarstellung kaum inszenieren.

Schon zeigt ein Teil der Öffentlichkeit Mitleid mit den seit drei Tagen hungernden Studenten. Die Polizei freilich will ihnen nach der Nahrungsversorgung nun auch die Elektrizität abschneiden. Das aber verweigert die Universitätsleitung, weil damit angeblich wissenschaftliche Projekte gefährdet würden.

Die polizeiliche Taktik, zunächst die Lichter der Universität ausgehen zu lassen, ist ihrerseits zwiespältig: Man möchte die Studenten lieber zur Aufgabe zwingen, als sie mit aller Macht besiegen. So forderte Ministerpräsident Lee Soo Sung gestern die Studenten auf, den Campus zu räumen. Die weitaus meisten könnten in diesem Fall mit nachsichtiger Behandlung rechnen, sagte er. Nur die Rädelsführer würden hart bestraft. Das riesige Aufgebot von 13.000 Polizisten rund um die Universität mitsamt den medienwirksamen Tränengas-Hubschraubern hat auch symbolische Funktion – es soll die Besetzer einschüchtern.

Daß es diese Aufgabe bisher nicht erfüllt, scheint die Behauptungen der Regierung zu stärken, wonach es sich bei den Aufständischen allesamt um überzeugte Anhänger Nord-Koreas handele. Tatsächlich fordern die Studenten neben freiem Geleit und der Freilassung ihrer Kommilitonen die Wiedervereinigung beider Koreas und den Abzug der 37.000 amerikanischen Soldaten aus Süd-Korea.

In Wirklichkeit gibt es in Süd- Korea vermutlich keine tausend Jugendliche, die für das allgemein verhaßte Regime im Norden auch nur einen Finger rühren würden. Etwas ganz anderes aber ist es, der Regierung eine moralische Lektion zu erteilen – darin liegt sozusagen die nationale Aufgabe der süd- koreanischen Studentenschaft, seit ihre Proteste 1961 den ersten Putsch der Generäle auslösten. „Ich mache das hier nicht, weil ich prokommunistisch oder pronordkoreanisch bin, sondern weil ich das richtige für die Wiedervereinigung tun will“, empört sich ein protestierender Student. Das bringt die Moral der Stundentenbewegung auf den Punkt: Gerade weil die Mehrheit der Südkoreaner heute eine Wiedervereinigung aus wirtschaftlichen Gründen ablehnt, klagen die Studenten eine moralische Haltung des Staates ein. Wenn sich Präsident Kim Young Sam wie keiner vor ihm zu Hilfeleistungen für den Norden bereiterklärt, geht es den jungen Leuten nicht weit genug. Georg Blume

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